„Heute ist die Kunst eher, Licht wegzunehmen“

Am 14. und 16. Februar laufen im Kino achteinhalb zwei Filme in Anwesenheit des Kameramanns Diethard Prengel: „Die Sieger“ und „Der atmende Gott“. Prengel ist in Beedenbostel aufgewachsen und in Celle auf die Realschule Westercelle gegangen. Wir haben uns mit ihm zu einem Interview getroffen, bei dem wir einen Schwerpunkt auf sein Metier gelegt haben. Das Foto unten zeigt den jungen Diethard Prengel vorn knieend vor der 1970er-Jahre Kult-Kneipe „Pop“ - sieht irgendwie auch schon aus wie ein Schnappschuss von einem Dreh.

??: Gab es irgend etwas Prägendes in deiner Jugend, das dich zum Film bzw. konkret zur Kamera gebracht hat?

!!: Es gab in den frühen 1970er Jahren in Celle einen Filmclub. Den hatten Reinhard Möller und Uwe Pralle gegründet. Im damaligen Haus der Jugend [heute: bell Mundo] haben sie Filme gezeigt. Und da habe ich zwei Filme gesehen, die mich begeistert haben: zum einen „Blow Up“ von Antonioni und zum andern „Die Bettwurst“ von Rosa von Praunheim. Parallel war ich auch in der Kirche aktiv und habe für die fotografiert. Und das wollte ich dann verbinden, Fotografie und meine Faszination für Film. Und so kam der Entschluss, Kameramann zu werden. Da ich von einem Bauernhof in Beedenbostel stamme, war das für meine Eltern gar nicht nachzuvollziehen. Sie wollten selbstverständlich, dass ich den Hof übernehme.

??: Wie wird man Kameramann?

!!: Es gibt in Berlin eine staatliche Fachschule für Optik und Fototechnik mit der Fachrichtung Kamera. Allerdings brauchte ich vorab ein einjähriges Praktikum; da hatte ich das Glück, dass mich das ZDF genommen hat. Anschließend habe ich in Berlin den Abschluss als staatlich geprüfter Kameraassistent gemacht. Das habe ich lange gemacht, auch bei großen Produktionen wie „Theo gegen den Rest der Welt“ oder „Mann auf der Mauer“. Ich bin dann nach München, und da hatte die Bavaria ein Experimentierfeld für junge Filmleute – und zwar „Der Fahnder“ mit Klaus Wennemann. Und da haben tatsächlich viele Regisseure wie Dominik Graf oder später Matthias Tiefenbacher angefangen. Damals habe ich mit 29 Jahren meinen ersten Film mit Dominik Graf gemacht und wurde mit insgesamt 17 Folgen sowas wie der Fahnder-König. Auch die 100. Folge habe ich gemacht mit dem Bernhard Schadewald. Das war eine ziemlich gute Schule. Und es war auch seiner Zeit voraus, was wir da machen konnten.

??: Was sind deine Lieblingsfilme?

!!: Was mich seinerzeit sehr fasziniert hat, war „Apocalypse Now“. Der ist ja jetzt digitalisiert worden und da merkt man die Qualität, weil er nicht schlechter geworden ist mit den Jahren. Dann das neue Hollywood-Kino in den 1970er Jahren: „Taxi-Driver“, „Der Pate“, „The Deer Hunter“ von Cimino, „Prince of the City“, „French Connection“ mit Gene Hackman. Dann auch italienische Filme wie „Der Holzschuhbaum“ oder von den Gebrüdern Taviani „Padre Padrone“.

??: Schaust du die Filme mit dem Blick des Kameramanns?

!!: Wenn der Film gut ist, hat man dafür gar keine Zeit. Erst wenn ich mich langweile, achte ich auf die Kamera. Oder dann beim zweiten, dritten Mal. Ein Film, den ich mir wegen der Kamera tatsächlich zuletzt häufiger angeschaut habe, war „Der Geschmack aus Rost und Knochen“.

??: Was fällt bei Produktionen in deinen Entscheidungsbereich? Wie groß ist dein Einfluss auf die Bilder?

!!: Die Gestaltungsmöglichkeiten hängen davon ab, was der Regisseur zulässt. Es gibt Regisseure, die interessiert das die Bohne; die sagen: Mach mal, ich kümmere mich hier um die Schauspieler. Andere haben zwar bestimmte Vorstellungen, aber verhindern damit ein gutes Bild. Dann muss man sich als Kameramann einmischen, - zum Beispiel wenn sie die Schauspieler dicht an eine Wand stellen, wo man keine Tiefe mehr hinbekommt. Insgesamt muss man immer schauen, dass man mit den Regisseuren eine Sprache und ein Arbeitstempo findet, das für alle akzeptabel ist.

??: Gibt es in den Drehbüchern eigentlich schon Anweisungen für die Kamera?

!!: Nein - gar nicht. Das wird vor Ort entschieden. Und da hängt vieles davon ab, ob die Regie sicher ist, in dem, was sie will, und das dann auch ausdrücken kann, oder ob sie unsicher ist, was der Kamera manchmal mehr Möglichkeiten eröffnet. Manche Regisseure sind auch richtig froh, wenn ich ihnen sage, wie wir's am besten machen können. Ich habe insgesamt den Eindruck, dass Regisseure schnell sowas wie einen Charakter entwickeln und den dann auch immer bedienen. Danach richten sich letztlich die Bedingungen. Beim Licht allerdings lassen sie einem meist freie Hand, weil es die wenigsten wirklich interessiert. Hauptsache es sieht gut aus.. Da ist es heute eher so, dass man an der Geschwindigkeit gemessen wird. Also es wird nicht mehr gern gesehen, wenn man dafür zuviel Zeit aufwendet. Früher haben wir Überstunden gemacht, bis der Arzt kam. Heute ist nach 12 Stunden meist Schluss, auch weil's Kontrollen vom Gewerbeaufsichtsamt gibt.

??: Welche Bedeutung hatte die Digitalisierung für das handwerkliche?

!!: Früher war es so, dass Film und Fernsehen unterschiedlich gedreht wurden. TV-Produktionen auf 16 mm, Kino auf 35 mm. Das heißt, es war eine andere Tiefenschärfe, eine andere Abtastung usw. Man hatte andere Kameras für Kino, Fernsehen, Werbung. Heute hat man eine Kamera für alles. Die meistgebräuchliche heißt Arri Alexa, eine andere sehr gute ist die „Red“. Die Digitalkameras sind jetzt so gut, dass man den Charakter des Kameramanns kaum noch spürt. Viel hat sich in der Nachbearbeitung geändert. In der analogen Welt wurde dann eine Kopie hergestellt. Der Look des Films wurde beim Kopiergerät eingestellt und das Negativ neu belichtet; daraus entstand dann die neue Kopie. Um die Werte zu finden für das Kopierlicht, also z.B. wieviel Purpur oder grün, hat man kleine Filter angelegt und geschaut, wie es aussieht. Man hat so viele Kopien gemacht, bis es passte. In der digitalen Welt sieht man das Bild auf der Leinwand oder im Fernseher und man kann genau sehen, wenn man Farbe und Kontrast ändert beim sogenannten Color Grading. Heute sieht man das Bild direkt, früher erst, nachdem es entwickelt war, wie beim Foto.
Und die Kameras sind so empfindlich, dass man gar nicht mehr so fett Licht macht. Heute ist eher die Kunst, Licht wegzunehmen.

??: Aber Licht ist nach wie vor sehr wichtig, oder?

!!: Spannend für einen Kameramann ist, nachts zu drehen, weil man da mit der Beleuchtung alles beeinflussen kann. Innen ist vieles abhängig von den Fenstern. Jetzt im Winter sind Außenaufnahmen schwer, weil man sich immer beeilen muss, dass einem das Licht nicht abhaut. Dreharbeiten am Tag und draußen sind halt immer komplett abhängig vom Wetter. Man ist dem völlig ausgeliefert. Und bei den engen Produktionszeiten kann man höchstens bei Wolken mal sagen: Lasst uns uns mal 10, 15 Minuten warten, dann kommt die Sonne wieder raus.
Was mich mein ganzes Leben lang fasziniert hat, ist Rembrandt. Und wenn es passt, sage ich manchmal zu meinen Leuten, macht mal so Rembrandt-Licht. Also ein Licht, das nur die Gesichtstöne hervorhebt und alles andere im Dunkeln lässt. Und das ist bei der Fotografie immer das Wichtigste, dass die Gesichter interessant aussehen, vor allem auch die Hautfarbe nicht ungesund aussieht. Das ist immer der Zweck des ganzen Aufwands. Wo stellen wir die Lampe hin? Und dass wir mit riesigen schwarzen Mollton-Fahnen das ganze andere Licht so wegnehmen, dass der Lichtstrahl nur aufs Gesicht kommt.
Und dabei natürlich, wenn's geht, immer nur ein Schatten. Früher bei Hollywood-Filmen da haben die manchmal drei, vier Schatten auf einem Bild. Das wichtigste aber ist: Nur ein Schatten. Und wenn mal ein weiterer unausweichlich ist, möglichst kein Schlagschatten. Einen guten Kameramann erkennt man daran, dass er nur einen Schatten hat, dass er mit Gegenlicht arbeiten kann und dass die Gesichter moduliert sind.

??: Gibt's eigentlich gravierende Unterschiede zwischen Fernseh- und Kinoproduktionen?

!!: Die Produktionszeiten sind anders, aber auch beim Film gibt’s schon lange einen enormen Zeitstress. Nur beim Dokumentarfilm ist das anderes. Ich habe gerade in Indien einen Film über einen Architekten gemacht: Doshi, der zuletzt mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet worden ist. Da hast du nur drei Mann dabei, da ist das alles ein bisschen spontaner. Da dreht man sozusagen gemütlich vor sich hin.
Ein wesentlicher Unterschied ist aber, wie man Filme schaut. Es gibt so viele schlecht eingestellte Fernseher, dass dort alles nur noch aussieht wie eine Soap. Da fragt man sich, wofür macht man das alles. Da haben sich jetzt Hollywood-Größen, Tom Cruise und so, dafür eingesetzt, die "Motion Smoothing"-Funktion an den Geräten auszuschalten, damit die Filme wenigstens ein bisschen so wirken wie auf der großen Leinwand. Im Kino kommt meine Arbeit am besten rüber, dunkler Raum, der Projektor hat den größten Blendenumfang, auch dunkle Stellen erkennt man, keine störende Reflexionen auf der Leinwand und großes Bild.

??: Wenn du deine Filme dann erstmals nach dem Schnitt siehst? Was ist das für ein Gefühl? Worauf achtest du?

!!: Man schaut darauf, wie gut war die Lichtbestimmung. Haben die Einstellungen geklappt? Ist die Geschichte transportiert worden? Kapiert man alles? Oft werde ich zu einer Rohschnittvorführung eingeladen, wo ich schon noch Kritik einfließen lassen kann und Vorschläge machen, was hier oder da anders sein könnte. Aber ich habe natürlich kein Recht darauf, dass dies oder das noch verändert wird.

??: Was würdest du sagen, ist dein bester Film? Und warum?

!!: Merkwürdigerweise ist es so, dass bei Filmen, wo die Drehzeit richtig unangenehm war und man noch hinterher eine Zeitlang angepisst ist, sich richtig gute Ergebnisse einstellen. Von den Dreharbeiten bei „Die Sieger“ mit Dominik Graf habe ich heute noch gelegentlich Alpträume, Aber jetzt nach 25 Jahren würde ich sagen, war es einer meiner besten Filme. Auch beim Fußballfilm mit Uwe Ochsenknecht gab es starke Auseinandersetzungen im Team, aber es ist ein großartiger Film geworden. Erst unterscheide ich: Wie waren die Dreharbeiten, wie ist der Film. Merkwürdigerweise sind bei denen mit vielen Konflikten oft die Besseren herausgekommen.

??: Dein im Kino vom Besuch her erfolgreichster war ja wohl „Texas“ mit Helge Scheider.

!!: Ja. der hatte im ersten Jahr 1,2 Millionen. Aber Schneider war ein egomanischer Kontrollfreak, der alles Normale erstmal abgelehnt hat. Es gab dann auch eine Krise zwischen dem Regisseur Ralf Huettner und Helge Schneider. Der fand, dass der Rohschnitt – was eher eine Western-Parodie war – keine ausreichende Gag-Dichte hatte. Schneider hat dann selbst die ganzen „00-Schneider“-Szenen nachgedreht und in den Film eingebaut. Ich fand das Ergebnis überhaupt nicht gut und wollte vor dem Kinostart zuerst noch meinen Namen zurückziehen. Doch der Produzent Hanno Huth meinte: Bist du verrückt, das wird dein erfolgreichster Film. Und er hatte recht. Aber ich fände es jetzt schon spannend, wenn's davon nochmal einen Director's Cut gäbe.

??: Letzte Frage: Für wen würdest du gern mal die Kamera machen?

!!: Mein größter Traum ist, mal einen Film zu machen ohne Regisseur.