„Eine richtig schicke Nummer“
Mitte 2013 wurden die letzten Bauarbeiten an dem zukünftigen Verkehrsknoten B3/B214 in Altencelle beendet. In den vergangenen Jahren war reichlich Gras und Gestrüpp über das Gelände an der sogenannten „Celler Binde“ gewachsen. In tagelanger Vorarbeit wurde Anfang November 2019 die Baubrache entlang der B214 von Mitarbeitern der Niedersächsischen Landesstraßenbaubehörde auf Vorgartenniveau gemäht. Der übrige Sandboden wurde aufwändig mit Schotter planiert und ein Festzelt mit vier Fahnenmasten davor errichtet.
Ein riesiges Bauschild verkündet nun den B3-Weiterbau der Ortsumgehung Celle Mittelteil. Dieses Schild war Ende 2016 an anderer Stelle sang- und klanglos entfernt worden. Versehen mit einem neuen Datum (Baubeginn Herbst 2019) signalisiert es jetzt, dass die Planer und Politiker von vorgestern der dringend erforderlichen Verkehrswende weiter trotzig entgegenstehen.
Am 16.11.2019 war endlich der Tag gekommen, den die Generation Autobahn kaum noch erwarten konnte: Der offizielle „Spatenstich“ für den Mittelteil der Ost-“Umgehung“. Es sollte ein „Spatenstich“ werden ohne Spaten, für einen „sofortigen“ Baubeginn, der noch in ungewisser Zukunft liegt.
Etwa einhundert der üblichen Verdächtigen waren mit dem eigenen oder Dienst-Wagen angereist. Die vielen überdimensionierten Limousinen mit Kennzeichen aus ganz Niedersachsen ließen einen CO2 Ausstoß von ebenso überdimensioniertem Ausmaß für die individuelle An- und Abreise vermuten. Die Generation Autobahn hatte sich auf dem herausgeputzten Festplatz versammelt, um den Verspreche(r)n des Staatssekretärs beim Bundesminister für Verkehr, Enak Ferlemann (CDU) applaudieren zu können. „Heute ist ein großer Tag für Celle“, so Ferlemann: „Ich freue mich sehr, nach der langen Zeit der Planung und des Wartens nun endlich den Startschuss für den Baubeginn geben zu können.“
Vorerst kann nur mit dem Brückenbauwerk „Ce 12“ über die B214 begonnen werden. Allein dafür stehen acht Millionen Euro bereit. Von einem Baubeginn im Herbst 2019 ist außer dem Festzelt mit Fahnen und Bauschild noch nichts zu erkennen. Stattdessen wurden für die vorbereitende Planung dieser Festveranstaltung, die vielen Arbeitsstunden der Festplatzherrichtung, die Materialbeschaffung für die Bodenplanierung, die Absperrbeschilderung durch Behördenpersonal, die Anmietung und Aufstellung des Festzeltes, das Catering incl. Bedienungspersonal, die Lautsprecheranlage nebst Techniker und LKW, die Fahnenmasten und das Baustellenschild, schon vor Baubeginn tausende Euro Steuergelder nur für diesen „Spatenstich“ sinnlos verpulvert.
Für den Bau der 5300 Meter kurzen Autobahn durch das Naturschutzgebiet an der Oberaller sollen noch einmal 92 Millionen Euro Steuergelder bereit gestellt werden. 25 Brückenbauwerke und Unterzüge mussten eingeplant werden. Mit ihren 435 Metern Länge ist die Allerbrücke davon das größte Betonbauwerk.
„Eine richtig schicke Nummer“ nennt Ferlemann diesen Gigantismus. Er bedankt sich bei „allen, die ihre Grundstücke zur Verfügung gestellt haben“. Dabei hatten die Eigentümer*innen gar keine andere Wahl, als ihre Grundstücke „zur Verfügung“ zu stellen, denn §19 des Bundesfernstraßengesetzes berechtigt zur Enteignung: „Die Träger der Straßenbaulast der Bundesfernstraßen haben zur Erfüllung ihrer Aufgaben das Enteignungsrecht.“ Nur dieses Enteignungsrecht hatte den Ausbau der ersten beiden Abschnitte der ost-“Umgehung“ bis zur B 214 ermöglicht.
Auf die Bewohner*innen von Groß Hehlen sieht Ferlemann „ein großes Problem“ zukommen, weil „dort der ganze Verkehr mit 30.000 Fahrzeugen am Tag hinlaufen wird.“ Darum hat er für die Groß Hehlener gleich ein kleines Trostpflaster mitgebracht. Den sogenannten „Gesehen Vermerk“ für den letzten Bauabschnitt im Norden, der aber nicht mehr bedeutet als das grundsätzliche Einverständnis des Bundes für den jetzt erst möglichen Planungsbeginn durch die Landesstraßenbaubehörde.
In seiner Rede verkündet der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) vollmundig: „Das ist heute ein historischer Tag und eine gute Nachricht für die ganze Region.“
Für die Bewohner und Politiker in Bergen ist dies bestimmt keine gute Nachricht. Für sie ist die fortschreitende Celler Ost-“Umgehung“ eine ernste Bedrohung. Sie rechnen mit einem Angriff auf die Gesundheit der Bevölkerung an der B3 in Bergen. Mit der Vollendung der Ost-“Umgehung“ Celle ergäbe sich für den PKW- und LKW-Verkehr eine verlockende Abkürzung zwischen den Autobahnen A2 und A7. Über diese Abkürzung geriete der Verkehr direkt auf die Ortsdurchfahrt von Bergen.
An einer Westumgehung um Bergen wird seit etwa vierzig Jahren geplant. Im Bundesverkehrswegeplan ist eine Umgehung von Bergen z.Zt. nur als „weiterer Bedarf mit Planungsrecht“ für 2030 vorgesehen. Die Dauer der Umsetzung von Planungsbeginn bis zur Fertigstellung wird mit weiteren 11,5 Jahren angegeben. Da muss Bergen wohl noch sehr lange auf seinen „historischen Tag“ warten.
Der „Spatenstich“ in Celle wurde übrigens ohne einen Spaten, dafür mit der Entfernung einer Plane vom Bauschild durchgeführt.
Die Baukosten für den Mittelteil der Ost-“Umgehung“ wurden im Mai 2006 mit 36 Mio. veranschlagt, stiegen im Juni 2016 auf 58 Mio. und sollen nach heutigen Angaben etwa 100 Mio. Euro kosten. Warten wir ab, welche „richtig schicke Nummer" die Endabrechnung ergibt.
Jetzt dürfen sich die Anlieger und Verkehrsteilneh-mer*innen rund um Altencelle für die nächsten drei Jahre auf eine richtig schicke Dauerstau-Baustelle für das Brückenbauwerk „Ce 12“ freuen.
Radfahrer*innen und Fußgänger*innen bekommen mit dem neuen Bauwerk dann schon einmal einen Vorgeschmack auf den Hindernislauf entlang der zukünftigen B3. Für die gesamte neue Bundesstraße ist kein Rad- oder Fußweg eingeplant und die neue B3 müsste eigentlich als Autobahn bezeichnet werden.
Diese lärmende Autobahn zerteilt mit einem engen Bogen zukünftig das Celler Stadtgebiet und reicht nach ihrer Vollendung von Westercelle bis Groß Hehlen. Diese sogenannte Umgehungsstraße wird die heute noch gut erreichbaren benachbarten Wohn- und Erholungsgebiete nachhaltig voneinander trennen. Schon seit Jahren trennt und verlärmt die neue B3 die Umgebung von Westercelle, Bennebostel und Burg. Gerade wird (gegenüber WALLACH) damit begonnen, ehem. Wald- und Landwirtschaftsflächen entlang der neuen B3 in Gewerbegebiete umzuwandeln. Das gleiche Schicksal erwartet die entsprechenden Flächen in Altencelle nach dem Bau der Ostumgehung.
Da sich nun der BUND mit den Straßenplanern der Ost-“Umgehung“ auf einen faulen Kompromiss eingelassen hat, wird das Naturschutzgebiet in Altencelle zukünftig motorisiert durchquert werden dürfen. Für Menschen wird der Zutritt weiterhin unter Strafandrohung verboten bleiben. Eine richtig irrsinnige Nummer.