Gärtnern in der Stadt ist im Trend. Nicht nur als "Urban Gardening". Auch die alten Schrebergartenkolonien erhalten wieder Zulauf. Die Beschäftigung mit den Auswüchsen der industriellen Landwirtschaft genauso wie der Wunsch, regional und bio zu essen, sind die Basis. Und wer sich die Zeit nehmen kann, kommt so schnell auf den Gedanken, selbst Gemüse anzubauen. Dass und wie einen dabei aber die Sünden der Industriegesellschaft einholen können, zeigt sich jetzt auch in Celle. Die Kleingartenkolonie Hospitalwiesen, die gerade ihr 80. Jubiläum feiern konnte, ist belastet mit Schwermetallen und Benzo(a)pyren. Als skandalös hat sich dabei der Umgang des Vorstands des Kleingartenvereins erwiesen. Er unterließ es, seine Mitglieder über das seit langem bestehende Problem zu informieren.
"Die Parameter Blei und Benzo(a)pyren der Bodenprobe aus dem Tiefenbereich 30-60cm erreichen bzw. überschreiten mit 0,15 mg/kg TS bzw. 1,01 mg/kg TS [= Trockensubstanz] die Prüfwerte von 0,1 mg/kg bzw. 1,0 mg/kg TS geringfügig. Das Erreichen bzw. Überschreiten der Prüfwerte löst einen Handlungsbedarf hinsichtlich einer fachlichen Prüfung der vorliegenden Verhältnisse (hier Kleingartennutzung auf Altablagerung) aus."
So lautet ein Teil des Analyseergebnisses der Fugro Consult Burgdorf für eine Bodenprobe aus der Kleingartenkolonie Hospitalwiesen in der Blumlage.
Über den Boden kommen die Schadstoffe in die Pflanzen und bei Verzehr dann in den Menschen. Und da können sie Verheerendes anrichten: Blei wirkt beim Menschen toxisch auf das Nervensystem, das blutbildende System, die Nieren und auch das Herz-Kreislaufsystem. Die Folgen können sein: Verminderung von Lern- und Gedächtnisleistungen, Blutarmut und Nierenfunktionsstörungen. Ergebnisse aus Tierversuchen liefern zudem Hinweise auf eine krebserzeugende Wirkung von Blei. - Benzo[a]pyren ist ein polycyclischer aromatischer Kohlenwasserstoff (PAK) und eine der am längsten bekannten krebserregenden Substanzen.
Vom Traum des ökologischen und gesunden Gärtnerns kann man sich in der Kleingartenanlage Hospitalwiesen verabschieden. Herausgekommen ist dies jetzt, weil zwei neue Pächterinnen nach dem Hochwasser vom Frühjahr eine Bodenprobe auf ihrer Parzelle nahmen und das Ergebnis großen Anlass zur Sorge bot: Bei Blei und Cadmium waren die Grenzwerte der Klärschlammverordnung überschritten. Daraufhin entnahm der zuständige Abfallzweckverband eine offizielle Probe mit dem oben zu lesenden Ergebnis (siehe Interview im Folgenden).
Nun durfte sich niemand hinsichtlich der Hospitalwiesen einer Illusion hingeben. Bis zum Bau des Allerdamms in den 1930er Jahren war die Fläche bei Allerhochwasser wahrscheinlich regelmäßig überflutet. 3000 Jahre Metallgewinnung im Nordharz haben ihre Spuren hinterlassen: Die Flusslandschaften sind über Oker, Aller und Weser bis hin nach Bremen mit Schwermetallen belastet. Das Niederschlagswasser, das durch die Abfallhalden der Hütten strömte, spült Blei, Zink und Cadmium in die Oker - und von dort flussabwärts. Und durch die regelmäßigen Überschwemmungen sind dann auch die Böden der Flussauen belastet. Doch wahrscheinlich ist dies für die Hospitalwiesen nicht die wesentliche Größe. Die Industrialisierung hatte nämlich auch in anderer Hinsicht ihre Schattenseiten. Die Benzo(a)pyrene entstehen unter anderem bei der unvollständigen Verbrennung von organischen Stoffen (z.B. bei Auto- und Industrieabgasen).
Hinzu kommt, dass gerade Kleingartenanlagen oft auf Altlastflächen entstanden sind, wo zum Teil über Jahrzehnte ungeordnet Abfälle von Haus- und Gewerbemüll und dergleichen landete. So auch beim Kleingartenverein Hospitalwiesen: Bauschutt gilt hier als die Quelle der Kontamination mit Schwermetallen.
Der Gesetzgeber hat sich erst vor 15 Jahren grundsätzlich mit diesen Problemen befasst. Das im März 1998 verabschiedete Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchuG) verfolgt den Zweck, die Funktionen des Bodens nachhaltig zu sichern oder wieder herzustellen. Schädliche Bodenbelastungen sollen abgewehrt und bestehende Belastungen saniert werden. In einer Durchführungsverordnung wurden so genannte Vorsorge-, Prüf- und Maßnahmewerte festgeschrieben. Dabei unterscheidet man zwischen unterschiedlichen Wirkungspfaden je nach Nutzung des Bodens. Es geht um die menschliche Gesundheit, die Qualität von Nahrungs- und Futterpflanzen sowie das Bodensickerwasser auf dem Weg zum Grundwasser.
Dabei gibt es unterschiedliche Analyseverfahren: das Bestimmungsverfahren nach "Königswasser" (KW), wo die Bodenschadstoffe durch ein Salpeter-/Salzsäuregemisch gelöst werden, und der so genannten "Ammoniumnitrat-Extrakt" (AN) sind die gängigsten. Bei direkten Wirkungspfad Boden - Mensch, was z.B. die Gefahr betrifft, dass Kinder den Sand von Spielplätze "essen", wird nach KW beprobt. Beim Wirkpfad Boden - Pflanze mit dem AN-Verfahren. Dabei ergeben sich sehr unterschiedliche Werte, wonach dann die unterschiedlichen Grenzwerte festgelegt werden. So liegt der Prüfwert für Blei bei Kinderspielplätzen bei 200 mg/kg TS Im KW-Verfahren, beim Wirkpfad Boden-Pflanze dagegen bei 0,1 mg/kg TS im AN-Verfahren.
Das führt leider häufig zu Verwirrung, denn die Anbieter für Bodenproben, die im Internet aufzuspüren sind, beproben noch wieder in einem anderen Standard, in der Regel über einen Salpetersäure-Auszug. Die privat in der Kleingartenkolonie Hospitalwiesen genommene Probe wies nach einem solchen Verfahren 101 mg/kg TS bei Blei und 2,57 mg/kg TS bei Cadmium auf. Die im AN-Verfahren ausgewertete, "offizielle" Probe kam bei Blei auf 0,15 mg/kg TS. Diese gravierenden Unterschiede ergeben sich aus der abweichenden Methodik. Nun ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass beim AN-Verfahren nur der Anteil des jeweiligen Schadstoffes erfasst werden muss, der für die Pflanzen verfügbar ist - und hat als Grenzwerte bei diesem Verfahren 0.1 mg/kg bei Blei und 0,04 mg/kg TS bei Cadmium festgelegt.
In einer Broschüre des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde mit dem Titel "Gärtnern - trotz Bodenbelastung" vom August 2007 sind dennoch für alle Pflanzenarten "Bedenklichkeitsstufen" nach dem KW-Aufschlussverfahren angegeben. Und danach dürfte außer Kartoffeln und Fruchtgemüse wie Bohnen, Gurken, Tomaten und Zucchini nichts mehr angebaut werden.
So ist es durchaus nachvollziehbar, dass die Stadt nach der ersten Beprobung im Jahr 2000, die Kleingärtner darauf hinwies, dass "Gemüseanbau [...] nicht mehr betrieben werden" sollte, wie es in der CZ vom 14.10.2013 zu lesen war. Und hier wird es jetzt - überspitzt gesagt - kriminell. Denn weder der damalige KGV-Vorstand, noch seine Nachfolger wiesen die Pächter*innen auf diesen Umstand hin. Seit über zehn Jahren bauen sie also Gemüse an, das beim Verzehr gesundheitlich negative Folgen haben kann.
Der Gipfel des Skandals besteht darin, dass in den letzten Jahren ein Projekt des Jobcenters, durchgeführt vom der Konfides GmbH, dafür sorgt, dass Gemüse aus der Kleingartenanlage über die "Celler Tafel" verteilt wurde. Dies wurde sofort eingestellt, nachdem die Problematik öffentlich wurde. Aber vor diesem Hintergrund stellt sich letztlich auch die Frage, ob sich der Vorstand des Kleingartenvereins strafbar gemacht hat.
Die Fraktion Die Linke/BSG hat beantragt, dass der ganze Vorgang in der nächsten Sitzung des Ausschusses für öffentliche Einrichtungen, Umwelt und Klimaschutz am 7. November dargestellt wird.
Die ganz informative Broschüre des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde steht im Internet zum Download unter:
http://www.kleingarten-bund.de/downloads/bdg_bodenbelastung.pdf