Siedlung Blumläger Feld

100 Jahre Bauhaus – da möchte auch Celle touristisch mitspielen, hat doch der Architekt Otto Haesler hier einige „Duftmarken“ dieser Schule der Moderne gesetzt. Wir haben vor, ihn in den fünf Heften diesen Jahres selbst über seine Projekte sprechen zu lassen und den Text mit Fotos nicht nur zu illustrieren, sondern auch ein bisschen zum Leben zu erwecken. Diesmal geht’s um die Siedlung „Blumläger Feld“. Die Textauszüge sind aus: Otto Haesler: Mein Lebenswerk als Architekt. Hrsg. von der deutschen Bauakademie, Berlin 1957.

Wenn ich Politiker, Bauschaffende und Laien mit meiner mehr als 50jährigen Tätigkeit als Architekt und Städtebauer vertraut zu machen beabsichtige, so ist die Frage naheliegend, ob teils Jahrzehnte zurückliegende Ergebnisse auch heute noch von allgemeinem Interesse sein können. Kritiken und auch meine Selbstkritik lassen mich diese Frage sehr wohl bejahen. Dabei kann es nicht meine Absicht sein, die Ergebnisse der von mir gelösten Aufgaben als Beispiele für rezeptgemäße Wiederholungen herauszustellen. Das wäre sinnlos, weil nur die schöpferische Lösung einer jeden Aufgabe zu neuen Erkenntnissen führt und eine gesteigerte Fähigkeit für schöpferische Planung ergibt.
Mögen deshalb die einzelnen Lösungen der mir gestellten Aufgaben nur vergängliche. Beiträge fortschrittlicher Bauentwicklung bedeuten, so dürfte doch die besondere, stark biologisch ausgerichtete Art meiner Lösungen einen stets lebendig bleibenden Wert für die weitere Entwicklung der Bau- und Städtebaukunst sein. […] Nur ein Architekt, der sich diese Grundsätze zu eigen macht, kann die berechtigten Wünsche der Menschen nach „billigeren und besseren" Wohnungen erfüllen. [...]

Wenn besonders bei den Beispielen für den „sozialen" Wohnungsbau abgerechnete Baukosten ausgeführter Bauobjekte angeführt wurden, so soll damit auf die Wichtigkeit der bauwirtschaftlichen Seite bei der Lösung von Bauaufgaben durch den Architekten hingewiesen werden. Sind diese Ergebnisse auch auf das heutige Bauen nicht zahlenmäßig zu übertragen, so sind sie doch für den Bauforscher von Wert, weil es ihm unschwer möglich ist, beim rückblickenden Studium vergleichsweise festzustellen, daß sich die von mir und meinen Mitarbeitern erzielten bauwirtschaftlichen Vorteile nicht nur aus einer besonderen wirtschaftlichen Bauausführung ergaben, sondern darüber hinaus auf eine letzte Einzelheiten erfassende Planung zurückzuführen sind.

[…] Für die Durchführung der Siedlung auf dem Blumenlägerfeld in Celle waren dieselben Erkenntnisse bestimmend, wie für die Rothenbergsiedlung in Kassel. Selbstverständlich war es, die Anstrengungen nach Verbilligung der Wohnungen und Senkung der Mieten zu erhöhen. Da der Grund und Boden hier sehr preiswert war, wählte ich die zweigeschossige Bebauung, und zwar wieder in Stahlskelett. War es mir in Kassel gelungen, das Gewicht der Stahlkonstruktion mit jeder weiteren Zeile zu verringern, zuletzt um etwa 30 %' so wurde diese Siedlung nach einem Versuchshaus mit Unterstützung der Reichsforschungsgesellschaft in einer viel leichteren Konstruktion aus Winkeleisen durchgeführt, und zwar in einer Gemeinschaftsarbeit durch die ortsansässigen Schlossermeister. Auch die Wärmedämmung wurde bei dieser Siedlung durch die Verwendung von gepreßten Strohplatten - Solomitplatten - wesentlich verbessert. Die Ergebnisse in bezug auf die verbilligte Herstellung der Wohnungen im allgemeinen waren beachtlich; ebenso die Einsparungen bei der Anlage der zentralen Heizanlage und, beim laufenden Verbrauch von Heizmaterial. Die monatliche Miete der kleinsten Wohnung betrug 12 RM und die monatliche Beheizung auf 12 Monate umgelegt pro Monat 3,50 RM. Die zentrale Wäscherei und die zentrale Badeanlage waren dem zentralen Heizungsgebäude angegliedert und die für die Benutzung erhobenen Gebühren gleich niedrig.

Zwei Längszeilen mit Ost-West-Besonnung erhielten die jeder Wohnung zugeteilten Gartenstücke zwischen diesen beiden Zeilen, um eine klare Raumgestaltung innerhalb der Siedlung zu erreichen. In diesen zweigeschossigen Zeilen wurden je zwei Wohnungen im Erdgeschoß und je zwei im Obergeschoß an einem Treppenhaus angeordnet Ein Teil der Wohnungen wurde möbliert, die Kuchen ausnahmslos. Den Abschluß dieser Platzgestaltung aus zusammengelegten Nutzgärten bildete eine Querzeile aus zwölf Einfamilienhäusern, die für Tbc-anfällige Familien bestimmt waren. Die Wohn- und Schlafräume dieser Wohnungen waren nach Süden orientiert, die Küchen, Bäder - hier für jede Wohnung - und Treppenhäuser nach Norden. Von den Schlafräumen war ein durchgehender Liegebalkon zugänglich Auch diesen Wohnungen wurden Nutzgarten zugeteilt Die übrigen Zeilen der Siedlung wurden in ähnlicher Weise mit Ost-West-Besonnung aufgeteilt.

Aus den Plänen und Abbildungen, die von dieser Siedlung vorhanden sind, kann man erkennen, daß trotz der zugespitzten Wirtschaftlichkeit ein hoher Wohnwert erreicht wurde. Mein Bestreben, für die wirtschaftlich schwache Familie eine gesunde und bequeme Wohnung zu tragbaren Preisen zu schaffen, war gelungen Nur sah ich mit Sorge, wie sich plötzlich gutsituierte Familien für diese Wohnungen interessierten.
Damit habe ich einen kurzen Überblick über das gegeben, was ich zwischen den beiden Weltkriegen zur Entwicklung des sozialen Wohnungsbaues beigetragen habe. In der gleichen Zeitspanne entstanden auch noch eine Anzahl anderer Bauwerke. […]