Diskutieren, demonstrieren & blockieren

Eine Woche lang stand Unterlüß rund um den Antikriegstag am 1. September im Fokus norddeutscher Friedensinitiativen. Das Bündnis „Rheinmetall entwaffnen“ hatte ein Camp juristisch durchgesetzt und durchgeführt, die Demonstration war laut und bunt und gut besucht, die Blockade am Montag ein schöner Abschluss. Unterm Strich ein Erfolg auf ganzer Linie, weil: Alles, was sich das Bündnis vorgenommen hatte, konnte umgesetzt werden. Ein Rückblick im Detail:

Im Mai hatten sich erstmals Initiativen aus ganz Norddeutschland getroffen, um gemeinsam eine Demonstration zum Antikriegstag am 1. September in Unterlüß vorzubereiten. Schnell wurde der Ansatz erweitert um die Idee eines Protestcamps, was auch „passte“, weil das „War-starts-here“-Camp in der Altmark in diesem Jahr ausgesetzt wurde. Die Zusammenarbeit lief fast unproblematisch, auch um den „gewaltfreien“ Aktionskonsens gab's keine strittige Diskussion.

Aufbauen konnte das Bündnis auf den Aktionstagen von JunepA im Mai vergangenen Jahres, über Camp und Blockade hatten wir in Heft #85 berichtet. Und ein Problem wiederholte sich: Der Landkreis wollte das Übernachten im Camp nicht zulassen. Diesmal blieb ausreichend Zeit und auch finanziell war es möglich, darum juristisch zu streiten – und zu gewinnen. (Die interessante Begründung des Verwaltungsgerichts erläutern wir auf Seite 13.

Zirkuszelt, Veranstaltungs- Info- und Infrastruktur-Zelte wurden ab Mittwoch, den 19. August, auf dem Dorfplatz in Unterlüß aufgebaut. In den Folgetagen wurde dann in dem selbstorganisierten Camp versucht, der Vision einer anderen solidarischen und gewaltfreien Gesellschaft Ausdruck zu verleihen. Neben einigen Info- und Diskussionsveranstaltungen wurden immer wieder kleinere Aktionen gestartet, zum einen um mit der Bevölkerung vor Ort ins Gespräch zu kommen, zum andern aber auch um symbolisch etwas Sand ins Getriebe der Rüstungsproduktion zu streuen, Letzteres zum Beispiel durch eine „Critical-Mass“-Fahrradtour, die den morgendlichen Pendelverkehr ins Werk etwas entschleunigte.

Da die Demonstration nicht in Konkurrenz treten sollte zu einigen traditionellen Antikriegstags-Veranstaltungen, wurde sie auf Sonntag, den 2. September, gelegt.

Die Frage, mit welcher öffentlichkeitswirksamen Aktion der eigentliche Antikriegstag begangen werden sollte, wurde vom Bündnis an das Camp delegiert. Im Zentrum stand dann eine Gedenkveranstaltung am Ort des ehemaligen KZ Außenlagers Tannenberg. Etwa vier Kilometer nordöstlich von Unterlüß war im Herbst 1944 in der Ortschaft Altensothrieth ein Außenlager des KZ Bergen-Belsen eingerichtet. Bei den weiblichen Personen handelte es sich hauptsächlich um Polinnen, aber auch Frauen ungarischer, jugoslawischer, tschechischer und rumänischer Staatsangehörigkeit befanden sich unter ihnen. Im Oktober / November 1944 waren hier rund 900 weibliche KZ-Häftlinge, vor allem aus Polen, Ungarn, Jugoslawien, Tschechien und Rumänien untergebracht. Ein großer Teil der Frauen musste in der Munitionsfabrik von Rheinmetall arbeiten. „Der Kontakt mit den giftigen Stoffen und das Einatmen der ungesunden Dämpfe zerstörten die Gesundheit,“ schrieb der Historiker Bernd Horstmann in einem Aufsatz für die „Encyclopedia of Camps and Ghettos“.

Eine öffentliche Auseinandersetzung oder Erinnerungspolitik seitens der Gemeinde Unterlüß hat in der Vergangenheit nicht stattgefunden. So ist es vor allem der Initiative von Hendrik Altmann und seinem Blog found-places.blogspot.com zu verdanken, dass es eine spurensuchende Erinnerungsarbeit gibt.

Die Teilnehmer*innen der Aktion legten Blumen nieder und errichteten eine kleine Gedenktafel – mit diesem Moment bekamen die Aktionstage eine historische Verbindung, ganz im Geiste und im Sinne des Ausrufs für Frieden: „Nie wieder Faschismus, Nie wieder Krieg“.

Auf dem Rückweg zum Camp wurde der Zaun des Waffenherstellers über Kilometer hinweg mit pinken Kreuzen und verschiedenen Sprüchen sowie Transparenten versehen, um zu verdeutlichen: Krieg beginnt hier.

Am Sonntag fand schließlich die sehr bunte und sehr laute Demonstration mit über 500 Teilnehmer*innen statt, zu der das breite Bündnis von über 70 Organisationen aufgerufen hatte. Redebeiträge kamen von Zaklin Nastic (Die Linke), Brunhild Müller-Reiß (Friedensbüro Hannover), Michael Schulze von Glaßer (DFG-VK), Paul Stern und Charly Braun (DGB-Kreisvorsitzende in Celle bzw. Heidekreis), Alfred Hartung (VVN-BdA), Vivien Hellwig (Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.) sowie von Block War, Kassel, und "Gemeinsam kämpfen". Nachhören lassen sich die Beiträge in einem Podcast von Hossein Naghipour auf Radio Flora.

Am Montagmorgen kam es schließlich zu einer Blockade der Zufahrtsstraße zum Neulüßer Rheinmetall-Werk, durch die der Betriebsablauf und vor allem Anlieferungen verzögert werden konnten.

Alles in allem war die Aktionswoche gegen Rheinmetall sehr erfolgreich. Es war im Vorfeld schwer einzuschätzen, wie viele Menschen zu einem solchen Aktions-Paket zu mobilisieren wären. Insgesamt lässt sich im Nachhinein feststellen, dass die Erwartungen sich erfüllt haben. Ein kleiner Wermutstropfen dabei: Aus dem Landkreis Celle direkt war die Beteiligung an den Aktionen doch eher dünn. Woran liegt es, dass sich Schüler*innen kaum in den Kampf gegen Krieg und Rüstungsexporte eingebracht haben? Den Organi-sator*innen ist hier nichts vorzuwerfen. Die Werbung war auch in Celle breit und offensiv. Das Aktionskonzept war klar formuliert.

Medial war die Kampagne regional erfolgreich, Zeitungen, Radio und TV berichteten. Überregional gab es leider nur Berichte in taz, junge Welt und Neues Deutschland.
Aber machen wir uns nichts vor: Für Rheinmetall sind die Proteste zwar lästig, aber mehr aktuell auch nicht. Es gibt in Politik und Medien einfach (noch) zu viele Fürsprecher*innen für eine expansive deutsche Rüstungsexportpolitik. Mit den Aktionen vor Ort ist die Kampagne gegen Rüstungsexporte und Rheinmetall aber in eine neue Phase getreten.
Viele Einzelheiten zu den Aktionen, Fotos, Interviews und auch das sehr sehr gute „Mobilisierungsvideo“ finden sich nach wie vor auf dem Blog https://rheinmetallentwaffnen.noblogs.org/ und wer „auf dem Laufenden“ bleiben will: #rheinmetallentwaffnen

 

Landkreis Celle muss Versammlungsauflagen ändern
Verwaltungsgericht hebt Schlafverbot auf

Der Landkreis Celle als Versammlungsbehörde hatte in seinem Bescheid das Übernachten im Protestcamp untersagt. Dagegen hatten die Anmelder*innen geklagt – und sie bekamen durch das Verwaltungsgericht Lüneburg - Beschluss 5 B 39/18 vom 28.08.2018 - Recht. Der Landkreis wurde verpflichtet, „den Aufbau und die Nutzung von drei Mannschaftszelten und bis zu 30 Schlafzelten für ein bis drei Personen als Bestandteil des Protest- und Diskussionscamps "Krieg beginnt hier! Rheinmetall entwaffnen" versammlungsrechtlich zu bestätigen.“ Die Kosten des Verfahrens hatte der Landkreis zu tragen.

Grundsätzlich vertrat die Kammer die Ansicht, dass Anmelder*innen einer Versammlung, „selbst über Art und Umstände der Ausübung ihres Grundrechts zu bestimmen, also zu entscheiden, welche Maßnahmen sie zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für ihr Anliegen einsetzen wollen [...]. Die Versammlungsfreiheit umfasst als spezifisches Kommunikationsgrundrecht die Befugnis zum Einsatz besonderer und ungewöhnlicher Ausdrucksmittel, die Teilnehmer können schon durch ihre bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und den Umgang miteinander oder die Wahl des Ortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen“.

Zwar gelte grundsätzlich, dass in dem bloßen Aufenthalt von Personen in einem Camp zum Zweck der Unterkunft und deren Absicht, an Versammlungen teilzunehmen, für sich genommen in der Regel noch keine gemeinsame Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) mit dem Ziel der Einwirkung auf die öffentliche Meinungsbildung gesehen werden könne. Aber: Der Antragsteller habe vorgetragen, es sei geplant, nicht nur die Kundgebungszelte, sondern auch die Ruhezelte so zu gestalten, dass sie optisch den Protest zum Ausdruck bringen, indem sie mit Beschriftungen, Plakatierungen, Transparenten usw. versehen werden. Zudem sei das gemeinsame Leben in dem selbstorganisierten Camp Ausdruck der Vision einer anderen solidarischen und gewaltfreien Gesellschaft. Das führte die Kammer zu folgender Ansicht:

„Danach stehen die der Übernachtung dienenden Zelte in einem engen funktionalen, organisatorischen bzw. symbolischen Kontext zu der kollektiven Meinungskundgabe. Davon wird insbesondere bei der Durchführung mehrtägiger Protestcamps als neuerer Versammlungsform ausgegangen, wenn diese (auch) das Ziel verfolgen, bereits durch tagelange Präsenz eine Stellungnahme der Kritik zu verbreiten und wenn die körperliche Anwesenheit der einzelnen Versammlungsteilnehmer nur sichergestellt werden kann, wenn gerade die "Nebeneinrichtungen" - hier die Zelte - dem Einzelnen die Teilnahme an dieser Form der Meinungsbildung und Meinungskundgabe ermöglichen [...].“

Weiter ging es in dem Beschluss noch um den sogenannten „Vorfeldschutz“. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit entfaltet seine Wirkung bereits im Vorfeld. „Der Aufenthalt in einem Camp mangels anderweitiger Unterbringungsmöglichkeiten wird dem durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Vorgang des Sichversammelns - vergleichbar mit der Anreise zu einer bevorstehenden Versammlung - gerechnet [...].“ Hierzu hatten die Antragsteller*innen dem Gericht vortragen können, dass z.B. der vor Ort befindliche Campingplatz die Aufnahme von Leuten, die am Protestcamp teilnehmen wollten, verweigerte.