Abgelehnte Asylbewerber*innen „tricksen, täuschen, simulieren“ (CZ)

Der Begriff „Anti-Abschiebungsindustrie“, mit dem CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im Mai hausieren ging, war so recht nach dem Geschmack der Rechtsextremen aller Couleur. Und dass Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, dem deutlich widersprach („Wer rechtsstaatliche Garantien in Anspruch nimmt, muss sich dafür nicht beschimpfen lassen.“), hat zwar zur Ächtung des Begriffs, nicht aber der dahinter stehenden Gedanken beigetragen. Im Zusammenspiel von AfD-Ratsfraktion, Verwaltungsspitze und Cellescher Zeitung wurde im September genau jenes Ressentiment bedient. Zu Recht skandalisierte der Niedersächsische Flüchtlingsrat die „Hetze gegen Geflüchtete“. Da nicht so offensichtlich ist, was sich hier abgespielt hat, wollen wir der Sache auf den Grund gehen.

Anfrage zu straffälligen Zuwanderern

Mitte April 2018 behauptete die WELT auf Grundlage einer Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion, dass trotz einer Gesetzesänderung nur wenige straffällige Ausländer abgeschoben würden („Fast alle ausländischen Straftäter bleiben im Land“). Das nahm die AfD-Fraktion im Celler Stadtrat zum Anlass für eine Anfrage:

„1. Wie viele straffällige ausreisepflichtige Zuwanderer, die wegen einer Straftat verurteilt sind, sind zuletzt im Stadtgebiet gemeldet? Bitte getrennt nach Staatsangehörigkeit angeben.
2. Wie viele gefährliche oder straffällige Zuwanderer wurden in dem Zeitraum seit 2014 abgeschoben bzw. sind freiwillig ausgereist. Bitte getrennt nach Jahr, Staatsangehörigkeit und Ausreiseart angeben. Haben die freiwillig Ausgereisten finanzielle Unterstützung erhalten? Wenn je ja, in welcher Höhe?
3. Sind der Verwaltung Fälle bekannt, bei welchen die freiwillig Ausgereisten wieder nach Deutschland zurückgekommen sind? Wenn Ja, bitte nennen Sie dazu die Anzahl der Personen und deren Staatsangehörigkeit.
4. Wie beurteilt die Stadtverwaltung die Zusammenarbeit mit dem Landkreis Celle und den zuständigen Landesbehörden bei der Abschiebung der ausreisepflichtigen Zuwanderer?“

Unter den vielen ähnlich gelagerten AfD-Anfragen zum Themenkreis Ausländer und Asyl fiel diese kaum auf. Die Antwort allerdings schon. Sie lag in der ersten Verwaltungsausschusssitzung nach dem Sommerferien am 21. August vor – vertraulich. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Trenkenschu bat darum, sie im öffentlichen Teil des Betriebsausschusses der Zuwanderungsagentur am 18. September zu behandeln. Der Oberbürgermeister sagte eine Prüfung zu, die das Ergebnis brachte, die Anfrage sei im nichtöffentlichen Teil zu behandeln.

„Gekommen um zu bleiben“ (CZ)

Das fand Michael Ende wahrscheinlich sehr lustig – nämlich einen ressentimentgeladenen Artikel gegen Geflüchtete mit einem Songtitel der flüchtlings-solidarischen Band „Wir sind Helden“ zu versehen. Breit zitierte er am 8. September aus der (vertraulichen) Verwaltungsvorlage, nicht ohne die Aussagen zuzuspitzen. Und als Kronzeugen bietet er Oberbürgermeister Dr. Jörg Nigge auf, der in der Überschrift mit dem Satz zitiert wird: „Der Staat darf hier nicht wegsehen.“

Eigentlich hätte die Antwort der Verwaltung knapp ausfallen können – und zu den ersten drei Fragen ist es auch so:

„Zu 1.: Im Stadtgebiet halten sich derzeit lediglich vier ausreisepflichtige Ausländer (türkisch, ukrainisch, vietnamesisch und ein ungeklärter Staatsangehöriger) auf, deren Ausreisepflicht lediglich auf Grund der Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland besteht. […] Darüber hinaus halten sich weitere neun ausreisepflichtige, ausgewiesene Straftäter in unterschiedlichen Justizvollzugsanstalten auf.
Zu 2.: Der folgenden Tabelle können die Daten zu ausgewiesenen und/oder abgeschobenen Straftätern aus dem Gebiet der Stadt Celle entnommen werden. [Laut Tabelle waren es seit 2014 31 Personen, überwiegend aus Osteuropa.] In den Jahren 2014 bis heute sind keine verurteilten Personen freiwillig ausgereist oder haben eine finanzielle Unterstützung erhalten. Die Abschiebung von Häftlingen erfolgt in der Regel direkt aus der Haftanstalt.
Zu 3.: Entfällt. Keiner der oben genannten Straftäter ist wieder in das Bundesgebiet zurückgekehrt.
Zu 4.: Die Zusammenarbeit bei Abschiebungen der Ausländerbehörde der Stadt Celle mit der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen und der Polizei Celle läuft grundsätzlich einwandfrei.“
Damit wäre die Anfrage beantwortet gewesen. Irgend-etwas aber treibt die Verwaltung dazu, im weiteren ausführlichst darauf einzugehen, warum sich 98 ausreisepflichtige Ausländer/-innen im Stadtgebiet Celle aufhalten. Und da sind wir dann bei der „Anti-Abschiebe-Industrie“. Denn: Obwohl sich jede einzelne der Personen legal, d.h. geduldet, im Stadtgebiet aufhält, suggeriert die Verwaltung für bestimmte Personengruppe anderes. Hier nur die gravierendsten zwei Punkte:

Reiseunfähigkeit aus medizinischen Gründen

„Eine weitere, nicht unerhebliche Anzahl der im Stadtgebiet befindlichen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer/innen wird aus medizinischen Gründen geduldet. So auch deren Familienmitglieder gem. Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz. Hier sieht sich die Ausländerbehörde mit unterschiedlichsten ärztlichen Attesten, Bescheinigungen und Gutachten durch Allgemeinärzte oder auch Fachärzte konfrontiert. Hier zeigt die Erfahrung, dass insbesondere die dem Klinikum Wahrendorff zugehörige und in Celle ansässige „Psychiatrisch-Psychosomatische Klinik“ (auch „Schlepegrellklinik“ genannt) Ausländerinnen und Ausländern ärztliche Gutachten ausstellt, in denen u.a. „Posttraumatische Belastungsstörungen“ (sog. PTMS) oder gar „akute suizidale Tendenzen“ attestiert werden, sodass zunächst eine durch den Mediziner angegebene Reiseunfähigkeit besteht. Ärztliche Gutachten werden häufig erst nach dem (vollziehbar) abgeschlossenen Asylverfahren ausgestellt, daher sind sie inhaltlich in der Regel den sog. „inlandsbezogenen Abschiebehindernissen“ zuzuordnen. Die Zuständigkeit der Be- und Auswertung dieser Gutachten liegt damit bei der Ausländerbehörde. Ein solches Gutachten kann nur in den wenigsten Fällen als „unzureichend“ beurteilt werden – dies wäre der Fall, wenn das Gutachten nicht den gesetzlichen Anforderungen des Aufenthaltsgesetzes entspricht. Es bedarf der Einschaltung des Amtsarztes bzw. eines von der Stadt Celle zu bezahlenden Facharztes, um ein Gegengutachten zur Bewertung der Reisefähigkeit erstellen zu lassen. Die Begutachtung durch den Amtsarzt führt in vielen Fällen nicht zur Feststellung der Reisefähigkeit. Ein Facharzt ist in der Lage sich mit der Komplexität des Sachverhaltes sowie den diversen Vor-Gutachten auseinanderzusetzen und eine eigene Bewertung der Sachlage vorzunehmen. Die Ausländerbehörde hat bereits in einem Fall ein solches Gegengutachten zur Feststellung der Reisefähigkeit erstellen lassen, dieses schlägt mit rd. 2.000€ zu Buche. Für ein geeignetes Gegengutachten ist somit pro Fall mit einer Bezahlung in Höhe von 2.000€ zu rechnen. Derzeit kann die Ausländerbehörde dies allerdings nicht bei allen betroffenen Personen leisten. So werden weitere 22 vollziehbar ausreisepflichtige Personen aus medizinischen Gründen (deren Familienmitglieder eingeschlossen) geduldet.“

Erzählt wird hier folgende Geschichte: Nach einem abgeschlossenen Asylverfahren wenden sich Personen, die von Abschiebung bedroht sind, an Ärzt*innen oder die Klinik Wahrendorff, wo ihnen u.a. Posttraumatische Belastungsstörungen attestiert werden. Damit sieht sich dann die Ausländerbehörde KONFRONTIERT. Mit bedauerndem Ton wird weiter mitgeteilt, dass die Gutachten „nur in den wenigsten Fällen als „unzureichend“ beurteilt werden“ könnten. Es bedürfe der Einschaltung des Amtsarztes bzw. eines von der Stadt Celle zu bezahlenden Facharztes, „um ein Gegengutachten zur Bewertung der Reisefähigkeit erstellen zu lassen.“ Warum aber überhaupt ein Gegengutachten? Weiter heißt es: Auch die „Begutachtung durch den Amtsarzt führt in vielen Fällen nicht zur Feststellung der Reisefähigkeit.“ Deshalb, so die weitere Argumentation, müssten Fachärzt*innen für Gegengutachten eingeschaltet werden, die aber 2000 Euro kosten würden. Und weil man sich das nicht für alle Personen leisten könne, würden Personen geduldet – der Zusammenhang wird über das kleine „so“ hergestellt. Die Behauptung ist am Ende: Die bestehenden Gutachten zur Reiseunfähigkeit würden fachärztlichen Gegengutachten nicht standhalten.

Michael Ende bringt es in der Celleschen Zeitung dann auf den gemeinten Punkt: „Zum Beispiel soll es üblich sein, sich mittels erschlichener psychologischer Gutachten für Jahre aus der Affäre zu ziehen.“ „Gefälligkeitsgutachten“ nennt er es im Kommentar. Und er kann OB Nigge damit zitieren, dass sich „mittlerweile ein Kreis von Ärzten herauskristallisiere, die primär von Asylsuchenden gewählt würden. Hier würde bereits eine einfach Amtsarztpflicht möglichem Missbrauch vorbeugen.“ Nigge unterstellt hier Ärzt*innen Missbrauch – und geht damit über den schon zweifelhaften Ton der Verwaltungsvorlage noch hinaus.

Gegen die Geflüchteten wird ganz offen ein Ressentiment geschürt,wenn es heißt:

„Ebenfalls unter den Bereich der aus medizinischen Gründen geduldeten Ausländer/-innen fallen solche Personen, die am Tage der durchzuführenden Abschiebung ohne vorheriges Indiz (Attest u.ä.) einen Anfall, Herzattacke oder ähnliches vorzuspielen scheinen. Hier sind die vollziehenden Akteure angehalten einen Notarzt hinzuzuziehen und die Abschiebung (für die gesamte Familie) abzubrechen. Wurde eine solche Abschiebung abgebrochen, erhält die Ausländerbehörde zeitnah Atteste über die scheinbare Reiseunfähigkeit bzw. Krankheit der/des Abzuschiebenden.“

Es ist einfach unglaublich, dass eine Behörde, wenn sie denn ein Attest über Reiseunfähigkeit bekommt, diese Reiseunfähigkeit mit dem Adjektiv „scheinbar“ versieht und behauptet, Anfälle, Herzattacken oder ähnliches seien „vorgespielt“. Ohne jeden Beleg dafür vorweisen zu können.

Gegenüber der taz wies Rainer Brase, Geschäftsführer des Klinikums Wahrendorff, die Unterstellungen zurück: „Unsere Ärzte sind keine Dilettanten. Sie lassen sich nicht leicht durch vorgespielte Erkrankungen täuschen.“ Viele Geflüchtete zeigten Zeichen einer PTBS oder steckten in akuten suizidalen Krisen. „Das sind die Folgen der Grausamkeiten eines Krieges“, sagt Brase. „Es macht mich betroffen zu sehen, wie wir mit den Flüchtlingen umgehen.“ Die Bundespsychotherapeutenkammer (BptK) vertritt die Position, dass mindestens etwa ein Viertel der Flüchtlinge in Deutschland unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet.

Anwälte mit „Beraterfunktion“

Kritisiert wird auch eine weitere Personengruppe, nämlich Rechtsanwält*innen und Mitarbeiter*innen von Beratungsstellen. Die Verwaltung meint:

„Zahlreiche Anwälte scheinen derart spezialisiert, dass sie eine Beraterfunktion einnehmen, um mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln - zum größten Teil nach vollständiger Ausschöpfung des Rechtsweges - eine Maximierung der Aufenthaltsdauer, ggf. auch einen dauerhaften Aufenthalt, erreichen zu können. Zudem werden weitere Einzelpersonen oder auch Organisationen beratend und unterstützend tätig und treten für die Interessen der Ausreisepflichtigen ein. Auch diese „Beratungsstellen“ spielen im Zusammenhang der Verlängerung der Aufenthaltsdauer eine zentrale Rolle, da sie bei unterschiedlichen Personen mitwirken und entsprechende Ratschläge erteilen.“

Rechtsanwaltsbüros und Beratungsstellen machen ihren Job. Das Verwerfliche aus Sicht der Verwaltung ist offensichtlich, dass sie ihren Job gut machen, dass sie „für die Interessen der Ausreisepflichtigen eintreten“ - wofür sie im übrigen auch bezahlt werden. Und Beratungsstellen sind Beratungsstellen, wer sie in Anführungszeichen setzt, macht dies mit herabsetzender Absicht.

„Hetze gegen Geflüchtete“

Auf den Artikel und die Kommentierung durch den Oberbürgermeister reagierten zunächst das Ratsmitglied Behiye Uca (Die Linke) und Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat. Und erfreulicherweise gab es auch schnell einige Leser*innen-Briefe. Behiye Uca nannte es „skandalös, wie die Verwaltung mit ihrer Antwort Wasser auf die Mühlen der AfD leitet.“ Und weiter:
„Wenn Abschiebehindernisse gegeben sind, ist eine Duldung zu erteilen. Dabei unterliegt es nicht der Bewertung durch die Verwaltung, in welcher Weise Anwältinnen und Anwälte für ihre Mandantinnen und Mandanten tätig werden. Geradezu sprachlos macht die in den Raum gestellte Behauptung, bei Abschiebungen würden Herzattacken vorgespielt. Insgesamt stellt die Verwaltung mit in ihren kommentierenden Passagen rechtsstaatliche Verfahren in Frage. [...] Leider bedient sich auch die Lokalpresse des Sounds der Rechtsextremisten, wenn sie von „Tricksen, Täuschen und Simulieren“ schreibt. In diesem Sinne ist auch die Kritik des Oberbürgermeisters an begutachtenden Ärztinnen und Ärzten einfach unverschämt. Wenn er die Auffassung vertritt, der Staat dürfe hier nicht wegsehen, um die Menschen nicht an Randparteien zu verlieren, bedient genau deren Ressentiment.“

Der Flüchtlingsrat kritisierte selbstverständlich die Ausfälle gegen Ärzt*innen und Rechtsanwält*innen, bewertete dann aber auch die politische Seite des Skandals:

„Aus der 2015 auch von der Stadt Celle proklamierten „Willkommenskultur“ ist wieder die alte, aus früheren Jahren sattsam bekannte Cellesche Feindbilderklärung gegen Jurist*innen und Menschenrechtler*innen geworden, die den reibungslosen Vollzug von Abschiebung behindern. Der Celler Oberbürgermeister Jörg Nigge (CDU) rundet die ganze Inszenierung mit einem „Appell an die Landes- und Bundesregierung“ ab, „bei der Abschiebepolitik klare Grenzen zu ziehen“.

In der Stadt Celle scheint die AfD den Diskurs in der Flüchtlingspolitik zu bestimmen. Durchsichtig und fragwürdig der Versuch des Oberbürgermeisters, sich selbst als Mahner und Exekutor der von der AfD definierten und von der Stadt Celle publizistisch inszenierten „Probleme“ darzustellen, selbstverständlich um zu verhindern, dass „die Menschen sich den Randparteien … zuwenden“. Der Schuss wird absehbar nach hinten losgehen und der AfD zu weiterem Auftrieb verhelfen.
Traurig ist aber auch, dass die Cellesche Zeitung die von der Stadt Celle vorgenommene Inszenierung nicht hinterfragt, sondern befeuert. Von einer kritischen Berichterstattung ist zu erwarten, dass sie Fakten prüft und Fragen stellt.“

„Nur Fakten geschildert“

Nigge behauptete daraufhin über die CZ, er habe „nur Fakten geschildert“. Mit keinem Wort ging er auf die Vorwürfe ein, sondern kennzeichnete sie als „Polemik“. Für ihn gelte seit eh und je eine „Nulltoleranz bei Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“: „Da helfen aber keine politischen Worthülsen, sondern klare Handlungsleitlinien und Ziele.“ Die Cellesche Zeitung hatte ihn im ersten Artikel mit dem Satz zitiert: „Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir zwingend auf die Sorgen unserer Bürger hören und sie gleichzeitig ernst nehmen müssen, wenn wir nicht weitere Verwerfungen wie jüngst in Chemnitz riskieren wollen.“ Wer ihn wie seine Kritiker*innen an rechtsstaatliche Prinzipien erinnert, polemisiert. Ernst zu nehmen ist dagegen das Abschiebegeschrei sogenannter besorgter Bürger. Und da sind die rechtsextremistischen Straftaten in Chemnitz dann eben auch nur „Verwerfungen“.

„Tricksen, täuschen, simulieren“

Statt Journalismus zu betreiben, täuscht die CZ ihre Leser*innen, indem sie u.a. mit einer Tortengrafik suggeriert 98 Personen würden ihren Aufenthalt in Celle mit „Abschiebungs-Verhinderungsstrategien“ bewerkstelligen. Hier lohnt sich ein Blick auf die Gründe, die zu einer Duldung, also der „vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung“, geführt haben:

1. Härtefalleingabe (25 Personen)

Das Aufenthaltsgesetz ermöglicht Bundesländern, sogenannte Härtefallkommissionen einzurichten. Die Kommission soll Ausländer*innen eine letzte Chance auf einen legalen Aufenthalt in Deutschland ermöglichen und prüft die vorgebrachten humanitären oder persönlichen Gründe. Im Kern geht es dabei darum, wie weit die Personen integriert sind (Sprache, Arbeit, Schule etc.).

2. Ausbildungsduldung (8)

Im August 2016 trat mit dem Integrationsgesetz die sogenannte 3+2-Regelung in Kraft, nach der Geduldete während einer qualifizierten Berufsausbildung eine spezielle Ausbildungsduldung bekommen können. Die Erteilung der Duldung und der anschließenden Aufenthaltserlaubnis ist als Rechtsanspruch formuliert.

3. Medizinische Gründe (22)

Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht reisefähig ist, darf (noch) nicht abgeschoben werden. Die Bedingungen sind im Aufenthaltsgesetz geregelt. Es muss eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung vorgelegt werden. Bei Zweifeln kann die Ausländerbehörde eine ärztliche Untersuchung anordnen. Für all das gibt es Gesetze, Verwaltungsvorschriften, Verwaltungsgerichtsurteile usw.

4. Deutsche Bezugspersonen (15)

Das Grundgesetz schützt Ehe und Familie. Und so muss eine Person bei beabsichtigter Heirat oder bei Kind mit einem/einer deutschen Staatsangehörigen bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels geduldet werden. Im Kommentar fällt Michael Ende dazu der Begriff „Scheinehe“ ein. Er hätte wissen können, dass Scheinehen keinen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel begründen und im übrigen auch strafbar sind.

5. Familienangehörige nicht ausreisepflichtig (11)

Die Europäische Menschenrechtskonvention sichert ein Recht auf Achtung des Familienlebens. In der Konsequenz heißt das dann z.B., dass ein/eine abgelehnte/r Ehepartner*in geduldet werden muss, bis auch über die/den Partner*in eine Entscheidung getroffen ist.

6. Identität ungeklärt, kein Pass (8)

Wenn kein Pass vorhanden ist, kann nicht abgeschoben werden – also gibt’s eine Duldung. Die/der Geduldete/n hat eine Mitwirkungspflicht. Viele Botschaften sind aber nicht bereit, Pässe auszustellen.

7. Andere Gründe (9)

Hier wird zum Beispiel die Minderjährigkeit der betroffenen Person genannt.

Ganz offensichtlich nehmen alle Personen rechtsstaatlich gegebene Möglichkeiten in Anspruch, um eine Duldung zu bekommen, um nicht abgeschoben zu werden.

„Unhaltbarer Zustand“ (Henning Otte)

Die Stimmen aus den übrigen Parteien sind teilweise unhaltbar. Der Bundestagsabgeordnete Otte (CDU) etwa äußerte: „Wenn ein rechtskräftig abgelehntes Asylgesuch keine Folgen hat, ist dies den Menschen nicht zu vermitteln.“ Was hat dieser Mensch im Bundestag zu suchen? Erstens: Es hat immer Folgen – z.B. die Erteilung einer Duldung. Zweitens: Er selbst hat das Integrationsgesetz mit der Möglichkeit der Ausbildungsduldung beschlossen. Und das ist jetzt nicht vermittelbar?

Ähnlich der Landtagsabgeordnete Thomas Adsch (CDU): „Wer kein Recht auf Asyl […] hat, muss unser Land wieder verlassen.“ Nein, Herr Adasch – in dem Bundesland, in dem Sie Abgeordneter sind, gibt es z.B. eine Härtefallkommission. Und die kann beschließen, Menschen ein Aufenthaltsrecht zuzubilligen, die kein Recht auf Asyl haben.

Die Celler SPD-Bundestagsabgeordnete Kirsten Lühmann wirft Nigge vor, er gieße „nur Öl ins Feuer und bediene Vorurteile“, wenn er die Härtefallkommission „völlig diskreditiere“ oder pauschal jedes ärztliche Attest in Frage stelle. Überflüssigerweise aber fordert sie Veränderungen für Konstellationen, die alle gesetzlich geregelt und zum Teil auch gerade erst mit ihrer Stimme verschärft wurden.

Und nebenbei: Bis auf Behiye Uca kritisierte niemand Michael Ende und die CZ. Den ersten Platz als Brandstifter kann aber fraglos die Heimatzeitung und ihr Redakteur beanspruchen.