Schwarz-grün im Rat für Schließung von zwei Grundschulen
Die Schließung zweier Grundschulen als „Jahrhundert-Chance für die Celler Schullandschaft“ zu verkaufen, ist nicht nur auf den ersten Blick ziemlich dreist. Aber Oberbürgermeister Nigge kam in der Septembersitzung des Stadtrates damit durch. Ein im Kern schwarz-grünes Bündnis schlug sich auf seine Seite, obwohl viele Fragen unbeantwortet geblieben waren.
Den Anlass für die Veränderungen in der Grundschullandschaft bot der Brand an der GS Klein-Hehlen angesiedelten „Sprachheilschule“ im April. Das Gebäude soll zwar aus Mitteln der Versicherung wieder aufgebaut werden, aber künftig ganz den Schülerinnen und Schülern (SuS) der GS Klein-Hehlen zur Verfügung stehen, die aktuell auch Räumlichkeiten im gegenüberliegenden ehemaligen Predigerseminar nutzt (für rund 50.000 Euro Miete im Jahr). Auch soll die Schule künftig in ihr Einzugsgebiet die Allerinsel aufnehmen.
Zeitparallel signalisierte der Landkreis Interesse daran, das Gebäude der Altstädter Schule für die Sprachheilschule zu nutzen sowie die Gebäude der GS Nadelberg der Oberschule Westercelle anzugliedern, da letztere einen erheblich gestiegenen Raumbedarf hat. Für die beiden Gebäude will der Landkreis der Stadt Celle insgesamt 17,5 Mio. Euro bezahlen.
Wohin dann aber mit den SuS der Altstädter Schule und der GS Nadelberg? Die Altstädter Schule soll in der GS Blumlage aufgehen, was raumtechnisch möglich sei, da die dortige Außenstelle der IGS aufgegeben ist. Und die SuS, die bisher auf der GS Nadelberg beschult werden, sollen in die GS Bruchhagen überführt werden. Das Konzept dafür: Abriss und Neubau.
Aus vier mach zwei. Dafür braucht es eigentlich schon starke Argumente. Denn: Selbstverständlich verlängern sich Schulwege und in Westercelle müssen die SuS westlich der B3 diese künftig zum Schulbesuch queren. Schauen wir, wie die Verwaltung die „Jahrhundert-Chance“ verkauft:
1.) Die architektonische Besonderheit kleinerer Unterrichtsräume von durchschnittlich 44 qm würde sich bestens für die kleinen Klassen der Sprachheilschule eignen. Dass genau dies – nämlich im Vergleich kleinere Klassengrößen – bisher einer der Vorzüge der Altstädter Schule ist und bei der Eingliederung in die GS Blumlage verloren geht, darauf mussten in der Öffentlichkeit SuS, Lehrer*innen und Eltern der Altstädter Schule aufmerksam machen.
2.) Die Oberschule Westercelle habe einen gestiegenen Raumbedarf, der durch die am selben Standort befindlichen Räume der GS Nadelberg gedeckt werden könne. Gleichzeitig wird die GS Bruchhagen als „Bruchbude“ dargestellt – stark sanierungsbedürftig, allein in den letzten fünf Jahren habe die Stadt eine Millionen Euro reingesteckt (was jetzt – kleine Kapriole – einen Abriss rechtfertigen soll). Die weiteren Sanierungskosten prognostiziert die Stadt für die nächsten zehn Jahre auf gut 5 Mio. Euro.
3.) Ein Schulneubau in Westercelle würde – so die Verwaltungsvorlage – den „allerneuesten pädagogischen und schularchitektonischen Erkenntnissen entsprechen“. Und als Sahnehäubchen: Der Entwicklungsprozess für ein zeitgemäßes pädagogisches Konzept soll durch einen externen Berater moderiert werden. (Wird aktuell dort nach unzeitgemäßen Konzepten gearbeitet?)
4.) Dann haben wir den „Zauber“ der Synergie: „Größere Schulen (Blumlage, Bruchhagen) bieten optimale Vertretungsmöglichkeiten im Krankheitsfall von Lehrkräften, SchulsozialarbeiterInnen und –sekretärinnen.“
Nachteile? Keine, denn selbstverständlich hat die Verkehrsabteilung der Stadt einen ersten Vorschlag für eine sichere Querung der B3 erarbeitet, der in ein „Schulwege-Konzept“ münden soll.
Zu den leidigen Finanzen heißt es in der Vorlage der Verwaltung wie folgt:
„Für den Verkauf der Nadelbergschule und der Altstädter Schule an den Landkreis Celle sind 17,5 Mio. € an Einzahlungen [...] zu veranschlagen. Die ersten Kostenschätzungen für den Neubau einer dreizügigen Grundschule in Westercelle (Bruchhagen) belaufen sich auf 13,9 Mio. €. Demgegenüber werden in den nächsten zehn Jahren geschätzt Sanierungskosten für die Schulen Nadelberg und Bruchhagen in Höhe von ca. 7,83 Mio € eingespart. Hinzu kommen Einsparungen durch den günstigeren Betrieb einer neuen Grundschule gegenüber dem Betrieb von zwei Grundschulen am Standort Westercelle. Für die Zusammenlegung der GS Altstadt mit der GS Blumlage werden an dem Standort der GS Blumlage Projektkosten in Höhe von 1,9 Mio. € prognostiziert“. Rund 3,5 Mio. Euro muss die Stadt allerdings noch in die denkmalgerechte Sanierung der Altstädter Schule stecken.
Die laufenden Kosten gestalten sich im Betrachtungszeitraum von zehn Jahren ohne die geplanten Umstrukturierungen in Höhe von 14,4 Mio. Euro (Instandhaltungsbedarf, Bewirtschaftungskosten, Abschreibungen). Nach den Umstrukturierungen würde sich dies nach Berechnungen der Verwaltung auf 6,5 Mio. Euro reduzieren.
Die Rektorenkonferenz wie auch die Informationsabende an den Schulen ergaben aus Sicht der Verwaltung eine Ablehnung der „Jahrhundert-Chance“ nur durch die Altstädter Schule.
Eltern der Spracheilschule zeigten sich in erster Linie enttäuscht darüber, dass ihre Kinder bis 2023 in Hambühren beschult werden sollen. Allgemein wichtiger und in der Öffentlichkeit bisher nicht behandelt ist eine andere Frage: Lassen sich die inklusiven Bedürfnisse der Sprachheilschule tatsächlich baulich in einem denkmalgeschützen Bau wie der Altstädter Schule realisieren?
Aufschlussreich sind auch die Anmerkungen des Kreiselternrats. Er gibt zu Bedenken, dass ganz große Grundschulen nicht automatisch eine gute Idee wären. Dabei verweist er darauf, dass Sporthallen bei höherer Zügigkeit eventuell nicht ausreichen. Interessant ist auch der Hinweis darauf, was mit den Klassengrößen passieren könnte. Würde nämlich aktuell zusammengelegt, ergäbe sich folgendes Bild: Die realen Klassengrößen 2018/2019 betrugen im Schnitt GS Blumlage 17,4, GS Altstadt 13,3, GS Bruchhagen 18,4, GS Nadelberg 18,0 – Bei (hypothetischer) Zusammenlegung wären es gewesen: GS Blumlage / Altstadt 20,9; GS Westercelle 22,4. Auch die Unterrichtsversorgung sei nicht automatisch besser, denn – so banal es klingt – bei einer kleinen Schule sei die Wahrscheinlichkeit, dass alle Lehrer*innen gesund seien höher als bei einer größeren Schule.
Der Kreiselternrat sieht es als möglich an, dass die SuS-Zahlen schon in wenigen Jahren für die Alt-stadt/Blumlage eine 5- statt 4-Zügigkeit und für Westercelle eine 4- statt 3-Zügigkeit erforderlich mache. D.h. Es würden Räume fehlen.
Der Stadtelternrat argumentiert ähnlich: „Aus unserer Sicht muss daher der Neubau der Grundschule Bruchhagen in Westercelle vierzügig, sowie die Modernisierung der Blumläger Schule fünfzügig erfolgen.“ Gleichzeitig stellt der Stadtelternrat auch das Vorgehen in Frage: nach dem Niedersächsischen Schulgesetz sei eine Neugestaltung der Organisation der Schulen zwar möglich – aber: „im Rahmen eines Gesamtkonzeptes“. „Dem Stadtelternrat ist ein solches Gesamtkonzept bis dato nicht bekannt. Dementsprechend fordern wir die Schulverwaltung auf, eine Schulentwicklungsplanung, schulformübergreifend, gemeinsam mit dem Landkreis zu erarbeiten und schnellstmöglich nachzuliefern. Für den Stadtelternrat wäre eine Reduzierung der Anzahl der Grundschulen nur dann hinnehmbar, wenn dies tatsächlich mit einer deutlichen Verbesserung der Schulsituation einhergeht.“ Weiter erwartet der Stadtelternrat, „dass mindestens die durch den Wegfall eingesparten Instandhaltungs- und Betriebskosten in die übrigen Grundschulen zusätzlich investiert werden. Dazu fordern wir zeitnah die Quantifizierung der Höhe dieser Mittel, sowie ein Zustandskataster aller Grundschulen und nachfolgend ein Gesamtkonzept für die mittel- und langfristige Modernisierung sämtlicher Grundschulen.“
All dies spielte bei der Entscheidung nur eine untergeordnete Rolle. Die Demonstration von SuS, Eltern und Lehrkräften (Fotos) konnte OB Nigge und seine Unterstützer*innen nicht umstimmen.
Ganz durch ist die Sache bei Redaktionsschluss nicht: Der Kreistag muss in seiner Sitzung am 28. Oktober dem Kauf der Gebäude von GS Altstadt und Nadelberg zustimmen. Schwarz-grün braucht für eine Mehrheit hier die Zustimmung entweder von WG- oder FDP-Fraktion.
Petition an Landrat Wiswe
Altstädter Schule darf nicht verkauft werden!
Der Schulverein GS Altstädter Schule hatte über eine Internetplattform Unterschriften für eine Petition an Landrat Wiswe gesammelt. Die Zeichungsfrist ist bei Erscheinen diese Heftes abgelaufen; da es sich aber um eine gute Zusammenfassung der Argumente handelt, dokumentieren wir sie hier:
Wir fordern den Landkreis Celle auf, in der Sitzung am 28.10.2019 von den Kaufabsichten des Gebäudes der Grundschule Altstädter Schule abzusehen. Die Pläne des Landkreises (Beschlussvorlage vom 26.09.2019) sind nicht ausgereift und richten sich gegen Pädagogik und Inklusion.
Begründung
Finanznöte der Stadt Celle dürfen nicht für die Veränderung der Bildungsstruktur sorgen. Die Stadt Celle sieht den Verkauf der Bauhausschule und der GS Nadelberg an den Landkreis Celle als einzige Möglichkeit, Gelder für einen Neubau und wenige Sanierungen zu generieren. Aus vier Grundschulen sollen zwei größere Schulsysteme werden.
Das gut greifende pädagogische Konzept der Altstädter Schule stärkt Kinder in ihrer persönlichen Entwicklung. Kleine Klassen und intensive Elternarbeit unterstützen dies.
Der zentrale Standort (Nähe zu Bücherei, Schwimmbad, Frz. Garten, Landgestüt, Altstadt etc.) ermöglicht eine fußläufige Aneignung der Lebenswelt der Kinder im Stadtteil.
Die Altstädter Schule wurde 1927/28 als Volksschule für Celle errichtet und „zählt international als eines der zehn wichtigsten Bauwerke des Bauhausstils“ (www.otto-haesler-stiftung.de, 03.10.2019).
Die Schließung spricht gegen das in Celle gültige Credo „kurze Beine – kurze Wege“ und erwirkt mehr Verkehrslast durch Elterntaxis zu einer weiter entfernten Schule.
Eine inklusive Nutzung nach pädagogischen Gesichtspunkten einer Förderschule im denkmalgeschützen Gebäude ist zweifelhaft und nicht analysiert. Der Landkreis Celle plant nach Erwerb des Gebäudes den Einzug der Sprachheilschule. Dies würde außerdem eine 2x tägliche Anfahrt der Schule mit ca. 25 Kleinbussen bedeuten.