Alles Lüge? - Was passiert in Stadtrat und Kreistag
„Holla, die Waldfee!“ In Stadtrat und Kreistag tut sich einiges, nachdem beide Gremien Ende vergangenen Jahres Resolutionen verabschiedet haben, die den Klimanotstand anerkennen und die Verpflichtung enthalten, die Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens anzugehen. - Wie haben uns vorgenommen, regelmäßig einen Faktencheck durchzuführen. Wir wollen darüber informieren, was beantragt oder auf den Weg gebracht wird – und auch bewerten, was es bringt.
Prüfung alter Beschlüsse
Die FDP-Fraktion im Stadtrat beantragte Anfang Januar: „Die Verwaltung wird beauftragt, sämtliche Ratsbeschlüsse, die vor dem 28.11.2019 gefasst worden sind und mit deren Umsetzung noch nicht begonnen worden ist, daraufhin zu überprüfen, ob sie auf Grund des Ratsbeschlusses vom 28.11.2019 "Klima in Not" - Klimaschutz in der Stadt Celle, so wie geplant, aufrecht erhalten werden können. Die Ergebnisse sind dem Verwaltungsausschuss vorzulegen."
Und tatsächlich gab es dafür in der Ratssitzung vom 27. Februar eine Mehrheit bei vier Gegenstimmen der AfD. Kritik kam von Inga Marks, Oliver Müller und Ute Rodenwaldt-Blank, die sich vor allem auf das Baugebiet „Blaues Land“ und den Abriss der MTV-Halle bezog. Das Garßener Neubaugebiet ist nach Auffassung der Verwaltung bereits in der Umsetzung, so dass weitergehende energetische Auflagen nicht mehr möglich wären. Gegen den Abriss der MTV-Halle wurde eingewandt, dass Bestandserhaltung in aller Regel unter Klimagesichtspunkten besser sei als Neubau, was SPD-Fraktionschef Patrick Brammer bestritt. - Die Verwaltung sagte zu, den Antrag bis zum Sommer abzuarbeiten.
In der Timeline
Obwohl er schon am 27.08.2019 durch den Verwaltungsausschuss in die Fachausschüsse verwiesen wurde, ist ein Antrag von Die Linke/BSG nach wie vor unbehandelt. Die Fraktion will zum einen von der Verwaltung wissen, mit welchem Erfolg die insgesamt 105 Einzelmaßnahmen des Klimaschutzkonzepts von 2012 umgesetzt worden sind. Und weiter beantragte sie die Fortschreibung eines solchen Konzepts bis 2030. (AN/0252/19)
Ebenfalls noch nicht in den Fachausschüssen sind zwei Anträge von CDFU und SPD, die die energetische Aufmöbelung von Sportstätten im Auge haben. Die CDU fragt die Verwaltung, „inwieweit die Kommunalrichtlinie "Nationale Klimaschutzinitiative" (NKI) auf Sportvereine mit Gemeinnützigkeitsstatus anzuwenden ist und welche zusätzlichen Fördermöglichkeiten sich für Sportvereine erschließen lassen, ohne dass bereits bestehende Fördertöpfe hierdurch neutralisiert oder ausgeschlossen werden.“ (AN/0081/20) Und die SPD will, dass „die Sportanlagen bzw. die Vereinsheime der Sportvereine aus den Mitteln des Klimaschutzfonds sukzessive klimaneutral zu modernisieren" sind. (AN/0433/19) Ähnliches Ziel, unterschiedlicher Ansatz. Während die CDU Bundesmittel will, dass sich die Verwaltung nach Bundesmitteln umschaut, schlägt die SPD vor, sich bei energetischen Sanierungen aus dem Klimaschutzfonds der Stadt zu bedienen.
Die FDP will, dass die Verwaltung berichtet, warum es eigentlich nichts geworden ist mit der geothermischen Wärmeversorgung der Allerinsel. (AN/0434/19)
Nachhaltig, regional und saisonal
Interessant ist ein Antrag der SPD, die "ein Konzept zum nachhaltigen, regionalen und saisonalen Mittagessen in den Celler Kindertageseinrichtungen" umgesetzt sehen will. Zur Konzepterarbeitung soll eine Arbeitsgruppe "mit relevanter Fachexpertise" eingesetzt werden. (AN/0419/19) Es gibt fachlich gut ausgearbeitete Begründung, wobei es am Ende eben auch um Klimaschutzverantwortung geht. Lebensmittel müssten nach Möglichkeit saisonal ausgewählt und regional produziert sein: "Nicht nur die Massentierhaltung, sondern alle tierischen Lebensmittel erhöhen die Treibhausgase klimaschädlich, es geht also nicht nur darum, kein Fleisch aus Massentierhaltung zu konsumieren, sondern tierische Produkte begrenzt und den ernährungsphysiologischen Bedürfnissen junger Kinder angemessen einzusetzen." - Bisher hier es zu ähnlichen Anträgen immer: Wir halten uns an die Richtlinien und alles andere ist einfach zu teuer.
Verkehrswende
Die Bündnisgrünen haben Anfang des Jahres beantragt: „Die autofreie Altstadt wird bis 2025 umgesetzt. Die Verwaltung stellt ihr Konzept im Rat vor.“ (AN/0006/20) - Nicht schlecht, den n in der Tat gibt es viele Spekulationen.
Die alte Autofahrer-Partei CDU entdeckt die Fußgänger und beantragt:
„Um dem Fußverkehr eine höhere Bedeutung beizumessen und ihn als eigenständige Verkehrsart wahrnehmbar zu machen, erarbeitet die Verwaltung stufenweise eine Verkehrsstrategie mit Maßnahmenkatalog. [...] Die Strategie soll u.a. folgende Aspekte aufgreifen: 1. Verbesserung der Fußgängerinfrastruktur durch Aufbau eines lückenlosen Fußgängernetzes. 2. Erhöhung der Verkehrssicherheit für Fußgänger, insbesondere der Schulwegsicherung. 3. Einhaltung der Mindeststandards (Gehwegbreiten, Oberflächen). 4. Sukzessiver barrierefreier Umbau. 5. Energiesparende Ausleuchtung der Fußwege. 6. Fußgängerfreundliche Ampelschaltungen. 7. Intensivierung der Überwachung des ruhenden Verkehrs und konsequente Ahndung von Verstößen, insbesondere das Parken und Halten auf Geh- und Radwegen sowie auf anderen für Fußgänger und Radfahrer ausgewiesenen Flüchen. Die letztgenannten Maßnahmen sind schnellstmöglich umzusetzen.“ - Alles wunderbar – und wahrscheinlich meint die CDU ja nicht nur Fußgänger, sondern auch Fußgängerinnen.
Klimaschutz im Kreistag
Wir haben oft darüber berichtet, dass Landrat Wiswe und die CDU/FDP/WG-Kreistagsmehrheit in Sachen Klimakrise einer Orientierung am Gemeinwohl wenig abgewinnen können, sondern sich nur verhalten wie ein halbwegs verantwortlicher Immobilienverwalter: Bisher jedenfalls beschränkte sich das Engagement fast ausschließlich auf die energetische Sanierung kreiseigener Gebäude.. das ist nicht falsch, aber zu wenig.
Erstmals erhielt Anfang März im Umweltausschuss der Antrag von Bündnis '90/Die Grünen „auf Erstellung eines integrierten Klimaschutzkonzeptes“ eine Mehrheit, die zustande kam, weil der Abgeordnete Ulrich Kaiser (WG) auf die ökologisch ambitionierte Seite switchte. Am 17. März sollte der Kreistag endgültig entscheiden – die Sitzung ist aber abgesetzt worden.
Mobilitätszentrale
Am Celler Bahnhof soll Ende 2020 eine Mobilitätszentrale entstehen. So jedenfalls nennt die Stadtverwaltung eine angestrebte Bündelung unterschiedlicher Angebote für die „letzte Meile“. Über den Hintergrund wurde Anfang März im Wirtschaftsförderungsausschuss informiert:
Der Bahnanbieter Metronom GmbH hat über eine Vergabe der Landesnahverkehrsgesellschaft den Betrieb der Fahrkartenausgabe im Celler Bahnhof ab Dezember 2020 für die Dauer von 15 Jahren gewonnen. Obwohl sich die Vertriebswege für Fahrkarten in den letzten Jahren stark hin zu zu Online-Buchungen bzw. Buchungen über Apps entwickelt hätten, würde der stationäre Fahrkartenverkauf in mittelgroßen und großen Bahnhöfen immer noch als Service erwartet. Diese Entwicklung führe aber dazu, dass das dafür eingesetzte Personal nicht durchgängig ausgelastet ist. Dies biete die Chance, den Fahrkartenverkauf um weitere Services zu ergänzen.
Ziel ist es die ganze Mobilitätskette im öffentliche Verkehr abzubilden: Die reine Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel soll dabei um andere öffentlich nutzbare Angebote ergänzt werden, die den Weg auf der „letzten Meile“ vom und zum Bahnhof begleiten.
In der Konzeption sollen dort die Services verschiedener Partner gebündelt werden. Entstehen soll eine sinnvolle Kombination aus
- öffentlichen Verkehrsmitteln (Bahn, Bus, Taxi)
- Mietangeboten (z.B. CarSharing und BikeSharing)
- weiteren Reisehilfen (z.B. Hilfen für mobilitätseingeschränkte Reisende, touristische Informationen, Fahrradreparatur/-pflege)
- ergänzenden Diensten (z.B. Energieberatung).
Die Bündelung der Angebote am Ort Bahnhof verfolgt im Kern den Ansatz, Reisende zu motivieren, auf die Benutzung des eigenen Autos zu verzichten und die geschaffenen Alternativen zur Überwindung der „letzten Meile“ zu nutzen. Dadurch, so die Verwaltung, könne „der CO2-Ausstoß im Stadtgebiet maßgeblich reduziert werden“. Maßgeblich? Das ist selbstverständlich Quatsch. Und im Wesentlichen ist es ein Angebot für Tourist*innen und nicht für den alltäglichen Berufsverkehr.
Die Verwaltung spricht sich dafür aus, dieses Projekt in der ersten Phase für gut zwei Jahre zu unterstützen. Danach müsse sich das Projekt selbst tragen. Problematisch scheint, dass auch hier für investive Maßnahmen der Klimaschutzfonds in Anspruch genommen werden soll. Was eigentlich eine touristische Aufwertung ist, soll also nicht durch die CTM (Celle Tourismus und Marketing GmbH) oder das nutznießende Hotel- und Gaststättengewerbe finanziert werden, sondern – weil's so ein tolles neues Label ist – durch den Klimaschutz.