Kaum Verbesserungen durch Fortschreibung des Nahverkehrsplans
Gibt es etwas, das auf lokaler Ebene früher mal besser war? Ja. Der ÖPNV. Gibt es etwas, das Mobilitätsverhalten ändern könnte?. Ja. Der ÖPNV. Gibt es etwas, wo in Celle in den nächsten fünf Jahren keine bewegenden Veränderungen anstehen? Ja. Beim ÖPNV.
Es ist eigentlich an der Öffentlichkeit vorbeigegangen: Im Juni vergangenen Jahres verabschiedete der Kreisausschuss, ein nicht öffentlich tagendes Gremium des Kreistages, die Fortschreibung des Nahverkehrsplans für den Zeitraum 2019 bis 2023. Eine Befassung durch den Kreistag fand nicht statt. Angesichts der Klimadiskussion wäre es auch eine peinliche Veranstaltung gewesen, denn: Im Kern wurde nur der Status Quo fortgeschrieben. Die einzig bisher wirksame Verbesserung beschränkt sich auf die Einführung eines 30-Minuten-Taktes für den Ortsteil Westercelle. Aber: Zwei Punkte sind noch offen: Im Haushalt des Kreises für 2020 stehen neu 450.000 EUR zur Einführung eines 365-Euro-Tickets für Schüler*innen (inklusive Berufsschüler*innen). Das konkrete Konzept allerdings steht noch aus. Und das betrifft auch den zweiten Punkt, nämlich die Ausdehnung des abendlichen Linienverkehrs.
Beim Schülernetzticket gibt es die Idee ein 365-Euro-Ticket einzuführen. So werden Jahreskarten bezeichnet, mit denen (unterm Strich) für einen Euro am Tag alle Busse in einem Verkehrsverbund genutzt werden können. Weil ein solches Jahresticket erstmals in der österreichischen Hauptstadt eingeführt worden war, wird es auch als „Wiener Modell“ bezeichnet. Die Beschränkung auf Schüler*innen allerdings greift zu kurz. Deshalb wäre wichtig, dass schon im ersten Schritt – zumindest im Modellversuch – auch Leistungsbezieher*innen von Hartz IV, Grundrente oder Asylbewerberleistungen davon profitieren könnten. Dann nämlich wäre es halbwegs das, was anderswo schon als Sozialticket Gültigkeit hat.
Als mögliche Verbesserung „angedacht“ ist dann auch die Verlängerung des Linienverkehrs über 20 Uhr hinaus. Für die Stadt Celle gibt es hier aktuell das sogenannte „Anruf-Sammel-Taxi“ (AST). Das System ist vergleichsweise kompliziert. Es bedient in der Stadt bis Mitternacht einen Abendverkehr im Stundentakt. Das Komplizierte: Etwa 45 Minuten vor Fahrtantritt muss der Bedarf zu drei festgelegten Abfahrtzeiten telefonisch angemeldet werden. Zudem ist die Stadt in vier Tarifgebiete (Kernbereich, Nahbereich, Fernbereich und Fernbereich 2) eingeteilt, und kostet – je nachdem – zwischen 3,60 und 5,10 Euro. Für Kinder, Zeitkarteninhaber und Freifahrtberechtigte gilt in allen Zonen der Preis von 2,80 Euro. Das Gute: Eingesammelt werden die Fahrgäste an den jeweiligen Haltestellen, dann aber werden sie i.d.R. vor die eigene Haustür gefahren. Bei der Ausdehnung des regulären Verkehrs geht es also zunächst einmal um den Landkreis, der bis auf die Strecke Hambühren – Wietze (ebenfalls AST für 5/6 EUR) im Abendverkehr überhaupt nicht mehr im ÖPNV befahrbar ist. Im aktuellen Nahverkehrsplan heißt es dazu: „Deutlichere Mehrleistungen könnten sich vor allem aus einer verlängerten Taktbedienung abends ergeben, worüber aber zunächst aufgrund von Nachfragedaten entschieden werden soll. Insofern ist der konkrete Umfang dieser Leistungen noch nicht planbar.“ (133) Und an anderer Stelle: „Zur Bewertung geforderter Erweiterungen der Taktbedienung nach 20:00 Uhr wurde geprüft, welche Mehrleistungen entstehen, wenn die Bedienung aller Taktlinien Mo – Fr im bestehenden Taktraster bis 21:00 Uhr erweitert wird. Im Ergebnis resultieren 71.250 Fahrplan-km auf Stadtlinien und 79.200 Fahrplan-km auf Regionallinien, in Summe also ca. 150.000 Fahrplan-km. Für diese Mehrleistung wäre eine Erweiterung der Zahlungen nach dem Verkehrsvertrag im Umfang von ca. 400 TEUR/a zu veranschlagen. Aus diesem Grund soll zunächst eine Nachfrageprüfung auf den gegenwärtig jeweils letzten Fahrten eine gezielte Auswahl wirklich bedarfsgerechter Bedienungserweiterungen ermöglichen.“ (96)
Vielleicht wird das Alles schon Thema beim nächsten Kreistags-Ausschuss für Wirtschaft, Verkehr und Tourismus am 20. Februar (14.30 Uhr).
Zurück in die Zukunft
Wer es ernst nimmt mit der Verkehrswende, weiß: In einer Stadt wie Celle muss der private PKW-Gebrauch um mindestens zwei Drittel zurückgehen. Der einzig sinnvolle Weg liegt im Ausbau von ÖPNV und Fahrradverkehr. Aktuell liegt dabei vieles im Argen. Wir wollen deshalb mal einen Blick zurück werfen in Zeiten, in denen der ÖPNV nicht bloß für den Schüler*innen- und „Restverkehr“ zuständig war.
Der wesentlichste Unterschied war, dass es bis 1986 einen täglichen Spätdienst im Linienbetrieb gab. Wo heute um 20.05 die letzten Busse am Schlossplatz starten, konnten man/frau vor 50 Jahren nach Kino oder Theater sogar erst nochmal in den Kneipen in eine Diskussion einsteigen, um dann stressfrei um viertel vor Zwölf in den Bus zu steigen. Drei Linien beförderten einen in die heimatliche Nähe: Mit der Linie A ging's über die Heese Richtung Wietzenbruch; mit der Linie B über das östliche Hehlentorgebiet, Altenhagen, Bostel, Garßen nach Vorwerk; und die Linie C beförderte die Spätheimkehrer nach Klein-Hehlen. Benachteiligt war, wer nach Altencelle wollte, denn da fuhr der letzte Bus aus der Altstadt bereits um 23.05 Uhr (was zugegeben heute fast egal wäre, da kaum noch eine Kneipe länger als bis 23 Uhr geöffnet ist). Die Linie A fuhr ab 20 Uhr im 40-Minuten-Takt; auf den beiden anderen Linien gab es nach 20 Uhr immerhin drei Angebote.
Vor 1978 bzw. 1982 wurden die alten Celler Stadtteile werktags mit einem 15-Minuten-Takt bedient. Danach wurde dies auf 20-Minuten ausgedehnt, um mit Gründung der CeBus im Jahr 2002 zur im Wesentlichen heute noch gültigen halbstündigen Taktung zu kommen. Selbstverständlich gibt es einen engen Zusammenhang mit verschiedenen Faktoren. Der wichtigste dürfte die Zunahme der PKW-Dichte sein. In den 40 Jahren von 1971 bis 2011 hat sich die Zahl der PKW in der Stadt von 14.048 auf 31.562 um 225 Prozent gesteigert. Leider gibt es keine Fahrgastzahlen, die diese Entwicklung auf der anderen Seite spiegeln. Aber der Zusammenhang ist offensichtlich: Je mehr sich der motorisierte Individualverkehr ausdehnt, desto mehr wird der ÖPNV zum Restverkehr.
Der ÖPNV in Celle wird heute wirtschaftlich im Kern getragen vom Schulbusverkehr. Eine Tabelle aus dem NVP macht dies deutlich. Der sogenannte „Jedermann-Verkehr“ liegt seit Jahren stabil bei einem guten Drittel (siehe Tabelle unten; Quelle NVP)
Dass es aber nicht allein an der PKW-Dichte liegt, wird in einem Vergleich mit dem Großraumverkehr Hannover deutlich. Dort steigen seit Jahren die Fahrgastzahlen und trotz der zusätzlich gut 50.000 Studierenden in der Stadt ist das Verhältnis umgekehrt: Der GVH Hannover finanziert sich zu mehr als Zweidrittel durch den „Jedermann-Verkehr“. Es liegt also offensichtlich nicht nur am „Bedarf“, wie sich der ÖPNV entwickelt, sondern auch am „Angebot“.
Fahrgäste – in Celle unbekannte Wesen
Ein genauer Blick in die Fahrpläne zeigt zwar, dass es wahrscheinlich für Zweidrittel der Beschäftigten, die in der Stadt sowohl ihren Wohn- wie ihren Arbeitsort haben, akzeptable Verbindungen. Allerdings wäre es – ähnlich wie im Schulverkehr – erforderlich, die Taktungen an die Arbeitszeiten der großen Betriebe anzupassen. Die Mitarbeiter*innen von Lobetal wären eher zum Umstieg bereit, wenn das Angebot nicht halbstündig, sondern hinsichtlich Arbeitsbeginn- und Ende 15-minütig wäre. Genauso geht es den Arbeitnehmer*innen in den Gewerbegebieten in Altenhagen oder Westercelle.
Aber: Wer arbeitet schon noch an seinem/ihrem Wohnort. Im Landkreis Celle haben tatsächlich fast 2/3 der Beschäftigten ihren Arbeitsplatz nicht in ihrer Wohnortgemeinde, fast ein Drittel arbeiten in der Kreisstadt, gut 11.000 Beschäftigte pendeln aus dem LK Celle nach Hannover. Gleichzeitig pendelten 12.829 Beschäftigte aus anderen Landkreisen nach Celle ein (Einpendler), darunter ein Drittel aus Hannover.
Interessanterweise ist die Pendelei aus Gemeinden an der Bahnstrecke nach Hannover ja weder viel teurer, noch vom Zeitaufwand her weit auseinander. Beispiel Celle (Vorwerk) nach Hannover (Uni): Ein Routenplaner weist knapp eine Stunde Fahrtzeit aus und Kosten von rund 5 Euro für eine Fahrt. Bei der Bahn kostet ein Monatsticket im sogenannten GVH-Regionaltarif 144,90 EUR plus dann ermäßigte Monatskarte für die Stadt Celle 42,80 EUR – zusammen 187,70 EUR. Bei 20 Arbeitstagen wäre der ÖPNV schon günstiger. Beim Zeitfaktor spielen selbstverständlich die Fußwege noch eine Rolle. Vor allem aber dürfte es eine eingespielte Bequemlichkeit sein, die so viele das Auto nehmen lässt.
Wer aber jetzt wissen will, warum die einen mit dem Auto fahren und die anderen den ÖPNV nutzen, müsste tatsächlich in die Tiefe gehen. Um gezielter auf Bedarfe eingehen zu können braucht es Daten, Daten, Daten.
Der Nahverkehrsplan bildet fast nichts ab: Es gibt keinerlei auf Linien, Haltestellen oder Tageszeiten bezogene Nutzer*innendaten – ledig zum gesamten Beförderungsaufkommen (siehe Tabelle unten).
Prognose: Kaum Nachfrageanstieg
Im Unterschied zu den in den letzten Jahren stagnierenden Fahrgastzahlen im städtischen Nahverkehr wird im Celler Nahverkehrsplan ein Anstieg der Nachfrage von 2017 bis 2023 um +2 bis +3 % Prozent prognostiziert. (Vgl. NVP, 54) Was erstaunlich ist, weil ein herausstechender Ehrgeiz zur Verbesserung der Angebotssituation in Celle nicht zu erkennen ist. Hinsichtlich Qualität und Zukunft nur zwei Zitate:
„In einer Gesamtbewertung kann festgestellt werden, dass bezogen auf die Fläche das ÖPNV-Angebot im Landkreis Celle im Durchschnitt vergleichbarer Landkreise liegt, auf der Straße sogar darüber. Bezogen auf die Anzahl der Einwohner (und potenziellen Fahrgäste) liegt es jedoch um fast 20 % darunter, unter Einbeziehung des SPNV sogar noch deutlicher.“ (NVP, 11)
„Der Modal-Split-Anteil des öffentlichen Verkehrs an der Gesamtmobilität geht nicht weiter zurück, sondern bleibt eher stabil. Diese Tendenz wäre nur entscheidend in Richtung ÖPNV zu beeinflussen, wenn es erneut zu einem dramatischen Kostenanstieg für den Motorisierten Individualverkehr (MIV) bei gleichzeitiger wesentlicher Ausdehnung der ÖPNV-Angebote käme. Für große Städte hat sich gezeigt, dass solche Tendenzen realistisch sein können. Für ländliche Räume wie den Landkreis Celle ist davon eher nicht auszugehen.“ (NVP, 54)
Wer jetzt eine Antwort erwartet, warum davon eher nicht auszugehen ist, wird enttäuscht – es scheint sich um ein Gefühl zu handeln. Der NVP kommt insoweit einer politischen Haltung entgegen, die nichts ändern will. Das wesentliche Argument dabei ist für Kreisverwaltung und eine wahrscheinlich breite Mehrheit des Kreistages, dass jede Angebotserweiterung Kosten erzeugt, die eben nur zu Teilen aus dem Landeshaushalt erstattet werden.
Dazu kommt, dass auch CeBus nicht gerade ein Feuerwerk an Ideen abbrennt. Muss sie auch nicht: Ihr Leistungskatalog bestimmt sich einfach durch die Festlegungen im Rahmen des Vergabeverfahrens im Jahr 2014. Und diese Vergabe wird erst zu 2025 aktualisiert. Aber vielleicht ist gerade vor diesem zeitlichen Hintergrund wichtig, dass „Politik“ und Öffentlichkeit anfangen, sich mit Verbesserungen des ÖPNV zu befassen, die über den Schüler*innen-Verkehr hinausgehen.