Von Kräften, die am Werke blieben
Es gilt als verpasste Chance, dass die Nachkriegsgründung der Adolf-Reichwein-Hochschule nach nur sieben Jahren 1953 von Celle nach Osnabrück wechselte. Über die Namensgebung nach dem 1944 als Mitglied der Kreisauer Kreises hingerichteten Adolf Reichwein assoziieren viele mit dem Institut zudem etwas Widerständig-Fortschrittliches. Das aber zu Unrecht, wie jetzt Hans-Hagen Nolte in seinem Buch über die Gründergeneration mit dem Untertitel: „Von Kräften, die am Werke blieben“ belegt hat.
Nolte hat sich die Biografien der in Celle lehrenden Professor*innen genauer angeschaut. Dabei haben auch jene 12 Jahre zwischen 1933 und 1945 Beachtung gefunden, die Konrad Klütz in seinem 1996 in der Celler Chronik erschienenen Aufsatz zur Hochschule – so offensichtlich – unter den Tisch gekehrt hatte. Und siehe da: Fast der gesamte Lehrkörper hatte diese Jahre nicht zurückgezogen in Dorfschulen verbracht, sondern die Karrieremöglichkeiten des nationalsozialistischen Staates zu nutzen gewusst.
Hans Bohnenkamp etwa, der Gründer und Institutsdirektor, war im Oktober 1933 SA-Mitglied geworden, wo er es bis zum Obersturmführer brachte. Als die NSDAP nach ihrem Aufnahmestopp ab 1937 wieder Mitglieder aufnahm, war der Pädagoge sofort dabei. Das Ritterkreuz für den Dienst am Vaterland in Stalingrad zeugt dann sogar von einer militärischen „Karriere“. Zivil war Bohnenkamp bruchlos Professor an den Hochschulen für (Volksschul-)Lehrerbildung in Elbing und Cottbus.
Von den zehn Lehrkräften des ersten Semesters waren einzig Margarete Brinkmeyer und der Musikpädagoge Fritz Schmidt keine Parteigenossen, letzterer aber vordem in Celle Leiter der HJ und BDM-Spielschar.
Ausführlich Erwähnung findet auch der zweite Celler im Gründungskollegium: Heinrich Pröve. Der in Wathlingen geborene Bauernsohn wurde nach Schuldienst und Promotion 1934 Schulrat im Landkreis Celle. Parteimitglied seit 1933, stellte er sich engagiert in den Dienst der nationalsozialistischen Sache, zum Beispiel mit der Herausgabe des im ganzen Reich verbreiteten Lesebuchs „Dich ruft Dein Volk“. So war es vielleicht nicht wirklich überraschend, dass Pröve nach nur einem Semester von den Briten suspendiert wurde. Unverständlich aber für bestimmte Milieus, so dass die Cellesche Zeitung entschieden auf die Wiedereinsetzung des „verdienten Schulmannes“ drängte. Mit Erfolg – ab 1949 war Pröve wieder dabei als Schulrat und Lehrbeauftragter. Und auch die Schulbuchverlage öffneten dem Erfolgsautor wieder ihre Türen. Nach seinem Tod erhielt die Kreismittelschule in Winsen den Namen „Heinrich-Pröve-Realschule“.
Nolte verweist neben der Parteigenossenschaft auf eine andere Verbindung der Gründergeneration: Viele waren der Jugendbewegung und damit auch der Schulreformbewegung der Weimarer Republik verbunden. Hierüber hatten sich Bohnenkamp und Reichwein befreundet, was zur Namensgebung geführt hatte. Die dort geknüpften Netzwerke – so Noltes These – spielten bei der Rekrutierung des Personals genauso eine Rolle wie bei der pädagogischen Ausrichtung.
Die ambivalente Verknüpfung von Jugendbewegung und völkischem Denken findet sich in gewisser Weise dann auch in dem Schulversuch der „Jena-Plan-Schule“ an der Altstädter Schule, die der Verzahnung von Theorie und Praxis dienen sollte. Nolte beschreibt die pädagogische Bewegung der Weimarer Republik und beleuchtet am Beispiel des „Vaters“ der „Jena-Plan-Schulen“, Peter Petersen, gleichzeitig die offene Flanke zu nationalsozialistischem Denken. So lässt sich in Frage stellen, ob dieses anscheinend kinderfreundliche Modell auf Emanzipation zielt oder die Eingliederung in eine Volksgemeinschaft.
Über den Celler Schulversuch wie über die Inhalte der Vorbereitung der Studierenden auf das Amt des/der Volksschul-Lehrerin findet sich bei Nolte wenig, so dass in gewisser Weise offen bleibt, ob und wie weit sich das Personal der ersten Stunde wandeln wollte oder musste. Dass sie mit der von den alliierten Siegern bevorzugten Einheitsschule nichts zu tun haben wollten, ist immerhin ein Fingerzeig.
Hans-Hagen Nolte: Adolf-Reichwein-Hochschule Celle (1946-1953). Von Kräften, die am Werke blieben. Epubli Berlin 2021, 236 Seiten, ISBN 9783753122182, 13,80 EUR