Carola Rackete hat im vergangenen Jahr in der Celleschen Zeitung eine größere Aufmerksamkeit erfahren als Greta Thunberg. Der Grund: Sie ist in Ovelgönne aufgewachsen und hat in Celle Abitur gemacht. Und wohl kein Thema hat auf der Facebook-Seite der CZ mehr (Hass-)Kommentare hervorgerufen als ihre Rettungsaktion im Juni 2019: Die Sea-Watch 3 hatte Flüchtlinge im Mittelmeer aus Seenot gerettet, und sie hatte als Kapitänin des Schiffs nach wochenlangem Warten schließlich trotz eines Verbots durch italienische Behörden den Hafen der Insel Lampedusa angelaufen.

Im November erschien ein Buch von ihr; Titel: „Handeln statt hoffen“. Wer hofft, viel über Kindheit und Jugend der Autorin in Celle zu erfahren, wird enttäuscht. Denn eins wird nach wenigen Seiten deutlich. Worum es ihr nun überhaupt nicht geht, ist ihre eigene Person. Es geht ihr, wie schon der Untertitel deutlich macht, um einen „Aufruf an die letzte Generation“. Die aktuell auf unserem Planeten lebenden Menschen sind die ersten, die die ökologische Katastrophe in ihrer ganzen Tiefe begreifen können. Gleichzeitig aber auch die letzten, die diese Katastrophe noch abwenden könnte.

Ihre jeweils zu Beginn der fünf Kapitel beschriebenen Erfahrungen auf der Seawatch 3 bilden insoweit nur eine Rahmenerzählung für ihr eigentliches Anliegen. Und das ist die Aufforderung, zu handeln statt zu hoffen.

Selbstverständlich setzt sich Rackete auch mit der Migration auseinander: „Nicht die Flüchtenden erzeugen eine Krise, sondern diejenigen, die diese Menschen daran hindern wollen. Wir haben es nicht mit einer Flüchtlingskrise, sondern mit einer Gerechtigkeitskrise zu tun. [...] Die einzige Möglichkeit der Gerechtigkeitskrise zu begegnen: Wir müssen Migration neu definieren – als festen Bestandteil menschlichen Lebens, als neuen Impuls für die Gesellschaften, als ein Menschenrecht und als Tatsache innerhalb einer Welt, die sich gerade grundlegend verändert. […] Und wir müssen unsere Verantwortung für die Umstände anerkennen, die zur Flucht führen.“ (S. 81)

Flucht wird, darauf weist die Autorin eindringlich hin, zunehmend durch sich verändernde klimatische und ökologische Bedingungen erzwungen. Aber beim Kampf gegen die Klimakatastrophe geht es um weit mehr: Das beginnende sechste große Artensterben auf diesem Planeten kann die Gattung Mensch einschließen.

Rackete referiert Ursachen und Folgen der Klimakatastrophe. Und das macht sie kenntnisreich in einer Weise, die gerade jenen zum Verständnis helfen könnte, die sich bisher nur am Rande mit dem Thema beschäftigt haben. Ergänzt wird dieser Strang mit ihren Eindrücken auf Fahrten mit dem Forschungsschiff Polarstern.

„Fangen wir an zu handeln“: Ihr Vertrauen in „die Politik“ ist – gelinde gesagt: gering. Sie setzt auf zivilgesellschaftliche Bewegung. Dabei bezieht sie sich auf wirkmächtige gewaltfreie Aktionen und Bewegungen beginnend mit den Protesten der Suffragetten Anfang des 20. Jahrhunderts über Ghandis antikoloniale Bewegung bis hin zu Extinction Rebellion. Dass das alles kein Zuckerschlecken wird, weil die Profiteure nicht freiwillig das Feld räumen, ist ihr klar: „Wir leben in Zeiten, in denen die Ordnung, die wir haben, falsch und zerstörerisch ist. Sie muss gestört werden, weil […] wir sonst zulassen, dass das System mit seinem Glauben an stetiges Wachstum uns etwas raubt, das unglaublich kostbar und unwiederbringlich ist. [...] Der zivile Gehorsam ist das Problem, nicht der zivile Ungehorsam.“ (S. 160)

Auch wenn sie sich positiv auf Postwachstums-Theorie und Degrowth-Bewegung bezieht, hat ihre Aufklärungsschrift ein kleines Manko: Sie beschäftigt sich nicht mit den Triebkräften des Wachstums-Paradigmas. Aber vielleicht muss sie das auch nicht, da es ihr um einen ethischen Turnaround geht: „Wir können gemeinsam und demokratisch eine Gesellschaft gestalten, in der die höchsten Werte nicht Geld und Wachstum und fortwährender Konsum sind. In der wir stattdessen auf Solidarität und Gerechtigkeit und Gemeinschaft setzen. Eine Gesellschaft, in der Wohlstand ganz einfach bedeutet, dass es allen gut geht.“ (S. 143)

Carola Rackete: Handeln statt hoffen: Aufruf an die letzte Generation , München 2019, ISBN-10: 342627826X, 176 Seiten, 16 EUR – in der Stadtbibliothek am Sonderstandort: Bestseller Sachbuch.