Befragung im Sozialausschuss belegt: Gutachten ist „nicht schlüssig“

Die Thematik wirkt kompliziert: Was sind angemessene Kosten der Unterkunft bei Hartz IV? Dies kann mit einem Gutachten ermittelt werden – oder die Wohngeldtabelle des Bundes herangezogen. Der Landkreis Celle versucht seit Einführung von Hartz IV mit einer gutachterlichen Mietwerttabelle ans Ziel zu kommen. Obwohl Sozialgerichte immer wieder deren Rechtswidrigkeit feststellt haben, hält der Landkreis daran fest. Zuletzt behauptete er sogar: „Es bleibt eine Tatsache, dass die letzten beiden Wohnungsmarktgutachten in der höheren Instanz des Landessozialgerichts nicht gescheitert sind.“

Die Kreistagsabgeordnete Behiye Uca (Die Linke) wollte wissen, auf welche Urteile sich der Landkreis beziehe. Sie bekam sie [L 9 AS 510-13 und L 9 AS 1143-14] und war einigermaßen überrascht: „In beiden Landessozialgerichtsurteilen hat der Landkreis verloren und den Klägern wurde ein Anspruch gemäß Wohngeldtabelle plus 10 Prozent zugesprochen.“

Dass auch die zum Januar 2019 in Kraft gesetzte Mietwerttabelle vor Gericht kaum Chancen haben dürfte, zeigte sich in der Sozialausschusssitzung im September. Behiye Uca hielt dem geladenen Gutachter Jörg Koopmann vor, dass seine Nebenkostenberechnungen für den gesunden Menschenverstand nicht nachvollziehbar seien.

Denn die Mietwerttabelle bewillige einem Fünfpersonenhaushalt in einer 95 m² großen Wohnung monatlich lediglich höhere Kosten für die Nebenkosten in Höhe von 0,05 € gegenüber einem Vierpersonenhaushalt in einer 85 m² großen Wohnung. Uca: „Es dürfte unbestritten sein, dass pro Person schon alleine wesentlich höhere Kosten für Wasser, Abwasser, Müllgebühren etc. anfallen und dieser Erhöhungsbetrag in Höhe von fünf Cent pro Monat absolut unrealistisch ist, zumal das Gutachten selbst beim Vergleich eines 3- mit einem 2-Personenhaushalt eine Steigerung der Nebenkosten in Höhe von 19,35 Euro ansetzt.“

Koopmann verwies darauf, dass der Wert sich nun einmal rechnerisch ergeben habe. Schnell wurde deutlich, wie es zu dem Fehler gekommen ist: Bei der Ermittlung des statistischen Durchschnittswertes der auf den Quadratmeter bezogenen Nebenkosten wurde unberücksichtigt gelassen, wie viele Personen in dem Haushalt wohnen. In die Berechnungsgrundlage sind somit bei der Ermittlung der Nebenkosten für einen Fünfpersonenhaushalt auch Haushalte eingeflossen, bei denen nur ein, zwei, drei oder vier Personen in einer 85 m² - 95 m² großen Wohnung wohnen.

Uca ist der Auffassung, dass diese Art und Weise der Methodik der Datenerhebung offensichtlich fehlerhaft ist. Der Landkreis sei deshalb auf Grund der Rechtsprechung verpflichtet, zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft die Werte der Wohngeldtabelle mit einem Sicherheitszuschlag von 10 % als Vergleichswert heranzuziehen.
Erfreulicherweise hat die FDP-Kreistagsfraktion Ende August mit einem Antrag genau dies gefordert. In der Begründung heißt es u.a.:

„Es ist bekannt, dass die Gerichte immer wieder Zweifel an den Mietwertgutachten des Landkreises Celle haben. Diverse Urteile der Sozial- und Landessozialgerichte haben gezeigt, dass eine Klage von betroffenen Personen meistens zum Erfolg führt. Dabei wurde deutlich., dass Gerichte diese Gutachten durchweg als nicht schlüssig erachtet haben.“

Wahrscheinlich ist der FDP-Antrag Gegenstand der Sozialausschusssitzung des Kreistags am 20. November, 14.30 Uhr – und kommt dann ggfs. noch am 4. Dezember in den Kreistag.

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Für die Betroffenen heißt die bisherige Praxis folgendes: Wenn sie nicht klagen, müssen sie i.d.R. bei Überschreiten der Grenzen der Mietwerttabelle entweder umziehen, oder sie müssen die nicht erstatteten Mietkosten aus ihrem Regelsatz tragen. Letzterer stellt bekanntlich das Existenzminimum dar, was wiederum heißt: Sie haben dann weniger als das Existenzminimum. Im Landkreis Celle gibt es – wie in einem aktuellen Sozialgerichtsverfahren deutlich geworden ist – mindestens eine „Bedarfsgemeinschaft“ (so der Gesetzesjargon), für die praktisch seit Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 nur die nach den Mietwerttabellen angemessenen Werte erstattet wurden. Seit jetzt 14 Jahren wird diese Bedarfsgemeinschaft auf Grundlage von Gutachten, die sich allesamt als rechtswidrig erwiesen haben, um eine angemessene Erstattung ihrer Wohnkosten gebracht. - Dieser Zustand muss endlich ein Ende haben. Rechtssicherheit, darauf weist die FDP-Fraktion auch hin, kann es auf Grundlage der nicht schlüssigen Gutachten nicht geben.