Zum Tötungsdelikt an dem 15jährigen Arkan im April in Celle
Auch zwei Monat nach der Tötung des 15-jährigen Êzîden Arkan Hussein Khalaf am 7. April 2020 in Celle dauern die Ermittlungen an. Die erste Stellungnahme der Polizei lautete:
„Gestern Abend gegen 21.45 Uhr befuhr ein 15 Jahre alter Jugendlicher mit seinem Fahrrad die Bahnhofstraße stadteinwärts, als er plötzlich und unvermittelt, und mutmaßlich auch grundlos von einem 29 Jahre alten Mann mit einem Stichwerkzeug schwer verletzt wurde. Augenzeugen haben berichtet, dass der Täter sich zuvor in einem Hauseingang aufgehalten hatte. Das Opfer kam ins Krankenhaus und erlag kurze Zeit später seinen schweren Verletzungen. Der Junge ist irakischer Herkunft und wohnt in Celle. Der mutmaßliche Täter mit deutscher Staatsangehörigkeit wurde durch die Zeugen festgehalten und den eintreffenden Polizeibeamten übergeben, die den Mann vorläufig wegen Verdacht des Totschlags festnahmen. Zur Motivlage des Beschuldigten gibt es bisher noch keine konkreten Anhaltspunkte. Bei seiner Festnahme wirkte der 29-Jährige verwirrt. Der Beschuldigte, der anwaltlich vertreten wird, hat bisher keine Angaben zur Sache gemacht. Die Ermittlungen dauern an.“
Angesichts der steigenden Zahl der rassistischen Morde in den vergangenen Monaten war und ist die Verunsicherung in den migrantischen und postmigrantischen Communities auch in Celle groß. Umso wichtiger ist es daher, dass Polizei und Staatsanwaltschaften offen ermitteln und nicht vorschnell Rassismus als mögliches Tatmotiv ausschließen. Aber genau dies geschah direkt nach der Tat: Polizei Celle und Staatsanwaltschaft Lüneburg sprachen zunächst davon, dass die Ermittlungen „in keiner Hinsicht Anhaltspunkte für eine ausländerfeindliche oder politisch motivierte Tat“ liefern würden.
Der Chefredakteur der Frankfurter Rundschau Thomas Kaspar verwies in einem Kommentar darauf, dass die Sprache „die Blindheit der Behörden gegenüber Rassismus“ entlarve.
Erst nach einer deutlichen Stellungnahme ezidischer und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie erster vertiefender Medien-Recherchen stellten Polizei Celle und Staatsanwaltschaft Lüneburg am 11. April klar, dass auch die Social Media-Accounts des mutmaßlichen Täters Daniel S. genauer betrachtet würden. Diese hatten nämlich Auffälligkeiten insofern ergeben, als dass „der Verdächtige eine Nähe zu rechtsextremen Verschwörungstheorien“ aufweist, wie eine erste Recherche der ZEIT in ihrem Blog „Störungsmelder“ ergeben hatte:
„Auf Facebook folgt S. Seiten mit Titeln wie „Die Verschwörungstheorie“ und „Von wegen Verschwörungstheorie“. Sie verbreiten Inhalte der seit 2017 im Internet kursierenden QAnon-Ideologie, auf die sich bereits der Attentäter von Hanau bezog. Die Seitenbetreiber behaupten, die deutsche Geschichte sei gefälscht, sie zitieren die antisemitischen Protokolle der Weisen von Zion und stellen den Holocaust infrage. Auch der antisemitische Attentäter von Halle bekannte sich in dem Video, das seine Tat zeigt, als „Anon“. Neben judenfeindlichen Mythen verbreiten die Seiten auch Reichsbürger-Statements, nach denen die Bundesrepublik eine GmbH sei und das Deutsche Reich weiter existiere. [...] Und auch von S. gelikte Seiten, die vermeintlich schwarzen Humor verbreiten sollen, sind antisemitisch motiviert.“
In das Bild von Celler Polizei und Staatsanwaltschaft Lüneburg passt auch der Bericht der Beratungsstelle RespAct – Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, deren Kollegin im podcast von NSU-Watch davon berichtete, dass die Beratungsstelle direkt nach dem Tod des Jugendlichen proaktiv ihr unabhängiges Beratungsangebot gegenüber den ermittelnden Behörden in Celle bekannt gemacht hatte, damit dieses an Familie, Zeug*innen und Freund*innen weitergereicht werden möge. Einen Tag nach der Tat habe man allerdings die Antwort der Polizei Celle erhalten, dass man keine Notwendigkeit darin sehe, denn es handele sich ja nicht um eine rassistische Tat. Mittlerweile begleitet RespAct die Familie und konnte auch die Beerdigung Arkans besuchen.
Zwischenzeitlich hat der Täter gestanden, wurde allerdings auf Basis eines psychiatrischen Gutachtens aus der Untersuchungshaft in die Psychiatrie überwiesen, da die bisherige Arbeitshypothese der ermittelnden Stellen sowie seine eigene Aussagen ergeben haben, dass die Tat möglicherweise mit einem starken Drogenkonsum verbunden war. Zunächst werden nun Begutachtungen diesbezüglich durchgeführt. Laut Staatsanwaltschaft Lüneburg bestreite der mutmaßliche Täter weiter ein ausländerfeindliches oder rechtsextremes Motiv. Er sei aber nach eigener Einschätzung ein sogenannter Internettroll, der provozieren und die Reaktion sehen möchte.
Quelle: geschrieben unter Verwendung eines Artikel des Nds. Flüchtlingsrates vom 7. Mai 2020