Kommentar zur Bürgerkanzelrede von Martin Biermann
Christenmenschen haben's schwer - müssen sie doch zwei Herren dienen. Davon wollte Dr. h.c. Martin Biermann Ende September eine Geschichte erzählen - und zwar auf der so genannten "Bürgerkanzel" der Stadtkirche.
Vielleicht ist aber ein kurzer Rückblick sinnvoll: Biermann wurde 1990 Verwaltungschef der Stadt Celle, also in einer Zeit, in der die so genannte Asyldebatte auf ihren Höhepunkt zusteuerte und den beiden Volksparteien CDU und SPD als Reaktion auf die rechtsradikalen Pogrome von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen nichts besseres einfiel, als das Asylrecht faktisch abzuschaffen. Mit der sicher nicht beabsichtigten Folge, dass sich Rassisten geradezu ermutigt fühlten und die mörderischen Brandanschläge von Mölln und Solingen folgten.
Zehn Jahre nach Biermanns Amtsantritt schwappten die rassistischen Ressentiments in Teilen der Bevölkerung hoch, als die Flüchtlingsunterkunft an der Harburger Straße zum Zentrum des Drogenhandels hochgejazzt wurde. Biermann wollte sich ein eigenes Bild machen und offenbarte der Öffentlichkeit seine Gefühle: "Kurz nach 21 Uhr hielt ich mit meinem Wagen in direkter Nähe des Hauses, da tauchten plötzlich finstere Gestalten auf, die sich eindeutig abwehrend meinem Auto näherten - so schnell habe ich noch nie den Rückwärtsgang gefunden." Auf einer Parteiversammlung legte er seine Auffassung allgemein so dar: "Ich bin nicht bereit, abgelehnten Asylbewerbern, die zur Ausreise verpflichtet sind und hier bei uns mit Drogen dealen, ihr verbrecherisches Tun noch durch geförderten deutschen Sprachunterricht zu erleichtern, sondern ich bin dafür, dass diese schnellstmöglich unser Land verlassen, um ihr ungesetzliches Treiben zu beenden."
Aber einmal - und davon erzählt uns der Oberbürgermeister a.D. von der Kanzel - einmal habe er sich als "die Mitmenschlichkeit übender Christ" schuldig gemacht. Er berichtet über eine Situation, wo ihn ein "hochrangiger Vertreter der Kirche" im Büro aufgesucht und aufgefordert habe, die direkt bevorstehende Abschiebung eines Asyl begehrenden Ehepaares auszusetzen. "Ich fühlte mich in einer schier ausweglosen Situation, hier die Wahrung des staatlichen Rechts, dort die Forderung seinen Vollzug aus christlicher Verantwortung heraus zu verhindern." Und weiter: "Mir war klar, was ich auch tun würde, ich würde Schuld auf mich laden. [...] Ohne einen Rechtsgrund dafür nennen zu können, stoppte ich die Abschiebung."
Was treibt Biermann bis heute um? Die Forderung "der" Kirche an ihn, "sich gegen das staatliche Recht, gegen Gesetz und Rechtsordnung zu entscheiden". Und er fragt: "Darf die Kirche ihre Gläubigen moralisch dazu veranlassen, ihren Amtseid zu brechen? Muss man nicht von einer Kirche erwarten, dass sie Menschen in Konfliktfällen beisteht, anstatt sie in sie hinein zu stürzen?"
Es sind rein rhetorische Fragen, die der Kanzelredner hier aufwirft. Denn Biermann hat sich entschieden und als Kronzeugen ruft er den Politikwissenschaftler Waldemar Besson auf, dem er als Zitat aus den 1960ern folgenden Satz zuschreibt: "Die Kirche ist nicht dazu da, die Gesellschaft zu verändern, damit die Menschen sich ändern, sondern die Kirche ist dazu da, die Menschen zu ändern, damit die Gesellschaft sich ändert." Dagegen wäre grundsätzlich nichts zu sagen. Nur dann sollte Kirche schnellsten auch mal aus allen gesellschaftlichen Gremien und Kommissionen verschwinden und die Gesellschaft mal vom Einzug der Kirchensteuer befreien. Wir gehen mal davon aus, dass Dr. h.c. Martin Biermann so weit nun wieder nicht gehen will. Kirche stört ihn überall dort, wo sie sich gegen staatliches Handeln für Menschenwürde einsetzt. Dazu gehört dann für ihn selbstverständlich auch das "Kirchenasyl".
Aus der "Krise", in die ihn sein Handeln gegen staatliches Recht gebracht habe, hätte ihm "die Bitte um Vergebung und der Glaube geholfen", so Biermann. Wenig später war ja auch alles wieder im Lot: Trotz aller kirchlichen Intervention ließ er ein Paar mit zwei Kindern abschieben. Ab in die Ukraine, obwohl - worauf Leute wie Biermann ja Wert zu legen pflegen - bestens integriert in Jobs und Schule. Ab in die Ukraine, obwohl als Notfallplan eine Auswanderung nach Kanada weitgehend in die Wege geleitet war.
Tja - da musste sich eine Gemeinde mal ordentlich abkanzeln lassen.
Quelle:http://celleheute.de/martin-biermann-spricht-auf-buergerkanzel-ueber-gewissenskonflikte/