Besserwissis Anmerkungen zu Alltagslügen

Unter Federführung einer Ex-Weinkönigin schnürte die Bundesregierung im September 2019 ein Agrarpaket, das bis Mai 2020 in Kraft treten soll. Auf den Feldern stehen seitdem grüne Kreuze, Mahnfeuer flackern auch im Landkreis Celle auf, der aus dem EU-Agrarfond mit 78.596,65 € subventionierte Hannover Landvolk Vorsitzende Volker Hahn schreibt einen Brandbrief an die Politik und der AFD MdB Thomas Ehrhorn demonstriert in Berlin mit den Bauern. Dass es der sog. „Bäuerlichen“ Landwirtschaft in Deutschland nicht gut geht, ist allerdings wahr. So gaben von 2013 bis 2018 allein in Niedersachsen 1.700 Landwirte auf. In ganz Deutschland gab es 1949 ca. 1,65 Mio. Betriebe, in 1995 waren es 580.000 und in 2017 nur noch ca. 270.000 Betriebe.

Die Politik ruiniert nicht – sie hat bereits ruiniert

Zu diesem Fazit müsste eigentlich jeder normal tickende „bäuerliche“ Landwirt kommen und dann einmal selbstkritisch (!) nach den Ursachen fragen. Schließlich waren es vor allem die von diesen Bauern über Jahrzehnte gewählten Agrarpolitiker (vor allem der CDU/CSU) und ihre eigenen Bauernverbandsvertreter, die am Gängelband der Agrar- und Lebensmittelindustrie zielsicher den Ruin der bäuerlichen Landwirtschaft betrieben. Das aber wollten die Bauern nicht sehen und glaubten nur all zu gern den Lügen ihrer Volks- und Standesvertreter, das Ausland und die EU sei an ihrer Misere schuld.

Freie Marktwirtschaft als Zwang zur Produktivitätssteigerung

Während in der DDR die zwangskollektivierten Bauern in den LPGs frei von Existenzsorgen ackern konnten, mussten sich die freien Bauern im Westen den Zwängen der Marktwirtschaft beugen. Schon in den 70er und 80er Jahren zeigte sich das als Existenz bedrohender Zwang zur Produktivitätssteigerung. Während sich in den 60ern ein 100 ha Landwirt noch bis zu zwei Mit­arbeiter leisten konnte, musste er in den 70ern schon oft auf 150 ha alleine ackern. Die dafür nötigen Investitionen in Maschinen mussten allerdings durch Ertragssteigerung refinanziert werden. Und so begann eine Orgie aus Intensivierung und vor allem auch des Pestizid-Einsatzes, bei gleichzeitig sinkenden Abnahmepreisen. Wenn aber die Einkünfte pro Hektar sinken, dann brauche ich eben mehr Hektar, und wenn der sinkende Milchpreis pro Kuh weniger bringt, brauche ich eben noch mehr Kühe.

Weltmarkt statt Versorgung der Bevölkerung

Eigentlich war schon damals klar, dass der „Bauer“ diesen Wettlauf mit der industriellen Land­wirtschaft nie gewinnen konnte und kann. Wer realistisch war, hörte „freiwillig“ auf und ging z.B. zu VW ans Fließband, wer zu sehr an Blut und Boden hing, hielt durch bis zum Konkurs. Die rund 420.000 Bauern, die in 2000 noch übrig waren, wurden nun zu den nützlichen Idioten einer neuen Ausricht­ung der Agrarpolitik: Die deutschen Bauern – vor allem in der Viehhaltung – sollten hinfort ver­stärkt für den Weltmarkt produzieren. Dies – u.a. vom zwischenzeitlichen Bundes-Landwirt­schaftsminister Seehofer propagiert – war für Deutschland äußerst erfolgreich. Aber nicht für die Masse der Bauern, die Betriebe schwanden weiter (s.o.!). Heute ist Deutschlands Wirtschaft dritt­größter Fleischexporteur der Welt und 50% der Milchprodukte werden exportiert. Was auch die AFD-Parole widerlegt: „Ist der Bauer ruiniert, wird dein Essen importiert“. Nein, es kommt dann eben aus der „Agrarfabrik“.

Hauptfeind Düngemittelverordnung

Das Agrarpaket fordert u.a.: Absolut dichte Gülle- und Mistlager; Verlängerung der Sperrfristen für Gülle- und Mistdüngung um einen Monat; Verbot der Herbstdüngung im Spätsommer für einige Acker­früchte; pauschale Absenkung der Bezugsgrößen bei Berechnung des Düngebedarfs um 20 %. Obergrenze von 170 kg Stickstoff pro Hektar nicht mehr im Durch­schnitt, sondern real für jedes Feld; Zwang zu fast ganzjährig durchgehender Bodendeckung. Wer weiß, dass in Niedersachsen derzeit pro Jahr und Hektar Ackerfläche mindesten 0,25 kg bis 5 kg Humus verloren gehen, und wer weiß, dass 2016 (laut Umweltbundesamt, UBA) aus 28 % der Grund­wasservorkommen in Deutschland wegen des hohen Nitratgehalts von über 50 mg/l kein Trink­wasser mehr gewonnen werden kann, wird (wie übrigens auch die EU) diese Maßnahmen als eher ungenügend erachten. Den „kleinen“ Bauern treffen sie allerdings hart.

Nitratschwund und andere agrarpolitische Wunder

Der obengenannte Wert von 28 % Nitrat verseuchtem Grundwasser wurde vom UBA inzwischen auf 18 % gesenkt. Eine Verringerung von 10 % in nur 3 Jahren ist naturwissenschaftlich ein Wunder, denn der Abbau von Nitrat im Grundwasser dauert bis zu 100 Jahre. Der Zaubertrick war ein ganz einfacher: Wie schon bei den Stickoxidmessungen, wo man nicht mehr an der Straße, sondern im Park misst, wird das Grundwasser jetzt bevorzugt in nicht landwirtschaftlich genutzten Gebieten gemessen. In Niedersachsen, dem Kernland der Massentierhaltung und der Gülle­produktion, wurde dazu z.B. die Zahl der Messstellen von 23 auf 103 erhöht. Laut einer 2018 im International Journal of Cancer veröffentlichten Großstudie erhöht sich aber bereits ab 3,87 mg/l Nitrat im Trinkwasser die Krebsrate signifikant. Das war eigentlich schon 2006 bekannt und die EU wollte deshalb schon damals den Grenzwert auf 25 mg/l festlegen. Durch das Einwirken der deutschen Agrarlobby wurden dann daraus die „bauernfreundlichen“ 50 mg/l. Heute haben wir in vielen deutschen Städten Nitratgehalte im Trinkwasser von 10 mg/l und mehr.

„Ohne Glyphosat und Leguminosen ist das Grundwasser nicht zu schützen“ ...

… jammert z.B. der Vorsitzende des Landvolks Hannover, Volker Hahn. Dass vor Anpflanzen einer Zwischenfrucht erstmal mit Glyphosat „aufgeräumt“ werden muss, ist ihm selbstverständlich. Vielleicht sollte er mal seine Großeltern oder Kollegen aus der Biolandwirtschaft fragen, wie das ohne geht. Und dass auch ein Teil des Glyphosats im Grundwasser landet, ist ihm „fachlich“ selbstverständlich. Dabei haben bei Stichproben schon bis zu 70 % der Deutschen Glyphosat im Urin. Und das ursprünglich als „völlig harmlos“ eingestufte, dann aber als krebserregend erkannte Herbizid Atrazin, ist zwar seit 30 Jahren verboten. Findet sich aber heute noch immer vielerorts im Grundwasser und macht bei der Trinkwasseraufbereitung hohe Kosten. Aber laut Landvolk ist die aktuelle Schikanierung der Bauern noch schlimmer: „Fachleute warnen uns vor dem Anbau von Leguminosen als Zwischen­früchte, weil dadurch mehr Nitrat ins Grundwasser ausgewaschen werden kann.“ Ja, wer eh schon Probleme mit zu viel Stickstoff hat, sollte tatsächlich nicht auch noch Stickstoffdünger bildende Pflanzen anbauen. Ein Blick ins Fachbuch würde auch hier helfen: Es gibt eine ganze Reihe diesbezüglich unbedenklicher Zwischenfrüchte.

„Pestizide sind harmlos und unverzichtbar“

Herr Hahn schreibt: „glaubt Ihr, dass es den Insekten zu Zeiten von DDT, Lindan und E 605 besser ging“. Wir können mangels Masse leider keine Insekten mehr fragen. Aber dass DDT, Lindan und E-605 gefährliche Gifte sind, ist unbestritten. Z. B. findet sich DDT, seit 1972 verboten, noch heute in Spuren überall in der Natur. Doch verglichen mit heutigen Pestiziden, wurden sie nicht so „flächendeckend“ eingesetzt. Allein von 2008 bis 2018 stieg(!) die Anzahl der in der Land­wirtschaft eingesetzten Pestizide um 40% von 523 auf 872. Auch hier klärt uns Herr Hahn „fach­männisch“ auf: „Ihr verbietet Beizen und notwendige Insektizide zum Schutz der Pflanzen …. und ihr wundert Euch, dass wir dann halt die Kultur anbauen, die am besten ohne Pflanzenschutz auskommt: Mais!“. Wahr ist: Einige Maisbeizmittel wurden tatsächlich verboten, aber es gibt ja noch genug zugelassene Beizen z. B. mit Metalaxyl-M und Fludioxonil. Und falls bei ungebeiztem Mais der Zünsler kommt, gibt es immerhin noch dutzende zugelassene Spritzmittel wie z. B. BACTOSPEINE ES; CORAGEN, Decis forte, Dipel ES, Fastac ME, Lepinox Plus usw. So viel Mais wird eben nicht angebaut, weil es ohne Pestizide geht (ohne Herbizide ohnehin nicht), sondern weil man ihn (noch) gut an die Biogasanlagen los wird. Übrigens, dass für bestimmte Stoffe Grenzwerte festgelegt sind, heißt nicht, dass diese Stoffe für Mensch und Natur ungefähr­lich sind. Wie war das mit DDT, Lindan, E-605, Atrazin, Asbest, den chlorierten Kohlewasser­stoffen; Azofarbstoffen usw.? Alle mal per Grenzwert als unschädlich erklärt und erst nach Jahrzehnten und vielen Toten verboten!

„Konventionelle Bauern fördern die Artenvielfalt“

Auch hier klärt Hahn „fachmännisch“ auf: „Inzwischen will die ganze Welt die Bienen retten. Da sind wir [Bauern] ganz vorne mit dabei. …. Wenn Ihr bei uns nachts auf dem Land Licht an­macht, schwärmen innerhalb von wenigen Minuten zig Insekten um den Lichtkegel – macht das mal bei Euch in der Stadt – ihr werdet kaum ein Insekt finden!“ Komisch nur, dass die Stadtimkerei schadstofffreien Honig liefert. Seltsam auch, dass z.B. die Großstadt Berlin eines der arten­reichsten Gebiete Deutschlands ist. Voll mit Tieren, die vor der konventionellen Landwirtschaft in die Stadt „geflohen“ sind. Und wer vor 40 Jahren mit dem Pkw von Celle nach Hannover brauste, der hatte – im Gegensatz zu heute – die Windschutzscheibe noch voller Insekten. Aber wenn man nur auf seinem Acker sitzt oder mal mit dem Trecker nach Berlin tuckert, fällt einem sowas nicht auf. Natürlich lässt sich der konventionelle Landwirt gerne dafür bezahlen und „feiern“, Blühstreifen oder gar Blühfelder anzulegen. Doch wenn das Bienen und anderen Insekten nicht eher schaden statt nützen soll, müsste man 5 km Abstand zu konventionell bewirtschafteten Feldern halten. Sonst nehmen sie mit dem Nektar auch Pestizide auf. So wurden im "Bio"-Honig aus Blühstreifen schon Glyphosat oder Spritzmittel aus 5 km entfernten Feldern gefunden.

„Bauern sind gegen Flächenfraß“

„Bei uns in der Region Hannover sind in den letzten 25 Jahren fast 10.000 ha Fläche (8 % der Landwirtschaftsfläche) verloren gegangen durch Bautätigkeiten aller Art“, schreibt Hahn. Das trifft sicher zu und wer für Nachhaltigkeit ist, muss natürlich gegen diesen Flächenfraß sein. Doch befindet man sich dabei mit dem Landvolk nicht in schlechter Gesellschaft? Fährt man in der Umgebung von Celle durch die Dörfer, sieht man tatsächlich allerorts von Ackerland in Bauland umgewandelte Flächen. Doch in der Regel waren nicht die Bauern die Opfer dieser Umwandlung, sondern die Gewinner. Sie hätten sich bei Volker Hahn schön bedankt, wenn er ihnen diese Möglichkeit der wirtschaftlichen Sanierung verboten hätte. Wahr ist: Nur eine Landwirtschaft, die sich lohnt ist nicht gezwungen, Ackerland zu verkaufen. Übrigens haben auch im Landkreis Celle einige Großbauern bereits so viel Land zusammengekauft, dass kleinere Bauern gar nicht mehr auf Biolandwirtschaft umstellen können, da sie dazu i.d.R. größere Flächen benötigen.

Bäuerliche Landwirte haben durch das Agrarpaket echte Probleme

Abgesehen vom zusätzlichen Aufwand für Protokollierung und Dokumentierung sind die neuen Bestimmungen des Agrarpakets für kleinere Landwirte tatsächlich Existenz bedrohend. Zum Beispiel Mistlagerung: Wer noch Viehhaltung mit Mistbildung betreibt, gehört mit Sicherheit nicht zu den typischen Massentierhaltern, sondern zu den Klein- oder den Bio-Landwirten. Dass alle Mistlagerstätten in Zukunft überdacht sein müssen, leuchtet ein, da sonst die Gefahr von Aus­schwemmung bei Regen besteht. Doch dass die Bodenplatte auch noch aus absolut fugenfreiem Spezialbeton bestehen muss, ist dann eigentlich überflüssig. Angeblich gibt es im Großraum Hannover nur ein einziges Bauunternehmen, das für solche Betonplatten zertifiziert ist. D.h. eine solche Betonplatte für den Mist von ca. 30 Rindern, kann den „kleinen“ Bauer ruinöse 60.000 Euro kosten. Dagegen lässt die echte Umweltsau, der Millionen schwere Massentierhalter, erstmal die kleinen Bauern für sich demonstrieren und wenn das nichts nützt, zahlt er diese Investitionen notfalls aus der Portokasse.

Es gibt Alternativen!

Fazit: Die industrielle Landwirtschaft macht derzeit die Reste der bäuerlichen platt. Zum Beispiel bekommt ein 2000 ha Landwirt in McPomm für seine Flächen derzeit so viel Subventionen, dass er davon alleine in Luxus leben könnte. Er baut nach eigener Aussage nur noch Getreide an (mit 1,5 Mitarbeitern) um diese Subventionen weiterhin kassieren zu können. Die Lösung für eine wirklich bäuerliche Landwirtschaft wäre also ganz einfach: Umstellung auf artgerechte Tierhaltung, Biolandwirtschaft und echte (!) Landschaftspflege. Oder wie das durchaus auch von einigen Bauern zu hören ist: Wenn die Subventionen für die konventionelle Landwirtschaft komplett gestrichen und zu 100 % auf Biolandwirtschaft umgeschichtet würden und es zusätzlich aus­reichende Umstellungszuschüsse gäbe, wäre es schnell vorbei mit Umweltzerstörung, Grund­wasserverseuchung und Tierquälerei. Liebes Landvolk, dann würdet ihr auch endlich wieder wertgeschätzt!

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Dirk Andresen, der Sprecher von "Land schafft Verbindung", der Initiative, die den Protest organisiert, ist übrigens ein Großagrarier mit einer riesigen Sauenhaltung in Meck-Pomm. Seine "Andresen Siedenbollentin GmbH & Co. KG" erhielt im Jahr 2018 an EU-Agrarsubentionen 369.651,87 €, im Jahr davor sogar 392.068,25 €.