Ein Premierenbesuch in Halle 19

Am Abend der großartigen #Unteilbar-Kundgebung in der Hauptstadt ging das Celler Schlosstheater mit der Premiere von „benefiz – jeder rettet einen Afrikaner“ von Ingrid Lausund in der Halle 19 der CD-Kaserne ein scheinbares Wagnis ein: Fünf Schauspieler proben eine Wohltätigkeitsveranstaltung für ein afrikanisches Schulprojekt. Sie sind nicht prominent - aber überaus motiviert. Es soll darum gehen, Spendenbereitschaft zu wecken. Wie aber funktioniert das, unterhaltsam über Not und Elend in Afrika zu reden? Sollte man noch eine „echte“ Afrikanerin engagieren, damit die Botschaft authentischer rüberkommt? Natürlich stellt sich auch die Konkurrenzfrage: Wer steht gerade im Rampenlicht, und wer bekommt warum welche Redezeit und wieviel Spielanteile? Wo bleibt bei allem Engagement die Kunst …?

Das Wagnis besteht zunächst darin, dass die Celler Spieler*innen das Publikum auch direkt angehen, und erfragen, wie es die werten Zuseher*innen denn mit der Hilfsbereitschaft, der Menschlichkeit, der Humanität halten.

Ja, wo sind unsere Ansprüche - wo unsere Wirklichkeiten?

In der Celler Fassung von „benefiz“ in der Regie von Ralph Siebelt (zuletzt hier „Biedermann“) spielen die Schlosstheater-Leute unter ihren Klarnamen, behalten dabei die Typologien der Textvorlage jedoch bei: Da ist die engagierte Powerfrau mit Ego-Defiziten oder die Stricktante im Öko- und Betroffenheitswahn sowie der bibelfeste Allgemeinhumanist der angewandten Barmherzigkeit: Sie alle er-spielen sich und uns die Widersprüchlichkeiten eines Helfen-Wollens-ohne-schlechtes-Gewissen aus der Sicht der Über-Privilegierten.

Die stumme Dia-Show ist eine Theatererfindung, wie es sie nicht jeden Tag zu sehen gibt.

Spätestens nach der Pause wurde am Samstag deutlich, dass das Risiko jedoch überschaubar blieb: Die Textvorlage von Lausund (Drehbücher u.a. für „Tatort-reiniger“ und „Er ist wieder da“) stammt aus dem Jahr 2008 und ist außerordentlich gescheit verfasst; die Autorin scheut sich nicht, Fremdmaterial (ähnlich: „Solidarisch Mensch werden“ - psychische und soziale Deformation im Neoliberalismus) zu verwenden, und vermeidet jegliche Denunziation ihrer – übrigens gleich stark beleuchteten – Figuren. So wird Schenkelklopferitis bei Ausrutschern ins politisch Unkorrekte vermieden, und wenn der schüchterne Gutmensch durch Besserwisserei zur Ordnung rufen möchte, so gerät das eben nicht peinlich, sondern menschlich. - - Ja, wer hat denn wieder nichts in die Kaffeekasse gezahlt, wer räumt denn immer seinen Müll nie weg - - So beginnt das Wiedererkennen, so wird Sympathie geweckt.

Mein Lieblingsstelle als bekennender Romantiker: Es sind die Menschen, die die Welt verändern. Die beste Zeit, das zu tun, ist jetzt.

Zuletzt gebrauchsanwendet das Celler Theater seine eigene Aufführung und ermutigt das Publikum zu einer Spende an eben: ein Schulbau-Projekt in Westafrika.

web benefiz 03Das ist konsequent gedacht, - manche haben es als „ein wenig drüber“ empfunden. Die opulente Bühnendekoration ist wohlgefällig, - hier aber wäre weniger durchaus mehr gewesen; die Spendenboxen allerdings sind mega-cool.

Die Spielfreude der fünf Protagonisten des Abends war bemerkenswert, davon wird die Unterhaltsamkeit der zukünftigen Aufführungen sicher nur noch mehr profitieren.

Anschauen!

GEPUNKT

Besetzung: Stefanie Winner, Johanna von Gutzeit, Gintas Jocius, Pascal Andrea Vogler, Jürgen Kaczmarek

Weitere Termine: 31. Oktober; 01., 02., 08., 22., 24., 27 November & 15. Dezember.