Interview mit Ernst-Günther Mörsel

??: Du warst bis 2014 als Arbeitnehmervertreter beratendes Mitglied im Aufsichtsrat der AKH-Gruppe. Wie können sich unsere Leser*innen die Arbeitsweise dieses Gremiums vorstellen?

!!: Nach meiner Wahrnehmung beschreibt das Zitat des Aufsichtsratsvorsitzenden die Arbeitsweise durchaus treffend: „Zu viele Fragen können die Atmosphäre vergiften“. Es wurde mehr oder weniger erwartet, dass man den Berichten von Vorstand, Direktorium, Unternehmensberatern und Wirtschaftsprüfern blind vertraute. Kritik war eher unerwünscht und führte gelegentlich auch zu heftigen Reaktionen seitens der Führungskräfte und der politischen Mehrheitsfraktion.

Wiederholt hatte ich den Eindruck mangelnder Informiertheit bei den Aufsichtsratsmitgliedern. Einerseits wurden wohl nicht alle Informationen aus dem Präsidium des Gremiums weitergegeben; andererseits fehlte es zeitweilig wohl auch am Interesse der Aufsichtsräte, besonders bei umfangreichen Unterlagen wie Wirtschafts- und Stellenplänen. Daneben ist das Gesundheitssystem in Deutschland ja tatsächlich kompliziert und das Geschäft mit der stationären Krankenversorgung in Zeiten der Fallpauschalen besonders schwer durchschaubar.

??: Was ist Deine Sicht auf die Vorwürfe hinsichtlich der Frage der Bilanz - also der Frage der unterschiedlichen Abschreibung von offenen Rechnung - und hinsichtlich der Zweckentfremdung von Geldern?

!!: Da schließe ich an meine letzte Antwort an. Offensichtlich gibt es ja ganz unterschiedliche, aber gleichermaßen zulässige Bewertungen von Außenständen der Krankenhäuser. Wenn also das Bilanzergebnis von der Art der Berechnung und der gerade aktuellen Gesetzeslage abhängt, dann kommt es eben darauf an, ob Judick richtig gerechnet hat – wie er ja weiter betont – oder ob Windmann jetzt richtig rechnet. Das darf aber nicht dazu führen, dass schon wieder vom „Sanierungsfall AKH“ die Rede ist. Das ist auch nicht gut für unser Krankenhaus, weder bei der Gewinnung von Arbeitskräften noch für das Patientenvertrauen.
Die Frage des zweckentfremdeten Baukredits sehe ich anders. Wie ich die Meldung verstehe, wurde das Geld 2016 zur Deckung laufender Kosten missbraucht. Am 11. Juli 2016 ließ sich Judick in einem umfangreichen CZ-Artikel für einen Bilanzgewinn von drei Millionen Euro feiern.

Vorausgesetzt der Vorwurf der Zweckentfremdung trifft zu, dann wäre das bei tatsächlicher wirtschaftlicher Schieflage des Konzerns mehr als dreist. Dann wäre es aber auch Aufgabe des Aufsichtsrates, Judick zur Rechenschaft zuziehen und Bonuszahlungen zurückzufordern, die ja dann zu Unrecht geflossen sind.

Aber eins muss ich auch noch in Richtung Aufsichtsrat sagen: Er hat eine Alleinherrschaft von Stephan Judick zugelassen, nachdem 2011 und 2012 die anderen Vorstände Norbert Mischer und Marc Nickel ausgeschieden sind. Damit fiel der klassische Vier-Augen-Kontrollmechanismus weg, ein Mindeststandard in der Führung eines Unternehmens dieser Größe. Eine erwähnenswerte Fehlleistung des Aufsichtsrats. Nach dem Ausscheiden von Mischer gab es in der Führungsspitze auch keinen „gelernten“ Ökonomen mehr – bedauerlich ist allerdings, dass ein Krankenhaus den überhaupt braucht.

Und dazu passend: Judick ist ja jetzt Vorstand an einer Klinik in Herford. Auch dort hat er nach kurzer Zeit die Alleinherrschaft übernommen. Der zweite Vorstand in der Herforder Klinik Rudolf Küster hat „aus persönlichen Gründen“ um Auflösung seines Arbeitsvertrages gebeten. Ein solcher Führungsstil führt leicht dazu, dass jegliche Kritik an Führungsentscheidungen unterbleibt, weil Sanktionen drohen. Dafür gab es in den letzten Jahren auch im AKH Beispiele.

??: Aus unserer Sicht ist es so: Die kostenträchtigen Fehler sind auf der Verwaltungsebene entstanden - ob mutwillig oder nicht, ist erstmal egal. Aber jetzt stellen sich Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzender hin und verlangen Sanierungsanstrengungen auf allen Ebenen – und OB Nigge wollte gleich eine Diskussion um Privatisierung eröffnen. Was hältst Du davon?

!!: Zum einen zeigt Ihr das Foto von unserem Empfang des Aufsichtsrates durch die Beschäftigten am 27.November 2018 mit der Aufschrift: „Wir zahlen nicht für Eure Misswirtschaft“. Dahinter stehe ich in jeder Bedeutung des Wortes.

Zum anderen druckt ihr ja auch den Nach-Denkzettel ab, den wir anlässlich der Aufsichtsratssitzung verteilt haben. Ausgehend von der Tatsache, dass das AKH als Stiftung Celler Bürger entstanden ist, muss man feststellen:
Das Krankenhaus gehört den Bürgerinnen und Bürgern. Privatisierung ist Enteignung der Bürgerschaft.

Und selbstverständlich bin ich der Meinung, dass stationäre Gesundheitsversorgung eine öffentliche Aufgabe ist und damit in öffentliche Verantwortung und Trägerschaft gehört. Hier würde sich die Forderung anschließen, dass die Länder gemäß ihrem Auftrag die Investitionskosten der Häuser komplett tragen müssten und ihrer Verpflichtung zur Qualitätskontrolle nachkommen müssten. Die Krankenkassen müssten die gesetzliche Möglichkeit zur Prüfung erhalten, dass ihre Zahlungen auch sachgerecht genutzt werden, nämlich weder für Investitionen noch zur Befriedigung von Aktionärsinteressen.

Und vor allem: Die Arbeitsbedingungen im Pflegedienst müssten dramatisch verbessert werden, sonst wird aus dem Pflegenotstand die Pflegekatastrophe werden.