AKH Gruppe „verkauft“ Klinikum Peine – Öffentlichkeit wird nicht informiert

Zum 1. Oktober legt Landrat Klaus Wiswe alle seine Ämter nieder. Hintergrund sind die Millionenverluste der AKH-Gruppe, die sich durch den Verkauf des Klinikums Peine verfestigt haben. Wiswe, der schon Aufsichtsratsvorsitzender der AKH-Gruppe war, als das Klinikum im Jahr 2003 gekauft wurde, zu seinem Rücktritt: „Ich übernehme die Verantwortung für die Millionenverluste, denn als Aufsichtsratsvorsitzender bin ich offensichtlich der Aufgabe nicht gewachsen gewesen.“ Wiswe will sich künftig nur noch als DJ auf Freedom-Partys betätigen: „Womit ich mich gut auskenne, ist die Pop-Musik der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts.“

Selbstverständlich stimmt das nicht. Verantwortung zu übernehmen, war in Celle nie eine Stärke auf dem Chefsessel im Landratsamt. Wiswe wird „uns“ noch bis zur Kommunalwahl im nächsten Jahr erhalten bleiben.

Und dies ist auch so, weil niemand einfordert, dass da jemand verantwortlich ist. Einzig von der FDP gab es mal eine giftige Pressemitteilung; Überschrift: „Keine Kenntnis von Nichts / Ein Aufsichtsrat nach 20 Jahren Arbeit“. Seit 20 Jahren bemühe Wiswe sich, sich in das AKH Celle einzuarbeiten: „Den Landkreis hat er mit behäbiger Ruhe geführt, den Aufsichtsrat des AKH Celle ebenfalls. Was aber im Landkreis funktioniert hat, das hat in dem sensiblen Wirtschaftsbetrieb Allgemeines Krankenhaus Celle (AKH) zum Kollaps geführt.“
Kurzer Rückblick: Wie aus dem Nichts – jedenfalls für den Aufsichtsrat und seinen Vorsitzenden – stand die AKH-Gruppe im Dezember 2018 finanziell am Abgrund. Das Jahr wurde mit einem Minus von fast 19 Millionen abgeschlossen, was u.a. den vorherigen Geschäftsführer dazu veranlasst hatte, die laufenden Geschäfte rechtswidrig aus einem Baukredit zu finanzieren.

Der Landkreis Celle musste den Laden vor der Insolvenz retten; in einem ersten Schritt wurde ein Liquiditätskredit in Höhe von 12 Mio. EUR und in einem zweiten von 16 Mio. EUR gewährt.
Die neuen Geschäftsführer versprachen zu Beginn 2020 in einer Mittelfristplanung zwar, dass die AKH-Gruppe sowohl in Celle wie in Peine ab 2021 wieder Gewinne machen würde (in Celle 4 – 5 Mio. EUR, und die Million sollte 2024 auch in Peine erreicht werden). Deshalb sind die Gründe nicht unbedingt nachvollziehbar, warum das Klinikum Peine verkauft werden soll.

Als Möglichkeit aber stand dies ziemlich schnell im Raum, weil – nach den offiziellen Zahlen – Peine seit Jahren nur noch Verluste erwirtschaftet; Bestandteil des eine Million Euro teuren „IDW S 6 Sanierungsgutachtens“ wurde diese Verkaufsoption aber nicht. (Weshalb man jetzt mit dem Gutachten an sehr vielen Punkten nichts mehr anfangen kann.)

Seit September 2019 gibt es einen Aufsichtsratsbeschluss, Verkaufsverhandlungen führen zu wollen, und Landrat Wiswe verkündete bei einem Dämmerschoppen der CDU in Hambühren: „Ich bin auch bereit, das Klinikum an einen privaten Investor zu verkaufen. Der Preis wird sich an den Investitionen ermessen, die wir als Landkreis in Peine investiert haben.“ Aber da gab es – laut CZ – auch noch vier Interessenten.

Nachdem im Frühjahr 2020 nur noch Stadt und Landkreis Peine an einer Übernahme interessiert waren, stellte Landrat Wiswe sich quer. Denn die Interessenten stellten Forderungen, die sich – so Wiswe – unterm Strich auf rund 40 Millionen Euro belaufen würden. „Angesichts dieser Summe bezweifeln wir, dass hier ein ernsthaftes Interesse an der Übernahme des Peiner Klinikums besteht“, so Wiswe. Und Aufsichtsratsmitglied Maximilian Schmidt (SPD) sekundierte: „Fakt ist: Wir werden mit Sicherheit nicht alles bezahlen, was in Peine schief gelaufen ist.“

Im März wurde das Klinikum Peine deshalb in die Insolvenz geschickt. Zum einen sicher mit dem Ziel, Peine unter Druck zu setzen, zum anderen – wie Wiswe gegenüber der CZ offenbarte – durch die Übernahme der Personalkosten durch die Arbeitsagentur eine „finanzielle Entlastung“ zu bekommen. Teilsanierung auf Kosten der Arbeitslosenversicherung und deren Beitragszahler*innen? Ja – so sieht es aus.

In der Tat gingen dann die Verhandlungen voran: Das zur AKH-Gruppe gehörende Klinikum Peine wird nach den Beschlüssen der dortigen kommunalen Gremien voraussichtlich ab dem 1. Oktober von Landkreis und Stadt Peine übernommen. Den Menschen in Peine ist nur zu wünschen, dass es klappt.

Die Bedingungen gestalten sich für die AKH-Gruppe so (öffentlich in den Beschlussvorlagen der Peiner Gremien):

  • Das AKH Celle wird sich zum Übernahmezeitpunkt mit einmalig 1,8 Mio. € beteiligen.
  • Weitere 200.000 € werden zu Deckung von möglichen Verlusten der Monate Juni bis September 2020 vom AKH Celle zur Verfügung gestellt.
  • Regelungen zum möglichen Rückfluss aus Verlustübernahmen der Zeit von Juni bis September 2020 an den Landkreis Peine und das AKH Celle
  • Beibehaltung der Insolvenzanmeldung der vom Landkreis Peine gewährten Darlehen von 4 Mio. € und damit Entlastung der Gesellschaft von Rückzahlungsverpflichtungen
  • Verzicht des AKH Celle auf Forderungen in Höhe von ca. 11,5 Mio. €
  • Verbleib von erheblichen Vermögensgegenständen in der Gesellschaft, wie z.B.:
  • Forderungen in Höhe von ca. 4,3 Mio. €
  • Separierungskonto in Höhe von ca. 1,1 Mio. €
  • Barguthaben in Höhe von ca. 250.000 €
  • Betriebsimmobilie im Buchwert von etwa 13 Mio. €
  • Bewegliches Anlagevermögen im Buchwert von ca. 2,6 Mio. €

Wenn wir das addieren, kommen wir sehr nahe an die 40 Millionen, die Landrat Wiswe vor der Insolvenz noch so vehement abgelehnt hatte.

Während der Kauf übrigens in den kommunalpolitischen Gremien in Peine transparent auch für die Bürger*innen diskutiert wurde, sind in Celle nicht einmal die Kreistagsmitglieder informiert worden. Weder von der AKH-Gruppe, noch vom Aufsichtsratsvorsitzenden Wiswe gab es – Stand 11.08.2020 – gegenüber der Öffentlichkeit eine Stellungnahme. Im Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz heißt es unter "§ 85 Zuständigkeit": „(6) In Landkreisen [...] informiert die Hauptverwaltungsbeamtin oder der Hauptverwaltungsbeamte die Öffentlichkeit in geeigneter Weise über wichtige Angelegenheiten des Landkreises [...].“

Klaus Wiswe ist seit 1999 Landrat und seitdem in dieser Funktion Vorsitzender der AKH-Gruppe. Er hat insoweit den gescheiterten Expansionskurs der letzten 20 Jahre mit zu vertreten. Hier ein kurzer Rückblick:

2003 wurde das Krankenhaus des Landkreises Peine von AKH Celle übernommen und als Klinikum Peine gGmbH weitergeführt.

2005 wurde das kirchliche Krankenhaus St. Josef Stift in Celle übernommen und umbenannt in Krankenhaus St. Josef-Stift gGmbH.

2007 wurde die Berta-Klinik in Hannover gekauft, um Patient*innen aus der Landeshauptstadt für das Celler Krankenhaus zu gewinnen.

2010 mussten die beiden Krankenhäuser in Celle verschmelzen, um eine Insolvenz des Krankenhaus St. Josef-Stift zu vermeiden.

2012 wurde die Berta-Klinik wieder veräußert.

Bis 2014 wurden Schritt für Schritt Abteilungen des St. Josef-Stift ins AKH überführt und das Krankenhaus dicht gemacht.

Eine rundum gescheiterte Geschäftspolitik, für die niemand die Verantwortung übernehmen will. Warum nicht? Das liegt auch an der Konstruktion des Aufsichtsrates. Dem gehören stimmberechtigt nur Kommunalpolitiker und eine Kommunalpolitikerin an.

Er setzt sich aktuell zusammen aus: dem Landrat Klaus Wiswe (Vorsitzender) und sieben vom Kreistag benannten weiteren Mitgliedern: Dr. Hans-Georg Ratsch-Heitmann (CDU, stellv. Vorsitzender), Angela Hohmann (SPD, stellv. Vorsitzende), Thomas Adasch (CDU), Dr. Harten Voss (FDP), Frank Pillibeit (AfD), Maximilian Schmidt (SPD), Torsten Harms (CDU), Christian Ehlers (B'90/Die Grünen). Ein Gremium mit überwältigender Kompetenz.

Im neuen Aufsichtsrat des Klinikum Peine drängelt sich zwar auch „politisches Personal“, aber immerhin sollen dem 11-köpfigen Gremium stimmberechtigt zwei Betriebsräte und zwei externe Expert*innen angehören.

Mit beratender Stimme gehört dem Celler Aufsichtsrat übrigens bis zum Oktober weiterhin Peines Erster Kreisrat Henning Heiß an. Den hatte das Gremium unter dem Aufsichtsratsvorsitzenden Wiswe im September 2019 rausschmeißen wollen, dabei aber „übersehen“, dass es einen schriftliche Vereinbarung mit dem Landkreis Peine gab, die diesen Sitz zusichert. Kompetenz selbst im Kleinen, oder?

 

Foto oben: Jürgen Elendt