Oskar Ansulls literarische Sichtung in vier Teilen

Was lange währt wird endlich Buch – so verkündet intern der Celler Lyriker, Autor und Forscher in Sachen Celle, Heide und Geschichte die Veröffentlichung seines Buches „Heimat, schöne Fremde“.

Es sind aus wohl mehr als nur den kolportierten 8 Jahren Arbeit und Recherche gesammelte Lesefrüchte, Anekdoten und Historien, die den recht beeindruckenden Ziegel von knapp tausend Seiten hier den Celler*innen und interessierten Menschen an die Hand gegeben werden.

In vier Abschnitten finden Orte, Personen und Ereignisse Erwähnung, die beileibe nicht allen Leuten geläufig sind und deren schiere Aufzählung rasch in ermüdende Beliebigkeit umschlagen könnte, wenn nicht ein ideeller Erzählfaden die größeren Bögen beieinander hielte.

So rührt es beispielsweise seltsam an, wenn der Text eines 13-jahrigen Jungen zu seinem Geburtstag im Lager Bergen-Belsen („Ich gehe durch das Leben wie durch dünne Gräser“) wenige Seiten von den allfälligen Teppichen im Kloster Wienhausen entfernt Erwähnung findet.

Es gibt leider nicht viele Fotos in dem Buch, das gleichwohl die Lesenden fordert; es sei denn wir schmökern lediglich umher und suchen, was wir jeweils finden wollen: Noch nicht restlos entschlüsselte Inschriften auf den Fachwerk-Preziosen der Innenstadt; die Namen der altvertrauten Dichter und die der unbekannteren Größen; die Kurzbiografien von Herrschern und Beherrschten; die der berühmten/mutmaßlichen Gäste und Durchreisenden sowie die Deutung seltsamer Ortsnamen im Landkreises.

Wenn Formulierungen wie „was nur wenig bekannt ist“ auftauchen, schrillt ja allenthalben der Besserwisser-Alarm, - die Cellerinnen und Celler kennen Ansull jedoch aus zahlreichen Lesungen und Veranstaltungen: bei ihm geht die unterhaltsame Plauderei der Vermittlung nur voraus, der Effekt dient der Kenntnisnahme.

„Wir mögen vom Gestern, vom Außen sprechen wie wir wollen, - wir reden doch immer nur vom Innen und vom Morgen“

„Heimat, schöne Fremde“ ist es wert entdeckt, miteinander geteilt und – warum nicht! – geschenkt zu werden. Und wir können noch immer über das dem Buche vorangestellt Zitat von Ernst Bloch nachsinnen: „... etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“

GEPUNKT

Buch-Vorstellung am Sonntag, 24.11., um 11.30 Uhr im Celler Schloßtheater
Ansull, Oskar: Heimat, schöne Fremde. CELLE Stadt & Land. Literarische Sichtung in vier Teilen, 984 Seiten, Wehrhahn Verlag Hannover Erscheint am 15.11.2019: 48,00 €

 

Allzuviel Nähe korrumpiert die Seele

Dank seiner Verbundenheit mit unserem kleinen Blatt konnten wir Oskar Ansull noch ein kleines Interview aufnötigen, das den Leseanreiz nochmal steigern könnte.

??: Welche Frau und welcher Mann hat dich bei deiner (Wieder-)Entdeckungstour am meisten überrascht?

!!: Die Frau, die kurz nach dem zweiten WK in Hermannsburg gelebt, geschrieben und gedichtet hat: Waltraut Nicolas. In diesem Schattenleben spukt die ganze deutsche Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Literarisch keine große Entdeckung, aber eine literarische Biographie, die noch zu entdecken wäre … mit großem zeitgeschichtlichem Umfeld – wie sonst so nirgends über die Dörfer hier.

Der Mann, ja, da gibt es einen ganz jungen Autor, Johannes Böhme, der für mich eine große Überraschung war und der mich mit seiner Prosa, seinem ersten Buch, völlig überzeugt hat. Er zählt für mich zu den Autoren der Celler Region, die weit über den Allerrand hinaus Bedeutung haben … selbst wenn er kein zweites Buch mehr schreiben sollte.
Es gibt natürlich weitere Überraschungen, aber diese beiden hebe ich jetzt mal hervor.

??: Wer von all den Autorinnen und Autoren hat am meisten unter Celle gelitten?

!!: Das ist eine Kategorie, die ich so nicht im Kopf habe und auch nicht thematisiere, auch wenn diese Aspekte immer wieder auftauchen und angesprochen werden. Gelitten haben fast alle, mehr oder weniger. Dies auch aus vielfachen und sehr unterschiedlichen Gründen … da einen oder eine an eine Spitze "best of" zu stellen … das ist ungerecht gegenüber den anderen, nicht weniger unter dieser Stadt gelitten habenden Autorinnen und Autoren. Und was heißt das schon: unter Celle gelitten???

Doch sollte nun tatsächlich jemand aus ganz bestimmten Gründen hervorgehoben werden, dann vielleicht der zartbesaitete Franz du Bois, Oberlandesgerichtsrat, schwul und Alkoholiker. Er hat, in Celle angekommen, mit dem Schreiben aufgehört und weiterhin ein Doppelleben geführt, bis er 1933 nur allzu früh starb. Eine Biographie, die in München oder Berlin besser aufgehoben gewesen wäre. Er hat gelitten, vom ersten Tag an als er in Celle auftauchte, ganz gewiss und sein Leid mit allzuviel Rotwein übergossen.

??: Wenn dir ein Verlag das Angebot machen würde, eines der vielen vergessenen Bücher wieder zu veröffentlichen – was wäre deine Wahl?

!!: Den Roman "Harte Gesetze" (1875) von der in Celle geborenen und aufgewachsenen Anna Kistner (Albrecht). Das wohl erste gesellschaftspolitische Buch, das unter dem Aspekt der Besserstellung der Frauen geschrieben wurde. Eine Leistung. Ein Tendenzroman, keine große Literatur, aber gut geschriebene, engagierte Prosa, die in Celle spielt. Der Roman wurde in Stuttgart gedruckt und es gibt wohl nur noch ein Exemplar in der Göttinger Universitätsbibliothek. Das Buch ist ein Stück Celler Geschichte … es ließe sich im Biedermeierzimmer des Bomann-Museum komplett vorlesen … das war die Welt, die die Kistner 1875 beschrieben hat. Exemplarisch! Auch Kistners Biographie ist noch zu entdecken. Wenn ich noch einen Wunsch frei hätte: unbedingt die Texte von Rolv Heuer! und Jörn Ebeling ist auch eine lohnende Entdeckung (kommt im Frühjahr als neues "celler-hefte" Buch)

??: Gibt es einen signifikaten Unterschied zwischen Leuten, die von innen oder von außen über Land und Leute, Flora und Fauna schreiben?

!!: Von einem bestimmten Niveau an, jenseits jeder Heideheimatduselei, gibt es keinen solchen Unterschied. Distanz ist da sehr hilfreich, wie überall. Allzuviel Nähe korrumpiert die Seele, das ist so. Das ist nicht schlecht, aber da muss man schon sehr stark sein. Ein Wulf Kirsten ist so ein starker Dichter mit großer Nähe zu seinem Ort, die Erde bei Meißen. Das ist selten! Von außen nach innen schreiben, weil sie oder er von innen gekommen ist … das ist wohl nicht schlecht. Löns z.B. konnte ganz gut über Flora und Fauna schreiben, er hat für Generationen den Blick auf die Landschaft geprägt, aber sein verbohrter Nationalismus ist natürlich ein Scheiß, salopp gesagt.