Gespräch mit Stefan Eichardt vom Kino achteinhalb

Kino achteinhalbrevista: Wir haben euer Filmfestival "Migration im Film" besucht. Bei den Filmen "Can't be silent" und "Die Piroge" - zwei Streifen, die gerade erst in den Kinos angelaufen sind, vermissten wir das vertraute Geräusch des 35mm-Projektors, denn die Filme liefen nicht auf eurer großen Maschine, sondern beinahe lautlos über euren neuen Beamer. Hat der Projektor ausgedient?

Stefan: Wenn ich ausholen darf ...

??: Das haben wir befürchtet...

!!: Die Kinoprojektionstechnik blieb über 100 Jahre unverändert. Die erste öffentliche Filmvorführung fand 1895 in Berlin etwa zwei Monate vor der legendären Filmvorführung der Brüder Lumiere in Paris statt. Die damaligen Filmpioniere waren übrigens die Brüder Skladanowsky. Bevor wir vor 19 Jahren im Zuge der Namensgebung auf "achteinhalb" kamen, war "Skladanowsky" neben "Filmkolchose Südheide" favorisiert. Die Aussicht, dass kaum jemand diesen Namen richtig aussprechen, geschweige den schreiben werden würde, hielt uns dann von "Skladanowsky" ab. Das, was sich im Laufe von über 100 Jahren änderte, war das Filmmaterial vom entflammbaren Zelluloid - das heutzutage noch für Tischtennisbälle verwendet wird - auf das brandschutzsichere Polyestermaterial, die verschiedenen Filmformate und vor allem die Tontechnik. Die Projektionstechnik und damit die Projektoren blieb aber über 100 Jahre im Prinzip unverändert.

Unser 35mm-Projektor ist übrigens eine tschechische Meopta aus der ehemaligen DDR. Die gängigen Projektoren in bundesdeutschen Kinos waren für uns unerschwinglich, insofern gehören wir auch zu den Profiteuren des Mauerfalls. Angefangen hatten wir mit einer mobilen TK-35 aus NVA-Beständen.
Das Aus für die 35mm-Projektion gilt seit Ende der 1990er-Jahre als beschlossene Sache. Es ist ähnlich wie bei den fossilen Brennstoffen. D35 mm Projektorass es zu Ende geht, wusste jeder, der vom Fach ist, nur über die Zeitspanne herrschte Ungewissheit und es gab unterschiedlichste Prognosen. Für eine Digitalisierung des Filmabspiels gibt es seit langem plausible Gründe und Interessen, die im wesentlichen mit Kostenersparnissen auf Seiten der Filmproduktion verbunden sind: 1) In den 1990er-Jahren lief bis auf das analoge Abspiel im Kino die gesamte Filmproduktion bereits digital. Nach Ende der Dreharbeiten bzw. des Schnitts musste das digitale Filmmaterial auf das analoge 35mm-Medium konvertiert und kopiert werden. Diesen Schritt wollte man einsparen. 2) Es gab ein ausgeprägtes wirtschaftliches Interesse der Filmverleiher zu digitalisieren. Die Herstellung der Filmkopien ist digital wesentlich preiswerter als analog: Wenn ein Verleih mit durchschnittlich 120 analogen 35mm-Kopien (Blockbuster gehen in Deutschland mit ca. 900 Kopien an den Start, in den USA sicherlich entsprechend mehr) an den Kinostart ging, kostete ihm das ca. 1000 Euro pro Kopie. Davor musste er noch für ca. 10.000 Euro eine Masterkopie erstellen. Digitale Kopien hingegen befinden sich auf gängigen Wechselfestplatten, die immer wieder verwendet werden können - was übrigens auf Dauer auch CO2-sparender ist. 35mm-Filmkopien wurden wenige Wochen nach Kinostart geschreddert und chemisch behandelt. Die Lager-, Transport- und Entsorgungskosten sind deshalb für die Verleiher wesentlich preiswerter als bei den schwergewichtigen und großräumigen 35mm-Kopien. Aus Produktion und Vertrieb gab es so, ein großes Interesse und Druck auf die Kinos zu digitalisieren, um die Kosten für die 35mm-Infrastruktur einzusparen. Die Ausgaben für die notwendigen Investitionen hierfür wurden den Kinos aufgebürdet. Kinos stehen aber seit DVD, Internet und TV eh verstärkt unter Druck und haben eine geschwächte Marktposition gegenüber den anderen Playern, da sich hinter ihnen immer größere, rentablere und kürzere Verwertungsfenster für die Filmproduzenten auftaten in Form von DVD, Internet und TV. Ein Gewinner der Digitalisierung sind übrigens kleine, unabhängige Filmemacher*innen, die so ihre Low-Budget-Filme selbst kinofertig herstellen und Kinos wie dem achteinhalb anbieten können, ohne einen fünfstelligen Betrag aufbringen zu müssen.
Seit Ende der neunziger Jahre gibt es eine mächtige Initiative der Majors, das sind die großen marktführenden US-Filmstudios Warner, Fox, Disney, Sony, Paramount und Universal, von deren Mainstream-Produktionen und Blockbustern die kommerziellen Kinos abhängig sind, das digitale Abspiel ihrer Filme in Kinos nur auf Grundlage des von ihnen spezifizierten DCI-Standards (DCI = Digital Cinema Initiatives) zuzulassen, nach außen hin verbunden mit der "visionären Losung", einen Standard zu schaffen, der wieder 100 Jahre währt.

 

??: Wir hatten aber bisher nicht den Eindruck, dass Hollywood-Produktionen im Programm des achteinhalb eine Rolle spielen. Inwiefern betrifft euch die Politik der Majors?

!!: Das stimmt, wenn wir US-amerikanische Filme zeigen, dann in der Regel Independent-Produktionen. Viele kleine deutsche Filmverleihe haben aber den Vertrieb ihrer Filme outgesourct an größere Verleihe oder Verleihagenturen. Die Disposition von Warner in Deutschland vertreibt daher seit langem die Filme des hochwertigen deutschen Verleihs X, und Fox die Filme des deutschen Verleihs Prokino. Somit gelten für die deutschen Verleiher Prokino und X die Regeln der US-Majors. Tatsächlich ist es so, dass Filme von X und Prokino bei uns sehr gute Resonanz fanden und oft ein Highlight in unserem Programm bildeten. Mit Constantin hat sich ein großer deutscher Verleih der Vertriebspolitik der Majors angeschlossen. Aber bei Constantin ("Hier spricht Edgar Wallace"), traditionell einer der Hauslieferanten des Kammerkinos, haben wir andererseits in 19 Jahren nur einmal einen Film geliehen.
Kino achteinhalbDie Majors befürchteten einen Wildwuchs im digitalen Abspielbereich (ausufernder als im VHS-Bereich mit PAL, SECAM und NTSC). Ein Nebeneinander unterschiedlicher Standards hätte u.a. zur Folge gehabt, dass man seine Filme unverschlüsselt hätte ausliefern müssen, um all die unterschiedlichen Abspielgeräte bedienen zu können. Parallel gab es zu der Zeit Ende der 1990er Jahre das warnende Beispiel im Audiobereich, wo auf Grund von Raubkopien und Filesharing die Umsatzzahlen der CD-Verkäufe rückläufig waren. Um Raubkopien entgegenzuwirken, wollten die Majors einen Standard begründen und durchsetzen, in dem eine Verschlüsselungstechnologie implementiert war. Angesichts der aktuellen Raubkopienlage mag man zwar an der Wirksamkeit dieser Verschlüsselung zweifeln, nichts desto trotz kann ich verstehen - Amerikaner hin, Amerikaner her, wenn jemand sagt, dass er mittels Kopierschutz Kontrolle über seine Produkte ausüben möchte, auch wenn der Aufwand, den die Majors an dieser Stelle erzeugt haben, auf mich schon "paranoid" wirkt.
Der entscheidende Punkt für das Kino achteinhalb und andere kleine Kinos in dieser Gemengelage ist, dass die Majors hier ganz einseitig ihre Interessen definiert haben, diese standardisiert und am Markt durchgesetzt haben, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, wie sich das preislich für die einzelnen Kinos gestaltet. Die Auflagen für eine DCI-zertifizierte Projektionstechnik orientieren sich ausschließlich an großen Kinos und das Bespielen großer Säle. Die Auflagen sind zudem technisch anspruchsvoll, deswegen sind auch nur wenige Hersteller in den Markt eingestiegen. Der Konkurrenzkampf war daher entsprechend gering, die Margen extrem hoch. Die Preise für die neue Technik fielen dann derart hoch aus, dass von Anfang klar war, dass das de facto mit einer "Marktbereinigung" einhergehen wird. Ende 2012 gab es bundesweit 1652 im Vergleich zu 1714 Kinos im Jahr 2010. Bei den Leinwänden reduzierte sich das von 4699 auf 4617 und statt 954 Orten werden nur noch 909 bespielt. Der Vertrieb von 35mm-Kopien ist jetzt Mitte 2013 so gut wie vollständig eingebrochen. Was das für kleine Kinos und deren Programmgestaltung bedeutet, kann man z. B. auf der Internetseite des "Anderen Kinos" in Lehrte (www.das-andere-kino.de) nachvollziehen. Wie viele dieser Kinos es 2014 nicht mehr geben wird, wird man ja bald wissen.
Entsprechend hoch gestalteten sich die Preise für die neue Technik. Die Digitalisierung der Kinos setzte in den USA nennenswert ab 2007 ein - in Deutschland ab 2010. Anfangs kostete eine DCI-lizenzierte Technik ca. 80.000 Euro netto pro Leinwand, 3-D kostete zusätzlich 30.000. Kein Kino hätte von sich aus freiwillig digitalisiert, aber die Alternative, keine Kopien der Majors mehr spielen zu können, ließ den Kinos keine Wahl.
Jetzt, wo der Markt weitestgehend gesättigt ist, sind die Preise auf 40.000 netto gefallen, die 3-D-Option auf 10.000. Die Preise in Deutschland liegen aber immer noch ca. 20 % über den Preisen in den USA, was daran liegt, dass in Deutschland im Unterschied zur USA die Kinos - abhängig vom Bundesland - zu 50 % bis 90 % subventioniert worden sind. Was übrigens Kinos schon mal unerwähnt lassen, wenn sie die Erhöhung ihres Eintritts mit diesen Kosten begründen. Aber nicht nur, dass die Hersteller auf dem deutschen Markt einen Teil des Subventionsbetrages von vornherein in ihren Preis als Aufschlag mit einkalkuliert haben, die Subventionen gingen auch nur an sogenannte "Kriterienkinos". Kleine Kinos wie das achteinhalb und größer - d.h. Kinos mit weniger als 8.000 Zuschauer pro Leinwand im Jahr - wurden als "Drop-Out-Kinos" bezeichnet und kategorisiert und unabhängig von ihrer konkreten Programmarbeit als nicht förderungswürdig eingestuft. Der Beauftrage der Bundesregierung für Kultur und Medien ging im Mai 2010 in seiner Vorlage an den Bundestag davon aus, dass ca. 3.700 Leinwände mit Hilfe von Zuschüssen digitalisiert werden würden und dementsprechend ca. 900 Leinwände als sogenannte Drop-Outs hinten rüber fielen. Wenn man das Kino achteinhalb aus Sicht eines Verleihers oder gar eines Majors sieht, kann man das wie folgt betrachten: Die Erstverwertung erfolgt im Kino, das mittlerweile auch die Funktion hat, Filme bekannt zu machen, damit sie erfolgreich als DVD vermarktet werden können. Innerhalb des Erstverwertungsfenster des Kinofilms von 4-6 Monaten spielt das achteinhalb den Film nach ca. acht Wochen, also nachdem der Film ausgewertet worden ist. Ein kommerzielles Kino führt etwa 43 % des Eintrittpreises an den Verleih ab. Das ist das Geschäft des Verleihs. Ein Film wie "Kokowääh 2" von Til Schweiger mit 2,7 Millionen Besucher*innen spült Warner mehrere Millionen in die Kasse. Kino achteinhalb zeigt in der Regel Filme mit weniger als 100.000 Zuschauern und zahlt dem Verleih dafür in der Regel lediglich eine Mindestgarantie von 150 Euro.

??: Das heißt, dass eure Meo definitiv ausgedient hat. Wie sieht euer Plan für die Zukunft aus?

Kino achteinhalb!!: Wir hatten einen guten Plan, den wir im August umsetzen wollten, aber nicht konnten. Die meisten deutschen Verleiher verschlüsseln ihre Festplatten nicht, sparen somit Lizenzgebühren und vertrauen darauf, dass die Kinos sich korrekt verhalten und keine Raubkopien in Umlauf bringen. Gewerbliche Kinos, die auf Mainstreamfilme angewiesen sind, haben keine Wahl und müssen die teure, DCI zertifizierte Technik kaufen. Wir können aber relativ gut mit einem Programm leben, dass auf die Filme der Verleiher verzichtet, die darauf bestehen, dass man ein Produkt einsetzt, das mit ihrer Verschlüsselung klarkommt. Würde es die Verschlüsselung nicht geben, hätte sich ja ein Markt entwickeln können, der auch Low-Budget-Lösungen für kleine Kinos anbietet. Da man zum Abspiel digitaler Filme im Prinzip nur einen PC, Software und einen Beamer benötigt, ließe sich digitales Kino auch locker für 10.000 Euro realisieren. Ein 90-minütiger digitaler Kinofilm hat eine Größe von ca. 150 GB und ist das Hochwertigste, was es an Film gibt. Dennoch könnte man den Film - insofern er nicht verschlüsselt ist - notfalls auf einem PC mit dem VLC-Mediaplayer abspielen wie den gleichen Film im MP4-Format, der dann eine Größe von ca. 400 MB hätte. Eine deutsche Firma hat nun einen eigenen Server entwickelt, der ca. 20.000 Euro kostet und in der Lage ist, unverschlüsselte DCI-Filme abzuspielen. Die Sparkassenstiftung hat uns angeboten, uns beim Kauf mit 15.000 Euro zu unterstützen. Ich rief Anfang August bei der Firma an, um deren Hard- und Software zu kaufen, da wurde mir mitgeteilt, dass der Vertrieb Ende Juli aus strategischen Gründen eingestellt worden sei. Das war ein echter Schock für uns. Das "Kino im Sprengel" in Hannover hatte als letztes Kino vier Wochen zuvor dieses Produkt gekauft. Um keine Wartungsverpflichtungen einzugehen, wurde der Verkauf vorhandener Geräte kategorisch abgelehnt.
Es gibt jetzt also nur noch Geräte zu kaufen, die für den verschlüsselungsfähigen DCI-Standard der Majors zertifiziert sind. Auf dem deutschen Markt gibt es drei Hersteller, die so etwas anbieten. Aktuell kostet die preiswerteste Lösung 40.000 netto. Wir hoffen nun, dass die Subventionen für Kinos 2014 nicht verlängert werden und dass die Preise daraufhin und im Zuge der Marktsättigung bis Sommer 2014 weiter nachgeben und auf ca. 30.000 netto fallen. Dann wollen wir "with a little help from our friends" zuschlagen und das achteinhalb DCI-konform digitalisieren. Da wir keine Chance haben, auf der Basis von 35mm ein Programm bis Sommer 2014 auf die Beine zu stellen, einige Verleiher aber zugesagt haben, uns ihre Filme auf Blu-ray zu brennen, haben wir uns einen professionellen Beamer mit entsprechendem Equipment zugelegt. Aber ich kann Euch trösten, mit "Paulette", "Das Mädchen Wadjda" und "Die Akte Grant" haben wir im November noch drei 35mm-Filme in petto! So gesehen eine Rarität.

??: Außer dem enormen finanziellen Aufwand, was bedeutet eine vollständig neue Technik nach 118 Jahren für den Betrieb des achteinhalbs?

!!: Ja, das Ganze nagt schon an unserem Selbstverständnis als Kino achteinhalb. Wir sind in Deutschland das einzige Kino, in dem der Projektor sicht- und hörbar im Kinoraum steht und das während des Films eine Pause einlegt. Beides haben wir für uns als achteinhalb, als offenes Projekt im Sinne von einsehbar - jeder Besucher und jede Besucherin kann sehen und hören, was im Raum passiert, welche Handgriffe am Projektor vorgenommen werden - immer als identitätsbildend empfunden. Den Anlass für die Pause bildete der technisch notwendige Spulenwechsel. Machten wir jetzt eine Pause, käme sie willkürlich von außen, nicht mehr aus dem Betriebsablauf heraus. Auch ein Server hinter Glas wird nicht den Charme eines Projektors ausstrahlen. Mich stimmt das eher traurig und verunsichert mich ein wenig. Wir müssen da zusammen mit unserem Publikum und mittels gegenseitigem Feedback Erfahrungen sammeln.

Hier gehts zum Kino achteinhalb.