Konservativer Block im Rat verschafft sich erneut eine Mehrheit mit Stimmen der AfD

Nach dem Debakel um die Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten war für den gefühlten Kanzlerkandidaten Markus Söder klar: „Wir haben auch nochmal ganz klar gemacht, dass wir jede Form der Zusammenarbeit, und sei’s nur der Kaffeeplausch, in einem Kommunalparlament mit der AfD ablehnen.“

Die Celler CDU-Ratsfraktion nimmt's da weit weniger genau. In der Ratssitzung am 17. Juni diesen Jahres hatte Oberbürgermeister Dr. Nigge eine Beschlussvorlage eingebracht, die die Abgabe der Kindestagespflege an den Landkreis vorsah. Er bekam mit 23 Ja-Stimmen und 17 Nein-Stimmen eine Mehrheit. Diesmal hätte es zwar auch ohne die drei (von vier) Stimmen der AfD-Fraktion gereicht, aber nur weil drei Ratsmitglieder fehlten. Letztlich hat sich Nigge wieder auf die Unterstützung der AfD verlassen.

Der bürgerliche Block aus CDU (16), FDP (2) und Unabhängigen (2) hat 19 Stimmen plus die des Oberbürgermeisters. Bei 43 Ratsmitgliedern wären für eine Mehrheit also 22 Stimmen erforderlich. Für eine konsistente Politik wäre es selbstverständlich am besten gewesen, dass Fraktionen eine längerfristige Vereinbarung treffen – eine Art Koalition: Jamaika z.B. hätte diese Mehrheit.

Was allerdings von Beginn an zu beobachten ist: OB Nigge und die CDU setzen auf Mehrheit von Gnaden der AfD.
Schon in der konstituierenden Ratssitzung hatten CDU, Unabhängige und FDP kein Problem damit, ihre Kandidaten mit Hilfe der AfD durchzubringen. So hätte es für den Ratsvorsitzenden Joachim Falkenhagen (FDP) nicht gereicht - erst die vier Stimmen der AfD brachten ihm die erforderliche Mehrheit. Bei den Wahlen zu den ehrenamtlichen Bürgermeistern wurde Heiko Gevers (CDU) mit den Stimmen der AfD gewählt. Auch Iris Fiss (Unabhängige) wurde mit 23 Stimmen und einer Gegenstimme gewählt. Die Abgeordneten von SPD, B'90/Die Grünen, WG, Partei, BSG und Die Linke hatten vorher den Raum verlassen, um die Abhängigkeit der Wahl von den Stimmen der AfD deutlich werden zu lassen.

Das Erstaunliche: Dem bürgerlichen Block ist nicht einmal zu unterstellen, dass es Absprachen mit der AfD gab; man ließ es einfach laufen unter dem Motto: Schau'n wir mal. Und so ging es einfach weiter bis zur Verabschiedung des Haushalts 2018 im Dezember. Offensichtlich unternahmen weder die CDU noch der Oberbürgermeister auch nur die geringste Anstrengung, vor der Abstimmung eine Mehrheit für den Haushalt zu zimmern. Normal wäre gewesen, sich mit den anderen Fraktionen darüber zu unterhalten, unter welchen Voraussetzungen sie bereit wären, dem Haushalt zuzustimmen. D.h., man hätte hier und da Zugeständnisse bei Investitionen oder Sparmaßnahmen machen müssen. Aber so stand man auf einmal da und hatte keine Mehrheit.

Und hier kam die AfD-Fraktion ins Spiel. Sie hatte zwar eindeutig verkündet, dem Haushalt nicht zuzustimmen. Aber dann verhalf sie einem CDU-Antrag auf geheime Abstimmung zur Mehrheit. Und in dieser geheimen Abstimmung gab es dann die erforderliche Mehrheit (21 von 41 Anwesenden, zwei SPD-Mitglieder fehlten) - entweder aus den Reihen der AfD oder von Seiten der SPD. Unterm Strich aber war es das Abstimmungsverhalten der AfD, das dem bürgerlichen Block und ihrem Oberbürgermeister zu einer Mehrheit verhalf.

Am 31. Januar 2018 beschloss der Rat der Stadt Celle die Abgabe der Trägerschaft der Jugendhilfe an den Landkreis Celle zum 01.01.2019. Angenommen wurde der Antrag mit 22 gegen 18 Stimmen. Ohne die vier Stimmen der AfD-Fraktion hätte der Oberbürgermeister für seine Initiative keine Mehrheit gehabt. Diesmal war es, weil eine namentliche Abstimmung durchgeführt wurde, nachvollziehbar und wurde so protokolliert.

Und im Juni diesen Jahres hieß es dann: Ooops – they did it again. Übrigens ohne, dass es die CZ oder andere Medien für erwähnenswert hielten.
Auf dem Parteitag der CDU Deutschlands am 8. Dezember 2018 in Hamburg war beschlossen worden:

„Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.“
Und Generalsekretär Paul Ziemiak machte deutlich, was dieser Beschluss bedeutet:

„Jegliche Form der Zusammenarbeit - nicht nur Koalitionen, sondern jegliche Form, auch irgendwelche Stimmen oder wie auch immer von der AfD - ist für uns nicht akzeptabel. Es geht hier nicht um irgendwelche strategischen Überlegungen, es geht hier um die Frage von Werten und Grundsätzen.“

Aber – aber – aber: Am 9. Juli bekam dann ein Antrag der AfD-Fraktion hinsichtlich „Live-Übertragungen der öffentlichen Ratssitzungen im Internet“ die breite Unterstützung des Rates. Wie das zusammengeht, erläuterte Oliver Müller (Die Linke/BSG) in seinem Redebeitrag.

Wir zitieren:

„Wir werden diesem Antrag zustimmen, obwohl er von der AfD kommt. Ich will Ihnen aber mal deutlich machen, warum das geht - ohne dass wir dadurch mit der AfD "zusammenarbeiten".
Wir haben vor 8 Jahren folgendes beantragt:

"Der öffentliche Teil der Ratssitzungen soll ab 01.01.2012 als Live-Übertragung im Internet der Stadt Celle für die Bürgerinnen und Bürger zugänglich sein."

Das ist aber gar nicht mal entscheidend. Entscheidend ist folgendes: Nach dem Abstimmungsergebnis im Verwaltungsausschuss wissen wir, dass es auch ohne die Stimmen der AfD eine Mehrheit für den jetzt im Rat abzustimmenden Gegenstand gibt. Also: es ist völlig egal, ob die AfD dem zustimmt.

Warum ist das wichtig? Die meisten Parteien hier im Rat haben Parteibeschlüsse, die eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen. Wir haben hier trotzdem schon erlebt, dass die CDU und der Oberbürgermeister für ihre Vorschläge nur deshalb eine Mehrheit bekommen haben, weil die AfD diese mit ihren Stimmen hergestellt hat.

Also: Es ist egal, wie die AfD-Fraktion stimmt, wenn es ohne ihre Stimmen eine Mehrheit für einen Antrag gibt."

Genauso ist es. Es muss völlig egal sein, wie die AfD-Fraktion abstimmt. Der Job, eine Mehrheit ohne AfD zu beschaffen, ist der des Oberbürgermeisters und der größten Fraktion, also der CDU. Solange sie sich darum nicht einmal bemühen, müssen sie sich den Vorwurf der Zusammenarbeit mit der AfD gefallen lassen.

Ach so: Im vergangenen Jahr noch meinte Nigge zur Ministerpräsidenten-Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD, dies habe „ein mangelndes strategisches Verständnis, eklatante Instinktlosigkeit sowie einen gefährlichen Umgang mit demokratischen Prozessen deutlich gemacht“. Ja – all das lässt sich zu seiner Ignoranz der Zusammenarbeit mit der AfD im Celler Rat auch sagen.