ms loretta – das war „stilvoller Underground und glamouröse Subversion“
„Wo Celle zur Großstadt wird“ - diesen Slogan des ehemaligen Rio's konnte mit Fug und Recht auch die ms loretta für sich in Anspruch nehmen. Sie hinterlässt also weit mehr als eine Lücke am Kai dessen, was sich in Celle Hafen nennt. Für uns ein Anlass mit der Andrea und Arnold zurückzublicken.
??: Wir hätten ja am Kai gestanden, wenn wir mitbekommen hätten, dass die ms loretta den Hafen verlässt. Aber wahrscheinlich wolltet ihr nicht den Anlass für eine Corona-Party geben?
!!: Genau so ist es. Wir hätten uns auch gern anders und musikalisch von Celle, vom Celler Hafen und vor allem von unserem Publikum verabschiedet. Da gibt es so viele Menschen, die wir über die Musik kennengelernt haben und die fast sowas wie Freunde wurden. Aber die Pandemie machte uns einen Strich durch die Rechnung. Wir gehen mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn wir haben uns im Celler Hafen sehr wohl gefühlt und wurden dort von Anfang an gut und herzlich aufgenommen.
??: Wie lange war die loretta jetzt eigentlich in Celle? Und: Habt ihr mitgezählt wie viele Konzerte es in diesen Jahren gab?
!!: Fünf Jahre ms loretta im Celler Hafen – das waren etwa 150 Konzerte und etliche Feiern, die den Kulturbetrieb stützten. Ein paar tausend Menschen haben das Schiff in der Zeit im Celler Hafen geentert. Zeitgleich waren die meisten Menschen sicher während des Hafenfestes 2016 an Bord – und auf dem Steg, den wir damals kurzzeitig wegen Überfüllung schließen mussten.
??: Dann gleich ans Eingemachte. Ihr kennt Hornbys „High Fidelity“ und seine sinnstiftenden „Top Five“-Listen? Was waren eure besten fünf Konzerte an Bord der loretta?
!!: Oh, das können wir, das kann keine*r von uns sagen! Bei uns haben – mit ein oder zwei Ausnahmen – nur Bands gespielt, die wir alle drei hören wollten. Die Auswahl erfolgte immer gemeinsam und basisdemokratisch – wobei es schon sein konnte, dass eine*r mal sagte „okay, muss jetzt wegen mir nicht sein, kann man aber machen“. Aber da uns inhaltlich und musikalisch stets unser Motto „stilvoller Underground und glamouröse Subversion“ zusammengehalten hat, passte das immer. Musikalisch haben wir einen so ähnlichen Geschmack, dass es nie wirklich eine „Kampfabstimmung“ gab. Außerdem hatten wir uns auf ein paar Basics verständigt:
1. Kein Mainstream – den gibt es überall anders schon genügend zu hören.
2. Keine Coverbands – nichts schlägt das Original und grausam wird es, wenn das Cover noch schlechter ist, als das eventuell schon eh wenig gute Original. Mit Cover meinen wir tatsächlich banales Nachspielen. Eigene Interpretationen von Stücken sind ja wieder neue eigene Stücke.
3. Auch Locals waren bei uns nur zwei bis dreimal im Jahr zu hören. Nicht, weil wir die tolle regionale Musikszene nicht zu schätzen wüssten, sondern schlicht, weil wir gern Abwechslung, das Neue und Andere zu Gehör bringen wollten (und weiterhin werden). Bands, die im nahen Umkreis bereits mehrfach im selben Jahr aufgetreten waren, waren für die loretta-Bühne und ihren beschränkten Zuschauerraum dann schlicht „abgespielt“. Da kann übrigens der neue Liegeplatz der ms loretta in Bremen sicher für Celler Bands eine neue Plattform werden.
??: Aber ein paar Highlights gab es doch für euch?
!!: Besondere Premieren, also Platten- oder CD-Release-Parties, sah das Schiff einige, etwa der Celler „Gray Moray“, der Berliner Pop-Punk-Band „Vizediktator“ oder den schon legendär werdenden Bands der härteren Gangart „Damnation Defaced“ oder „Volter“. Mit beiden Bands verbindet die loretta auch persönliche Geschichte – Drummer Lucas Katzmann (Damnation) ist der Soundmann des Schiffes und hat den meisten unserer Konzerte den kongenialen Sound verschafft, und Gregor Musiol (Volter) hat dem Schiff den metallenen Tritt, die kleine Rampe, handwerklich gebaut, auf den alle Besucher*innen seit 2017 den Fuß gesetzt haben.
Es ist fast unmöglich, besondere Abende zu nennen. Wir sind mehrfach ganz legendär mit „unseren“ Bands an Bord – und im Sommer an Deck – stilvoll versumpft. Internationale Bands brachten ihre Geschichten mit. Etwa „The Underground Youth“ aus England, die kurz vor dem Anschlag selbst im Bataclan in Paris gespielt hatten und erzählten, wie gerade bei politischen Musikern auch die Angst im Gepäck mitreist und Auftritte zum trotzigen Akt werden. Brother Grimm, der mittlerweile sogar fernsehbekannt ist, haben wir als Booker Dennis über „Hodja“ kennengelernt, die Band um den afro-amerikanischen Sänger Claudius Pratt, die dem Schiff zweimal unglaublich einheizten und in Celle eine echte Fanbase errungen haben. Dennis stellte sich dann später mit besonderem Sound als Brother Grimm ans Mikro – und war schon dreimal an Bord, so sehr sind wir inzwischen verbunden.
??: Ihr habt ja Bands aus Genres nach Celle geholt, die hier bisher nie so richtig funktioniert haben? Wie ist euch das gelungen, mal abgesehen von eurem Charme und den „fetten“ Gagen?
!!: Charme, ja, und die Klugheit unserer A&R [Artist & repertoire Management]. Zudem haben wir ein Näschen, dass wir einige Bands „erwischt“ haben, wie etwa „KlezE“ oder eben Brother Grimm oder die Blackberries, bevor sie groß rauskamen. Und wir haben uns einen Namen in der Clubszene gemacht - dass es bei uns menschlich sehr schön, klanglich super sei und dass bei uns das Publikum wegen der Musik kommt und wirklich zuhört. Bands mögen das. Oft genug müssen sie gegen quatschende, trinkende Massen anspielen.
??: Und als Zugabe hätten wir jetzt gern noch die skurrilste Geschichte rund um ein Konzert?
!!: Smile – die kennen wir und das war eine von zwei Gelegenheiten, wo wir etwas uneins waren und tatsächlich abstimmen mussten. Aber es gab auch da Menschen, die das Konzert gefeiert haben. Namen sagen wir aber nicht!
Wir waren ja stets speziell in Sachen Alkohol. Bei privaten Feier durfte natürlich ausgeschenkt werden, was die Gastgeber*innen wollten. Aber während des Konzertbetriebs haben wir – außer in seltenen Ausnahmen – nie Mixgetränke oder hartes Zeug ausgeschenkt. Zum einen, weil wir keine Lust auf Betrunkene an Bord hatten, aber durchaus auch aus Sicherheitsgründen. Wenn jemand dann doch zuviel hatte, gab es dann gern eine Cola oder ein Wasser aufs Haus und den Anruf zum Taxi obendrein. Über Bord oder sonstwie unfreiwillig Baden ging nie jemand. Nur eine Gehhilfe ist unrettbar im Hafen versunken und J.H. musste mit nur einer Krücke gehen. Er hat es verschmerzt. - Für die Bands allerdings galt das nicht. Viele Bands tranken gern einen Schnaps nach der Show – und wir haben sicher Ratzeputz und Heidegeist hier zu Weltruhm verholfen, zumindest Europaruhm. Die Ratzeputzgesichter sind unvergesslich – selbst die stoischen Faröer oder trinkfeste Briten schüttelten sich wohlig. - Skurril war einiges, schön skurril und herzerwärmend. aber das sprengt hier den Rahmen.
??: Dann Ahoi und das Allerallerbeste für die „Bremen Years“.