AKH kurz vor Insolvenz – droht Privatisierung?

Kurz vor Weihnachten rettete der Landkreis Celle die AKH-Gruppe mit einem 12 Millionen-Kredit vor der Insolvenz. Nachdem schon im Oktober eine finanzielle Schieflage öffentlich geworden war, kam dann noch die Information dazu, dass der ehemalige Geschäftsführer des Allgemeinen Krankenhauses einen Baukredit zweckentfremdet hatte. Weder die Öffentlichkeit noch die Beschäftigten erhalten hinreichende Informationen dazu, wie es dazu kommen konnte – und vor allem: Auf wessen Kosten wird saniert? Dass dabei trotz eines Dementis der CDU-Kreistagsfraktion auch eine Privatisierung im Raum steht, ist klar.

Verantwortlichkeiten

Das Allgemeine Krankenhaus ist Teil der sogenannten AKH-Gruppe, zu der auch das Klinikum Peine gehört. Zusätzliche ambulante Leistungen werden angeboten über die Medizinischen Versorgungszentren in Celle (am AKH) und Hermannsburg sowie dem als gGmbH organisierten ambulanten Pflegedienst und Therapiezentrum AKH Ambulant – zur Gruppe gehört schließlich noch die gGmbH Hospiz Haus.

Die AKH-Gruppe selbst ist eine Stiftung bürgerlichen Rechts. Das Krankenhaus in Celle steht damit unter „frei-gemeinnütziger“ Trägerschaft. Wo Kommunen (also Städte oder Landkreise) Krankenhäuser betreiben, wird von „öffentlicher“ Trägerschaft gesprochen. Schließlich gibt es noch „privat wirtschaftlich“ betriebenen Kliniken. Bundesweit sind aktuell 707 Kliniken privat, 674 frei-gemeinnützig und 570 öffentlich – in den letzten Jahren gab es einen Zuwachs bei den Privaten.

Der zentrale Unterschied ist, dass private Kliniken aus dem Gewinn eine Rendite an die Gesellschafter abführen wollen. Erwirtschaftet wird dies in aller Regel durch einen schlechterer Pflegeschlüssel und niedrigere Löhne.

Das Allgemeinen Krankenhaus entwickelte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Stiftungsgeldern von Bürgern. Ende 1844 wurden die Stiftungs“gesetze“ genehmigt und im Folgejahr nahm das Hospital seinen Betrieb auf. Allgemein ist das Sozial- und Gesundheitswesen in Deutschland aus derartigen (zumeist auch konfessionell gebundenen) Stiftungen entstanden.

Geführt wird die Stiftung von einem Vorstand. Seit 15. Februar 2018 ist dies Dr. Martin Windmann, sein Vorgänger war Stephan Judick. Das einzige Kontrollgremium ist der Aufsichtsrat. Dort sitzen neben Klaus Wiswe als Vorsitzendem und Dr. Jörg Nigge als Stellvertreter (beide sind sogenannte „geborene Mitglieder“, d.h. als Landrat bzw. Oberbürgermeister in diesen Funktionen) sechs Mitglieder des Kreistags und zwei des Stadtrates. Dazu kommen vier weitere Mitglieder mit beratender Stimme, darunter der Betriebsratsvorsitzende.

Hauptverantwortliche für die Misere sind selbstverständlich der ehemalige Vorstand Stephan Judick und der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Wiswe.

Rechtlich ist es übrigens so, dass der sogenannte Sicherstellungsauftrag für die stationäre Krankenhausversorgung bei den Landkreisen (bzw. kreisfreien Städten) liegt. D.h.: Für den Fall einer Insolvenz der AKH-Gruppe würde die Verpflichtung zur Trägerschaft dem Landkreis Celle anheimfallen.

Millionenkarussell

Das AKH steckt nicht das erste Mal in einer finanziellen Krise. Die AKH Gruppe fuhr 2010 und 2011 jeweils rund fünf Millionen Euro Minus ein. Daraufhin wurde die Beratungsfirma Roland Berger für knapp eine Million Euro mit einem Gutachten beauftragt, das Einsparpotenziale im zweistelligen Millionenbereich aufzeigte. Was davon und wie umgesetzt wurde, ist in der Öffentlichkeit unbekannt. Die nicht abreißenden Klagen der Beschäftigten über Arbeitsverdichtung kommen aber nicht von ungefähr.

Der erste Schock kam für die Beschäftigten auf einer Betriebsversammlung am 17. Oktober. Da verkündete der Vorstand, dass die abschließende Bilanz für das Geschäftsjahr 2017 statt eines ursprünglich verkündeten Gewinns von 700.000 Euro nach „Rechnungskorrekturen“ nun ein Minus von 16,5 Millionen Euro ausweise – 10,3 beim AKH, 6,2 beim Klinikum Peine.

Die CZ, der vertrauliche Unterlagen zur Aufsichtsratssitzung vom 30. August vorlagen (über die – nur nebenbei – „einfache“ Rats- und Kreistagsmitglieder nicht verfügen), stellt das „Problem“ so dar:

„Konkret geht es um die Bewertung ausstehender Forderungen meist gegenüber den Krankenkassen [...] In der Bilanz tauchen diese Beträge auf der Habenseite auf, da es sich um Geld handelt, das den Kliniken zusteht. Doch viele Rechnungen, die von den Krankenkassen bemängelt wurden, dürften nie mehr in voller Höhe bezahlt werden. Unter Judick wurden Forderungen nach 180 Tagen zu 50 Prozent abgeschrieben, nach einem Jahr komplett. Eine Vorgehensweise, die durch die Bilanzvorschriften gedeckt ist. Letztlich waren die Jahresabschlüsse von Judick auch stets von anderen Unternehmensprüfern als korrekt bestätigt worden. Die von Windmann beauftragten Wirtschaftsprüfer kamen allerdings zu anderen Schlussfolgerungen. Demnach müsste man nach 90 Tagen 70 Prozent, nach 180 Tagen 80 Prozent, nach 270 Tagen 90 Prozent und nach einem Jahr 100 Prozent der ausstehenden Beträge abschreiben. Das führt zu einer deutlichen Wertberichtigung in der Bilanz.“

Eine Bewertung kann Außenstehenden nicht gelingen. Auf den ersten Blick ist nicht plausibel, wieso daraus mehr als ein Schaden auf dem Papier entstanden sein soll. Das eigentliche Problem ist doch wohl eher, dass Rechnungen nicht vollständig bezahlt werden.

Laut CZ schneiden Celle und Peine bei den Überprüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen schlechter ab als der Durchschnitt: „Je kontrolliertem Fall verliert das AKH durchschnittlich 30 Prozent der Rechnungssumme, in Peine sind es 26 Prozent. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 15 bis 20 Prozent.“

Beide „Baustellen“ scheinen lösbar. Es handelt sich nicht um Kosten, sondern um entgangene Einnahmen. Es ist also an diesem Punkt absolut nicht nachzuvollziehen, warum deshalb ein „Sanierungskurs“ eingeleitet werden soll, der von allen Abteilungen mitgetragen werden müsse – wie es heißt. Nachvollziehbar ist einzig, das Rechnungswesen zu optimieren. Und da müssten dann doch wohl eher mehr Mitarbeiter*innen eingestellt und sie müssen besser qualifiziert werden.

Zweckentfremdung

Gravierender sind die Vorwürfe in Richtung Judick in einer anderen Causa, die dann kurz vor Weihnachten zu Liquiditätsproblemen führte – sprich: Die Beschäftigten hätten Ende Dezember ihre Gehälter nicht erhalten können. In einer Vorlage für den Kreisausschuss heißt es:

„Im Rahmen der gutachterlichen Überprüfung der Sachverhalte ist die Inanspruchnahme eines Darlehens in Höhe von 25 Mio. Euro aufgefallen, das das AKH von der Evangelischen Bank zweckgebunden für Baumaßnahmen bekam. Von diesen 25 Mio. Euro wurden lediglich 4 Mio. Euro vertragsgemäß verwendet. Die restlichen 21 Mio. Euro wurden nicht wie im Darlehensvertrag angegeben für Baumaßnahmen, sondern teilweise als Betriebsmittelkredit verwendet. Dieser Umstand musste der Evangelischen Bank offengelegt werden. Am 19.12.2018 teilte die Bank in einem Folgegespräch mit, dass die nicht zweckentsprechend genutzte Beträge aus dem Darlehen in Form einer Sondertilgung zurückzuführen seien. [...] Dies hat zur Folge, dass freie Mittel in Höhe von ca. 15 Mio. Euro, die im Endeffekt auch aus dem Darlehen stammen, nicht mehr verwendet werden dürfen. Damit könnten die aktuellen laufenden Rechnungen nicht bezahlt werden und die Auszahlung der Dezembergehälter nicht mehr erfolgen.“

Der Landkreis Celle sprang mit einem Liquiditätskredit in Höhe von 12 Millionen Euro ein, der Landkreis Peine steuerte weitere zwei Millionen dazu.

Einer strafrechtlichen Bewertung enthalten sich alle Beteiligten – Judick äußerte sich nicht zu der Angelegenheit und lässt sich von einem Rechtsanwalt vertreten. Der Schaden aber ist immens. Und inzwischen muss die Frage erlaubt sein, warum Judick im Herbst 2017 so überraschend kündigte, um den Vorsitz des Klinikums Herford zu übernehmen.

Selbstverständlich ist auch zu fragen, ob der Aufsichtsrat unter Leitung von Landrat Klaus Wiswe seine Pflichten vernachlässigt hat. Dazu kommentierte die CZ am 30.10., sonst immer fest an des Landrats Seite:

„Die Mitglieder des Gremiums müssen sich daher nicht wundern, dass nun ihre Kompetenz in Frage gestellt wird. Doch das allein ist nicht der kritische Punkt. "Zu viele Fragen können die Atmosphäre vergiften", sagt Aufsichtsratsvorsitzender Klaus Wiswe. Das ist eine Bankrotterklärung für ein Kontrollorgan. Die Aufsichtsratsmitglieder werden offensichtlich ihrer Aufgabe nicht gerecht und sollten ihre Rolle und Verantwortung überdenken. Wer kritische Diskussionen scheut, hat dort nichts zu suchen.“

Privatisierung

Im Oktober ließ sich Celles Oberbürgermeister Nigge mit den Worten zitieren, es dürfe „im weiteren Prozess keine Denkverbote“ geben: „Zumindest darf auch eine Privatisierung nicht von vornherein ausgeschlossen werden.“ Er sei sich aber sicher, dass „ausreichend wirtschaftliches Potenzial“ vorhanden sei, um diese Option nicht ziehen zu müssen.

Gelegentlich werden die Konsequenzen einer Privatisierung heruntergespielt. Statistiken aber weisen aus, dass z.B. Pflegekräfte erheblich weniger verdienen: Gegenüber öffentlich-rechtlichen im Durchschnitt von 2015 waren es brutto 6097 EUR/a weniger, gegenüber frei-gemeinnützigen 2550 EUR/a. Von allen Beschäftigtengruppen verdienen einzig die Ärzt*innen in Privatkliniken durchschnittlich mehr Geld. Hinsichtlich der Pflege war die Anzahl der durchschnittlich je Vollkraft pro Arbeitstag zu versorgenden nbelegten Betten in Privatkliniken mit 6,8 höher als in frei-gemeinnützigen mit 6,2 oder öffentlichen mit 5,7 (2014).

Die SPD-Aufsichtsratmitglieder sprachen sich sofort gegen eine Privatisierung des AKH aus. Wie vorher schon Landrat Wiswe verkündete im Dezember dann auch die CDU-Kreistagsfraktion an dem AKH „als kommunal verantwortetes Krankenhaus“ festzuhalten.

Allerdings sind diese Versicherungen aktuell nur die besänftigende Begleitmusik zu den laut hinausposaunten „Sanierungszwängen“. In einem Brief an die Mitarbeiter*innen schreibt Vorstand Widmann:

„Die AKH-Gruppe muss zur Sicherung der Zukunft jetzt schnellstens einen sicherlich nicht leichten Sanierungsweg beschreiten. Unsere Strukturen und Prozesse müssen überprüft und dann entsprechend verändert werden. Denkverbote gibt es hier nicht. Dies bedeutet daher auch Einsparungen im Personalbereich über alle Berufsgruppen. Erste Ergebnisse der laufenden Analysen zur Personalsituation zeigen die Notwendigkeit einer Reduzierung des Personals über fast alle Bereiche hinweg.“

Unter der Zwischenüberschrift „Weniger Geld für Küchen- und Putzkräfte?“ berichtete der NDR:

„Nach dem Willen des Vorstandes sollen die Mitarbeiter mithelfen, das Defizit zu beseitigen. Gemeinsam mit Führungskräften und dem Betriebsrat habe bereits eine Personalbedarfsanalyse begonnen, so die AKH-Gruppe. Es gehe darum zu gewährleisten, Mitarbeiter effektiv und bedarfsgerecht einzusetzen.“

Was der Chefetage immer zuerst einfällt: Mitarbeiter*innen aus dem Bereich Logistik-, Küchen- und Putzkräfte outzusourcen, um sie in einen schlechteren Tarif zu zwingen. Betroffen wären bis zu 280 Angestellte.

Ein Sanierungsgutachten ist in Arbeit. Für den Kredit hat sich der Landkreis das Recht gesichert, dieses Gutachten bis zum 31.05.2019 vorgelegt zu bekommen. Das hat immerhin den Vorteil, dass die Öffentlichkeit über die Kreistagsmitglieder einen Einblick bekommen kann. Der Nachteil derartiger Gutachten liegt immer darin, dass sie Objektivität und Alternativlosigkeit vorgaukeln.