Die Glasschule – „äußerste Grenze der erreichbaren Lichtfülle“

100 Jahre Bauhaus – da möchte auch Celle touristisch mitspielen, hat doch der Architekt Otto Haesler hier einige „Duftmarken“ dieser Schule der Moderne gesetzt. Wir haben vor, ihn in den fünf Heften diesen Jahres selbst über seine Projekte sprechen zu lassen und den Text mit Fotos nicht nur zu illustrieren, sondern auch ein bisschen zum Leben zu erwecken. Wir starten mit Haeslers Beschreibung des 1929 entstandenen Gebäudes für die Volksschule – heute Altstädter Schule. Die Textauszüge sind aus: Otto Haesler: Mein Lebenswerk als Architekt. Hrsg. von der deutschen Bauakademie, Berlin 1957.

Der Auftrag für die Volksschule in Celle war das Ergebnis eines Wettbewerbes. Zweiundzwanzig Klassen waren vorgesehen, aber kein Gemeinschaftsraum und keine Turnhalle, weil angeblich dafür keine Mittel aufzubringen waren. Das alles war sehr bitter. Aber Wettbewerb ist eben Wettbewerb und nach dem gegebenen Programm mußte wohl oder übel geplant werden. Raum für schulisch fortschrittliche Gedanken war in ihm nicht vorhanden. Also erst einmal an die Aufgabe und an den Auftrag herankommen. Dem Programm entsprechend arbeitete ich zwei solcher unsozialen Entwürfe aus, dann aber fand ich doch noch zwei Tage Zeit, um eine abweichende Anregung mit abzuliefern. Und so kam ich mit dem ersten Preis an den Auftrag heran, und mit dem Ankauf meiner Anregung hatte ich nun die Möglichkeit, mich für diesen Entwurf so einzusetzen, daß er der Ausführung zugrunde gelegt wurde.
Ich konnte nachweisen, daß durch die Gruppierung der für Knaben und Mädchen erforderlichen Flügelbauten und der von, beiden zugänglichen Zeichenklasse A Norden und durch den Verbindungsflur im Süden so gut wie kostenlos ein Lichthof ähnlicher Raum umschlossen wurde, der lediglich mit einer Decke mit Oberlicht abgeschlossen und ausgebaut für 18000 RM die Schaffung einer kombinierten Turnhalle und Aula ermöglichte, während sonst für eine Turnhalle 60000 RM in Ansatz zu bringen sind. Für eine solche Lösung war bei den Vertretern der Stadt die erforderliche Mehrheit vorhanden, und ich war glücklich, für die Kinder dieser Schule das gerettet zu haben, was für mich als Junge immer das schönste vom ganzen Schulgebäude war.

Anders verhielt es sich mit der Lehrküche. Hier wußte ich, daß eine Mehrheit nicht zusammenzubringen war. Es mußte also ein anderer Weg gewählt werden. War sie nämlich einmal abgelehnt, dann war die Ablehnung endgültig. Ich mußte eben an allen anderen auszuführenden Arbeiten so viel an Ersparnissen zusammenbekommen, daß dadurch die bewilligte Gesamtsumme eingehalten werden konnte. Mit der ersten Besichtigung der Schule durch die Stadtvertretung habe ich dann auch meine Entlastung für diese „Eigenmächtigkeit“ erhalten.
Nun zu einigen Einzelheiten. Konnten hier auch nicht die baulichen Voraussetzungen für neue pädagogische Erkenntnisse verwirklicht werden - ebenerdige Pavillonschule, Klassenräume mit Freiunterricht u. a. m. -‚ so gelang es doch, manche Verbesserungen zu finden. Viele bauliche Einzelheiten mußten noch konsequenter durchdacht werden als bisher. Jeder, der eine Schulbank gedrückt hat, weiß, wie ungünstig es ist, gerade hinter einem Fensterpfeiler zu sitzen oder, wenn man nicht abgehärtet ist, vor dem Fenster, das für die Lüftung bestimmt ist. Hier, wie zu nahe am Ofen oder an der Heizung, erkälten sich die Kinder. Die Nachteile der Fensterpfeiler zu beseitigen, war schon häufiger versucht worden. Aber die Versuche kamen zu schnell zum Stillstand, denn je breiter die Fensteröffnung wurde, je weniger Pfeiler vorgesehen wurden, desto höher wurden die über dem Fenster liegenden Fensterstürze, welche die darüberliegende Decke zu tragen haben, die Fenster wurden zu niedrig für den Lichteinfall oder für die Raumhöhe der Klasse. Eine sehr einfache Lösung führte mich aus diesem Zwiespalt. Ich wählte die Fensterbrüstung der darüberliegenden Klasse für die Ausbildung eines Überzuges, der so stark ausgebildet wurde, daß die Decke über dem Klassenraum daran angehängt werden konnte und dadurch kein Pfeiler mehr nötig war. Diese neue Fensteröffnung einer jeden Klasse reicht von der normalen Fensterbrüstung bis dicht unter die Decke und über die ganze Längswand der Klasse. Sie wurde als zwölf- bis dreizehnteiliges Doppelfenster ausgebildet, die oberen Flügel als Lüftungsflügel, und nun konnte ein Kind mit einer Kurbel gleichzeitig die 24 bis 26 oberen Lüftungsflügel je nach der Jahreszeit soweit öffnen oder schließen, daß alle Zugerscheinungen oder Wärmeverluste ausgeschlossen waren. Auch die Heizung wurde auf die ganze Länge der Fensterbrüstung verteilt, um die von den Fenstern abfallende kalte Luft zu erwärmen und eine gleichmäßige Verteilung der Heizwirkung zu erzielen Auf diese Weise erzielte ich licht- und sonnendurchflutete Klassenräume gegen die die Klasse durch Sonnenschutzvorhänge geschützt werden konnte, wenn dies erforderlich war. Auch die Blumen zwischen den Doppelfenstern trugen dazu bei, die vielen Stunden, die der junge Mensch in diesen Räumen verbringen muß, schulbesuchswert zu machen.
Dieses Prinzip der Helligkeit und Sauberkeit dehnte sich natürlich auch auf die Flure aus. Hier wie für alle Räume, die für den Aufenthalt von Menschen bestimmt sind, sollte man bis an die äußerste Grenze der erreichbaren Lichtfülle gehen und versuchen, die Natur der Umgebung so weit wie möglich in die Raumwirkung mit einzubeziehen.

Ecken der Flure und Eingänge mit Holz und Eisenwinkel zu schützen, habe ich vermieden, indem ich diese Ecken stark, an den Eingängen bis zu 1 m Radius, abrundete. Bedauert habe ich nur, daß ich bei den von mir besuchten Schulen so schlank wie hier nicht, um die Ecken flitzen konnte. Besondere Sorgfalt legte ich auf die Ausbildung der Lehrküche.

In ihr teilt sich der Unterricht in einen theoretischen und praktischen Teil. Zwanzig Schülerinnen wurden in fünf Kochgemeinschaften zu je vier Schülerinnen aufgeteilt, also mußte ich fünf in sich abgeschlossene und arbeitsfähige Küchenstellen schaffen und dabei die zweckmäßigsten Arbeitsgänge berücksichtigen. Außerdem mußten die Arbeitstische so gestellt werden, daß die vier Schülerinnen einer Küchenstelle nebeneinandersitzend dem Unterricht der Lehrerin und ihren Aufzeichnungen auf der Tafel folgen konnten. Die Tische waren deshalb so eingeteilt, daß sie den davor hantierenden Schülerinnen zum Arbeiten dienten, nach der anderen Kochstelle aber soviel Fächer freiließen, daß die hier Arbeitenden ihre Bücher und Hefte ablegen konnten. An der Außenwand waren die Ausgüsse für Schmutzwasser angeordnet. Innerhalb der Kochstellen ergab sich die Anordnung: zuerst der Kochherd - ein Gasherd und einer für elektrisches Kochen - anschließend der Arbeitstisch mit Gemüseabfallrinne, dann die Spüle mit Tellerabtropfbörd, Warmwasserbereiter und abschließend der Geschirr- und Topfschrank. Für gemeinsame Benutzung und zu erlernende Handhabung elektrischer Küchenhilfsgeräte war eine besondere Abteilung für diese Geräte angeordnet. War der theoretische Unterricht beendet, mußten die einzelnen Kochstellen den Stand ihrer Zähler angeben, ehe das praktische Kochen begann, und nach Beendigung nochmals, damit festgestellt werden konnte, wer am sparsamsten zu kochen verstand. Ein Blick in diese Kochküche macht das Geschilderte verständlich.

Aus der Not eine Tugend zu machen, bleibt uns im menschlichen Leben nicht erspart. So auch mit der kombinierten Aula und Turnhalle. Die Turngeräte, die fest eingebaut werden mußten, waren so aufgestellt, daß sie die Besucher im Raum und beim Blick nach der Bühne und dem Podium davor oder bei Kinovorführungen nicht störten. Unter der Bühne und dem für bestimmte Aufführungen vorgelagerten Podium konnten die Bänke nach den Veranstaltungen leicht und bequem untergebracht werden. Die Belichtung des Raumes war durch ein Luxferprismenoberlicht sehr vorteilhaft die Akustik des Raumes so ausgezeichnet, daß der Leiter der Schule den vielen Anträgen für musikalische Aufführungen beim besten Willen nicht immer nachkommen konnte. Große Sorgfalt wurde auch auf die Toiletten mit davor angeordneten Waschräumen und einigen Bädern gelegt. Die Abortzellen blieben ohne Türen und waren nur durch Schamwände vor gegenseitiger Einsicht geschützt. Dieser Versuch war kein riskantes Experiment, denn die Türen konnten auch noch nachträglich eingesetzt werden Aber nach einem Jahr konnte festgestellt werden, daß die Aborte in dieser Schule die einzigen waren, die sauber und unbeschmutzt blieben und auch sonst den pädagogischen Erfordernissen entsprachen - Wenn ich hier auf viele Einzelheiten näher eingegangen bin und nur erklärt habe, wie und weshalb ich zu dieser Anordnung gekommen bin, so besonders um aufzuzeigen, daß dadurch die äußere und innere Gestaltung der Schule im wesentlichen gegeben war. Schulen und alle anderen Gebäude, von denen mehr Aufnahmefähigkeit für Luft Licht und Sonne verlangt wird, müssen schon aus diesem Grunde anders aussehen. Das bei der Celler Schule Erreichte genügte, um weite Kreise der Fach und Laienwelt zur Besichtigung zu veranlassen. Im Mai 1930 wurde sie eröffnet. Bis Dezember desselben Jahres sind 9000 Besucher aus aller Herren Länder gezählt worden. Erfreulicherweise wurde meinem Vorschlag auf Erhebung eines Eintrittsgeldes für diese Besichtigungen zugestimmt, denn dadurch konnten, nach ‚Abzug der Reinigungskosten; Tausende von Milchfrühstücken verteilt werden.