Verwaltung und Kreistagsmehrheit sehen keinen Grund zur Überprüfung

Zum Januar 2019 veränderte der Landkreis Celle die Angemessenheitsobergrenzen für Mietkosten von Hartz IV-Empfänger*innen – nach unten. In der letzten Sozialausschusssitzung wurde bekannt gegeben, dass 358 von insgesamt 5.993 Bedarfsgemeinschaften im Landkreis Celle so mit ihren Bruttokaltmieten über der aktuellen Mietwerttabelle liegen, also fast sechs Prozent. Ab März 2019 wurden 104 sogenannte Kostensenkungsaufforderungen erlassen. Für die Betroffenen heißt dies: Entweder sie suchen sich eine günstigere Wohnung oder sie zahlen den fehlenden Betrag aus ihrer Regelleistung. Und die Regelleistung stellt bekanntlich das Existenzminimum dar. Warum das alles? Was der Landkreis bei den „Kosten der Unterkunft“ weniger zahlt, kann er woanders ausgeben. Das ist der eigentliche Zweck. Wir wir hörten, sollen hierfür dieses Jahr eine Million EUR weniger ausgegeben werden.

Unklar blieb in der Ausschusssitzung, ob in den genannten Zahlen auch die „Altfälle“ enthalten sind. Wir halten dies für unwahrscheinlich, gibt es doch Konstellationen, in denen Menschen seit Einführung von Hartz IV nicht die vollen Kosten der Unterkunft erstattet bekommen.
Seit mit Einführung der neuen Mietwerttabelle die Obergrenzen zum Teil deutlich gesenkt hat, gibt es Kritik. Erstmals nicht allein seitens Behiye Uca (Die Linke), sondern auch seitens der SPD- und der FDP-Kreistagsfraktion. Im Sozialausschuss im März wurde ein Antrag der SPD verhandelt. Ihr Ziel: Das Mietwertgutachten unabhängig hinsichtlich seiner „Schlüssigkeit“ überprüfen zu lassen. Der Antrag fand keine Mehrheit. Dabei spricht nur wenig dafür, dass die Kreisverwaltung die Betroffenen nicht „bescheißt“, wie es Behiye Uca im Dezember im Kreistag auf den Punkt brachte.

Aus der Beschlussvorlage der Kreisverwaltung wird deutlich, dass die vorhergehenden Mietwertgutachten regelmäßig vor dem Landesozialgericht gescheitert sind. Ihr Recht bekamen allerdings nur die Kläger*innen, alle anderen Betroffenen gingen leer aus. Warum? Es dauerte jeweils Jahre bis zu den Urteilen. Die Kreisverwaltung spielt dieses „Spielchen“ weiter. Wer meint, das aktuelle Mitwertgutachten sei rechtswidrig, müsse halt klagen.
In der Verwaltungsvorlage wird erstmals offen zugegeben, dass es im Landkreis seit Jahren keine angemessene Kostenerstattung gibt.

„Das Wohnungsmarktgutachten der Firma F und B (Gültigkeit insgesamt von 2015 bis 2018 mit entsprechender Indexfortschreibung) wird gegenwärtig in einem Berufungsverfahren und in einer Nichtzulassungsbeschwerde gerichtlich überprüft. Das Gutachten der Firma Analyse und Konzepte (Gültigkeit insgesamt von 2009 – 2014 mit entsprechender Indexfortschreibung) wurde in zwei Urteilen des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen aus dem Jahr 2018 als unschlüssig verworfen.“
Der Chef der Gutachterfirma Koopmann Analytics KG war vorher bei den Firmen, deren Gutachten vor dem Landessozialgericht gescheitert sind bzw. zu scheitern drohen. Das Prüfungsanliegen der SPD bezieht sich auf folgendes:

Das Bundessozialgericht geht im Urteil vom 18. Juni 2008 (B 14/7b AS 44/06 R;) davon aus, dass die örtlichen Gegebenheiten u.a. durch eine hinreichende Datenbasis von mindestens 10 % des regional in Betracht zu ziehenden Mietwohnbestandes widergespiegelt werden.
Die SPD kommt mit der Begründung ihres Antrags auf den Punkt: „In den Beratungen des Fachausschusses wurde deutlich, dass die Mindestanforderung an eine Datenerhebung (10 Prozent des Mietwohnbestands im Landkreis) als nicht eingehalten betrachtet wurde. Im Endbericht von Koopmann Analytics wird von 33.500 Mietwohnungen ausgegangen. 10 v.H. wäre eine Mindest-Datengrundlage von 3.350 Wohnungen. Im weiteren Verlauf des Gutachtens werden nach „Reduzierung“ der vorliegenden Daten letztendlich nur die Mieten von 2.444 Mietwohnungen (Tabelle 6, Seite 24) ausgewertet. Diese Zahl entspricht lediglich 7,3 Prozent von 33.500 Objekten.“ Bei der Ermittlung der kalten Betriebskosten ist sogar nur eine Fallzahl von 1.942 eingeflossen, also nur 5,8 % des Mietwohnungsbestandes.
Die Kreisverwaltung dagegen meint, dass 10 Prozent nicht 10 Prozent sein müssen. Weil: „Wenn aber die gezogene Stichprobe nach den Vorgaben des BSG um bestimmte Wohnungstypen zu bereinigen ist, muss das natürlich auch für die Grundgesamtheit gelten. Nur so kann Gleiches mit Gleichem verglichen werden.“

Das fand die Mehrheit im Fachausschuss dann auch – unterfüttert mit dem Argument, dass die Gerichte ja entscheiden könnten. Ja, aber das hilft dann denen, die umziehen mussten nichts. Und jene, die sich die als unangemessen geltenden Mietkosten vom Mund absparen, können immerhin hoffen, schlanker zu werden.