100 Jahre Novemberrevolution

Irgendwie ist es merkwürdig. Da kommt vor 100 Jahren die erste deutsche Demokratie auf die Welt und kaum jemand will jetzt dieses Jubiläum feiern. Schon der 75. Geburtstag wurde nicht so richtig begangen. Naja, und beim Fünfzigsten im Jahr 1968 hatten viele Besseres zu tun. Auch wir sind nicht allzu gut vorbereitet. So gibt’s keine runde Geschichte zum runden Geburtstag, sondern nur ein paar Fragmente zu lokalen Aspekten dieser Revolution.

I. Die Schuhe des Marinesoldaten

Bereits zehn Tage, nachdem sich am 7. November 1918 in Celle ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet hat, stellt dieser dem damaligen Oberbürgermeister Denicke „für Museumszwecke“ zur Verfügung:

„1.) die bis jetzt erschienenen Aufrufe u.s.w.
2.) das äußerst primitive Stempelkissen mit Stempel, dessen sich die (sozusagen) oberste Behörde 6 Tage lang bedienen mußte.
3.) die erste, aus Papiergewebe bestehende Armbinde mit Aufschrift: >Arbeiter und Soldatenrat<.
4.) die zurzeit geltende Armbinde aus Leinen.“

Die Akteure haben offensichtlich ein Bewusstsein von der eingetretenen Zäsur. Die Insignien ihrer Macht sind ein Stempel und eine Armbinde. Irritieren mag, dass es die „alte Macht“ ist, die sich um die Aufbewahrung kümmern soll und dies in einem Heimatmuseum, das eindeutig der Ort des Bürgertums und seiner Geschichtsschreibung ist. Ahnte man etwa schon, dass die Novemberrevolution des Jahres 1918 zu nicht mehr führen würde als der Durchsetzung der bürgerlichen Demokratie? Vielleicht. Und vielleicht passt zu dieser Spekulation auch die Bitte, ein weiteres Andenken aufzubewahren:

„die Schuhe des Marinesoldaten Lünsmann“.

Eine Delegation des Celler Arbeiter- und Soldaten-Rates hatte an der Hinrichtung des Stabsfeldwebels Oskar Lünsmann (Foto unten links) in Hannover am 16. November teilgenommen, der in Celle u.a. für die Befreiung von Gefangenen aus dem Zuchthaus gesorgt hatte. Im Schreiben an den Oberbürgermeister heißt es:

„Nach der Hinrichtung erbaten sich die beiden Abgesandten von Celle die Schuhe, um dieselben hier zum Andenken aufzubewahren und sind dieselben noch denselben Abend auf der Geschäftsleitung abgegeben und mir zur Verwahrung übergeben worden, bis Sie, Herr Oberbürgermeister entscheiden, ob sich diese Schuhe für Museumszwecke eignen oder nicht.“

Lünsmann hatte sich mit rund 100 Leuten seiner „Fliegenden Mariendivision“ einen Tag lang in Celle aufgehalten und versucht, die Situation vor Ort zu radikalisieren. Er verlor die Machtprobe gegen die sozialdemokratische Führung des Celler Arbeiter- und Soldatenrates und zog weiter nach Hannover. Dort versah er mit seinen Leuten die ihm übertragenen Ordnungsaufgaben im Bereich des Hauptbahnhofs, u.a. indem er drei Plünderer – ohne die vom Arbeiter- und Soldatenrat vereinbarte Standgerichtsverhandlung – an der Waterloosäule erschießen ließ. Er selbst wurde daraufhin durch ein Standgericht des hannoverschen Arbeiter- und Soldatenrats zum Tode verurteilt. Er starb mit den Worten: „Es lebe die Freiheit, hoch die soziale Revolution!“ Die Hinrichtung sei, so heißt es in der von der KPD 1929 herausgegebenen „Illustrierten Geschichte der Deutschen Revolution“, der „erste Blitz“ gewesen, der „das konterrevolutionäre Gewitter ankündigte“.

Es stellt sich aber die Frage, welche Erinnerung in Celle mit den Schuhen Lünsmanns bewahrt werden sollte? Eine Antwort könnte sein: Sie dienten als Beleg für die Abwehr der „radikalen Elemente“ – man übergibt der alten (und bleibenden) Herrschaft eine Trophäe.

Das Bürgertum in Celle erwies sich wenig dankbar. Nicht einmal die Armbinde des Arbeiter- und Soldatenrates lässt sich heute im Museum finden. Im Stadtarchiv allerdings werden die Protokolle des Arbeiter- und Soldatenrates aufbewahrt wie auch einige der von ihm gedruckten Plakate.

II. Sturmvögel der Revolution

Am 8. November, also einen Tag bevor in Berlin die Republik – als demokratische von Scheidemann und als sozialistische von Liebknecht – verkündet wird, gibt der frisch gebildete Aktionsausschuss des Celler Arbeiter- und Soldatenrates folgende Bekanntmachung heraus:

„An die Einwohner von Celle! Arbeiter, Bürger und Soldaten!
Gestern abend hat sich in Celle ein
Arbeiter- und Soldatenrat
gebildet. Die Forderungen dieser Körperschaft werden bekanntgegeben. Das wirtschaftliche Leben nimmt in der bisherigen Weise seinen Fortgang, ein Anlaß zu einer Beunruhigung liegt nicht vor. Wir richten an die Einwohnerschaft das dringende Ersuchen, in jeder Hinsicht
Ruhe zu bewahren
und etwaige Anordnungen des Arbeiter- und Soldatenrates, der unter allen Umständen Ruhestörungen verhindern wird, Folge zu leisten.
Celle, den 8. November 1918.
Der Aktionsausschuß"

Wie fast überall im Reich ist der auslösende Faktor auch in Celle eine Militärrevolte. Am 3. Oktober 1918 war in Scheuen ein Marine-Landeflugplatz in Betrieb genommen worden. (Die noch nicht bedeutende Luftwaffe war der Marine zugeordnet.) Dort ist man nicht nur gut über die Rebellion der Matrosen informiert, man ist auch selbst in konfrontativer Stimmung gegenüber den alten Eliten: In einer Celler Gastwirtschaft hatten zwei Obermaate ein Kaiserbild demoliert, ein Feldgottesdienst war boykottiert worden und die Ingenieure hatten sich der Erneuerung des Treuegelöbnisses widersetzt, das von ihnen nach den ersten Unruhen in Kiel verlangt wurde.

In Aktion treten die Scheuener Soldaten am 7. November, als sie mitbekommen, dass am Celler Bahnhof Züge aus dem Norden von Infanteristen angehalten und nach Matrosen durchsucht werden, um diese zu verhaften. Sie besetzen daraufhin kurzerhand die Bahnhöfe in Garßen und Celle sowie die Allerbrücke. Um ihr Vorgehen zu koordinieren und auch zu legitimieren, wählen sie sich einen Soldatenrat. Dieser schickt Delegierte zu den anderen Truppenteilen in der Garnisonsstadt, um sie aufzufordern, sich ihnen anzuschließen.

Am Abend findet in der Union, dem größten Saalbau der Stadt, eine Soldatenversammlung statt, zu der auch das Celler Arbeitersekretariat eingeladen wird.
Über die Versammlung berichtete die CZ so:

„Der große Saal der >Union< war von Soldaten überfüllt, die nach begeistert aufgenommenen Ansprachen zur Wahl eines Soldatenrates schritten. Auf Ersuchen erklärten sich die Arbeiter mit den Soldaten solidarisch. (...) Nachdem auch Herr Arbeitersekretär Schädlich die Soldaten eindringlich zur Ruhe und Ordnung ermahnt hatte, wurde die Wahl der Delegierten vorgenommen. Von jeder Kompanie des hiesigen Infanterie-Ersatz-Bataillons, sowie der Marine in Scheuen, wurden vier Kameraden gewählt, welche in Gemeinschaft mit Arbeitervertretern einen Arbeiter- und Soldatenrat bilden sollten.“

Zu dem noch in der Nacht gewählten Aktionsausschuss gehören: Die beiden Marineunteroffiziere, Oberflugmeister Weber und Flugmaat Peltzer, als Infanteristen die beiden Landsturmmännern Treumann und Hirsch und als Arbeitervertreter zum einen der Mehrheitssozialdemokraten Ernst Schädlich, zum anderen Paul Müller als Delegierter des Deutschen Metallarbeiterverbandes und Unabhängiger Sozialdemokrat.

Weber und Schädlich wurden die Vorsitzenden des Aktionsausschusses, der noch in den frühen Morgenstunden das schon zitierte Plakat drucken und überall in der Stadt verteilen ließ.
Oberbürgermeister Denicke für die Stadtverwaltung und Hauptmann Bönig als Sprecher des Offizierskorps versicherten am Ende der Versammlung öffentlich, den Arbeiter- und Soldatenrat anzuerkennen und nichts gegen ihn zu unternehmen.

Sie werden aufgeatmet haben, denn die in der Versammlung erhobenen Forderungen zielen nicht auf eine sozialistische Umwälzung, sondern mit Achtstundentag und Frauenwahlrecht auf das, was dann auch Realität werden sollte.

III. Alle Macht den Räten

Der 9. November 1918 markierte das Ende der Monarchie und den Beginn der Republik. Reichskanzler Max von Baden verkündete die Abdankung des Kaisers und übergab sein Amt an Friedrich Ebert, den Vorsitzenden der (M)SPD. Der stellvertretende (M)SPD-Vorsitzende Philipp Scheidemann proklamierte vom Balkon des Reichstagsgebäudes vor einer demonstrierenden Menschenmenge die „deutsche Republik“. Fast zeitgleich verkündete Karl Liebknecht vom Spartakusbund im Berliner Tiergarten die sozialistische Republik:

„Der Tag der Revolution ist gekommen. [...] In dieser Stunde proklamieren wir die freie sozialistische Republik Deutschland [...], in der es keine Knechte mehr geben wird, in der jeder ehrliche Arbeiter den ehrlichen Lohn seiner Arbeit finden wird. Die Herrschaft des Kapitalismus, der Europa in ein Leichenfeld verwandelt hat, ist gebrochen.“

Im gut 200 Kilometer entfernten Celle kam am Vormittag die „Bremer Fliegenden Division“ in die Stadt. Über ihr Vorgehen in Celle gibt es vor allem Berichte aus dem sozialdemokratischen und bürgerlichen Lager, wobei sie als „wie Räuber aussehende und gut bewaffnete Gesellen“ geschildert wurden. Am Abend gab es im Arbeiter- und Soldatenrat dann die Fortsetzung der Machtprobe zwischen den Bremer Marinesoldaten und dem Celler Arbeitersekretär. Letzterer hatte eine willkommene Unterstützung in den (M)SPD-Reichstagsabgeordneten Rudolf Wissell, dem späteren Arbeitsminister, und dem Vorsitzenden des Transportarbeiterverbandes Oswald Schumann. Die beiden hatten nach einem „Erkundungsflug“ (Schädlich) nach Wilhelmshaven beim Rückflug nach Berlin in Scheuen einen Zwischenhalt gemacht und konnten bei der Sitzung des Arbeiter- und Soldatenrates über die Situation im Reich informieren. Schädlich charakterisiert die Sitzung als „stürmischste“, die er je erlebt habe:

„Die Ausführungen Lünsmanns lösten mehreren Mitgliedern, die sich bisher mit ihren radikalen Ansichten nicht hervorgetan hatten, die Zunge, sie glaubten, in den Herrschaften aus Bremen einen guten Rückhalt zu haben. Es nützte aber alles nichts, mit übergroßer Mehrheit lehnten die Mitglieder des A.- und S.-Rates die Anträge Lünsmanns ab, er wurde hinterher mit seinen Leuten ganz kleinlaut. Lediglich eine seiner Forderungen wurde gutgeheißen, aber nicht weil er dafür eintrat, sondern weil Wissell und Schumann auf Grund ihrer Kenntnis der Lage im Reich sich dafür einsetzten, nämlich: Absetzung der Offiziere und Übernahme der gesamten militärischen und zivilen Gewalt durch den Arbeiter- und Soldatenrat.“

Was Schädlich hier – gewissermaßen so nebenbei – als „lediglich eine“ der Forderungen Lünsmanns nennt, beinhaltet im Kern nichts anderes als die offizielle Machtübernahme vor Ort.
Das daraufhin gedruckte Bekanntmachungsplakat verkündet dies so:

Die Offiziere waren einer Absetzung übrigens durch geschlossenen Rücktritt zuvorgekommen. Als neuen militärischen Befehlshaber wählt der Arbeiter- und Soldatenrat noch in seiner Sitzung am 9. November den Feldwebel Kreike zum Stadtkommandanten, einen Mehrheitssozialdemokraten. Und er beschließt weiter die Bildung eines Standgerichts und verschiedener Kommissionen. Mit den bisherigen lokalen Machthabern werden Gesprächstermine zur Verhandlung über die neuen Verhältnisse am Montag, den 11. November, angesetzt. Am dazwischenliegenden Sonntag will man feiern.

Zu dieser am Nachmittag angesetzten Feier wird die „Stechbahn“ „mit Tannengrün und Fahnenmasten mit roten Fahnen“ geschmückt. Dort musizieren dann die Kapellen des Inf. Regt. 77 und die Matrosenkapelle für die einige Tausend Menschen, ein Flugzeug kreist über der Versammlung und schießt Raketen ab. Es schließt sich ein Demonstrationszug in das Neustädter Holz an, in dem auch noch Lünsmanns Truppe mitmarschiert, sich dann aber nach Hannover verabschieden. „Die Republik hatte gesiegt, die rote Fahne wehte über Celle“, schreibt Schädlich später in seiner Autobiografie.

IV. Schädlich

Ernst Schädlich ist ein „typischer“ (Mehrheits-)Sozialdemokrat und wirkt vor allem als (Aus-)Bremser der Revolution.

Im Mai 1914 war vom Gewerkschaftskartell in Celle mit Sitz in der Rabengasse ein Arbeitersekretariat eingerichtet worden. Der 1884 geborene Sozialdemokrat Ernst Schädlich sollte hier als bezahlter Angestellter den Mitgliedern der Freien Gewerkschaften – seinerzeit etwa 1500 – beratend in allen Fragen des Sozial- und Arbeitsrechts zur Seite zu stehen. Über diese Institution lief auf kommunaler Ebene während des Krieges dann auch eine Einbindung der Arbeiterbewegung. Schädlich und andere Vertreter der Gewerkschaften wurden z.B. zu einer neu gebildeten Kriegsfürsorgekommission hinzugezogen. Der Arbeitersekretär selbst wurde als Berufsberater in der „Fürsorgestelle für Kriegsbeschädigte“ beschäftigt und bezog dafür die Hälfte seines Gehaltes von der städtischen Verwaltung.

Vor diesem Hintergrund kann es nicht erstaunen, dass Schädlich für die Spitzen der alten Macht ein wichtiger Ansprechpartner war. Er berichtet, dass sich der Oberbürgermeister an ihn gewandt hätten. Oberbürgermeister Denicke etwa hätte seinen „Rat über etwa ausbrechende Unruhen“ nachgefragt. Schädlich „empfahl ihm, der Polizei Zurückhaltung aufzuerlegen, bezweifelte jedoch, daß es in Celle zu Unruhen kommen würde“.

Eine derartige Nähe zu den alten Eliten hatte im Krieg nahezu jeder (M)SPD-Funktionär, und diese Nähe dürfte mit eine Rolle dabei gespielt haben, dass in den allermeisten Städten und Kreisen die Oberbürgermeister und Landräte – so auch in Celle – im Amt blieben.

Und selbstverständlich war es auch Schädlich, der in Celle für die Wahl der Nationalversammlung und gegen die Räte agierte.

V. Nationalversammlung vs. Räte

In den Protokolle des Arbeiter- und Soldatenrates finden sich bis in den Januar 1919 wenig zu der Frage: Wohin soll sich der revolutionäre Prozess entwickeln? Eine Klärung sollte der I. Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte vom 16. bis 21. Dezember in Berlin bringen. Zu einem vorbereitenden Delegiertentag nach Lüneburg hatte man Karl Seele und Abraham Jaffé geschickt. Als diese in der Sitzung am 6.12. davon berichten und mitteilen, in Lüneburg als Vertreter für Berlin gewählt worden zu sein, erkennt der Arbeiter- und Soldatenrat dies nicht an. Unter der Regie Schädlichs (Foto oben) führt man eine Neuwahl durch. Von den drei Kandidaten erhält Schädlich 44, Müller 16 und Hoffmann eine Stimme. Das spiegelt sicher die Kräfteverhältnisse, Müller als Vertreter der USPD erhält also knapp 30 % der Stimmen.

Über die Ergebnisse des Rätekongresses berichtet er am 23.12.1918. Das Protokoll lässt eher eine launige Schilderung vermuten, als eine ernsthafte Auseinandersetzung. Die Entscheidung des Kongresses, statt des Aufbaus rätedemokratischer Strukturen bereits am 19. Januar 2019 eine verfassungsgebende Nationalversammlung durchzuführen, wird im Protokoll nicht einmal erwähnt. In seinen Erinnerungen aus dem Jahr 1928 stilisiert Schädlich dann diese Entscheidung zur Geburtsstunde der Weimarer Republik. Mit seiner Wahl zum Delegierten habe „der A.- und S. Rat in Celle zum Ausdruck gebracht, daß das gesamte Volk sich seine Verfassung geben sollte, er stand somit im Gegensatz zu jenen, die >alle Macht< den A.- und S.-Räten geben wollten.“

Die politischen Diskussionen im Celler Arbeiter- und Soldatenrat beginnen interessanterweise nach der blutigen Niederschlagung des so genannten Spartakusaufstands. Am 14. Januar 1919 wird die Berliner Regierung kritisiert, weil sie unbedingt hätte verhüten müssen, dass Blut fließt. Unterstützt wird eine Braunschweiger Resolution:

„Die Arbeiter- und Soldatenräte dürfen unter keinen Umständen ihre Macht einer Nationalversammlung übertragen. Die Nationalversammlung kann nur ein Organ der Demokratisierung und Sozialisierung des Reiches sein. Erweist sie sich dazu unfähig, dann haben die Arbeiter- und Soldatenräte allein – getragen vom revolutionären Willen des Volkes – die Demokratisierung und Sozialisierung durchzuführen.“

Eine Woche später geht es um die Stellung der Arbeiter- und Soldatenräte. Es wird gefordert, dass ein neuer Rätekongress einberufen werden müsse, um die Stellung der Räte zu klären. Es müsse am Ziel der Arbeiter- und Soldatenräte, das Proletariat vom Kapitalismus zu befreien, unbedingt festgehalten werden.

In der Folgesitzung am 12. Februar berichten zwei Soldaten von ihrer Teilnahme an einer Konferenz in Braunschweig. Vorgetragen wurde der Gedanke der dortigen Volksbeauftragten, zur Stärkung der eigenen politischen Position eine sozialistische „Nordwestdeutsche Republik“ ins Leben zu rufen, also sich von den Entwicklungen im Reich loszulösen. Auch wurde auf die durch die Freicorps entstehende Gefahr hingewiesen. In der Diskussion wurde als Fehler herausgestellt, die Spitzen der Verwaltungen nicht durch eigene Leute ersetzt zu haben. Man solle sich nicht fortnehmen lassen, was man bisher geschaffen habe. Dies ist die letzte ausführlich protokollierte politische Auseinandersetzung im Celler Arbeiter- und Soldatenrat.

Ernst Schädlich war bei den letzten beschriebenen Auseinandersetzungen anscheinend nicht mehr anwesend. Er war auf Platz 7 der Liste der MSPD in die Nationalversammlung gewählt worden. Wichtiger für ihn wurde aber die Kommunalpolitik. Hier organisierte er den Wahlkampf für die am 2. März 1919 angesetzte Wahl zur Neubildung des Bürgervorsteherkollegiums, also des Stadtrates. Die SPD erzielte 43,6 % der gültigen Stimmen, die in Konkurrenz angetretene USPD 7,1 % – mithin eine knappe Mehrheit für die Parteien der Arbeiterbewegung. – Neun Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrates waren, gewählt über die Liste der MSPD, anschließend in Bürgervorsteherkollegium und Magistrat vertreten.

Aus Sicht Schädlichs hatte der Arbeiter- und Soldatenrat seine Funktion durch die stattgefundenen Wahlen verloren:

„Seine historische Mission war in der Hauptsache beendet, als die Verhältnisse sich gefestigt hatten, seine Aufgaben von den zu Beginn des Jahres 1919 zu wählenden Volksvertretungen übernommen wurden und er damit eine überflüssige Einrichtung geworden war.“