FLINTerview Gemeinsam kämpfen! mit dem autonomen Frauenhaus Celle e. V.


?? Seit wann gibt es das autonome Frauenhaus in Celle, aus welchem Anlass und mit welcher Perspektive hat es sich gegründet?

A: Uns gibt es seit 1983. Ende der 70er, Anfang der 80er sind in ganz Deutschland überall die ersten Frauenhäuser gegründet worden und so dann auch in Celle. Und der Anlass war letztendlich bei allen der gleiche: Es ging darum, Frauen die Möglichkeit zu eröffnen, aus einer gewaltbelasteten Beziehung aussteigen zu können. Und ihnen eine Unterkunft und Unterstützung zu geben auf dem Weg in ein eigenes Leben. Das waren alles Häuser, die aus Fraueninitiativen entstanden sind, also alles erst mal selbstorganisiert und nicht wirklich professionalisiert. Es waren engagierte Frauen aus der Gemeinde, die das gemacht haben.

D: Wenn wir „Altkolleginnen“ reden hören, wie das war in den 70ern und 80ern, dann hat sich natürlich sehr viel schon getan. Und trotzdem ist da noch ein Weg zu gehen und es gibt das Ziel, patriarchale Gewalt zu eliminieren; das ist natürlich noch lange nicht erreicht. Und da müssten noch viele gesellschaftliche Veränderungen passieren, bis wir dahin kommen.

A: Wir sind ein eher kleines Haus. In Celle gibt es zwei: Eins ist unter dem Dachverband des Paritätischen, und wir haben einen Trägerverein mit einem ehrenamtlichen Vorstand. Wir können bei uns bis zu 8 Frauen aufnehmen. Insgesamt haben wir 12 Plätze, und es kommt immer darauf an, wie viele Kinder mit dabei sind, aber meist sind wir überbelegt. Wir haben Rufbereitschaften, die wir außerhalb der Bürozeiten und an den Wochenenden abdecken. - Und dann haben wir im Mehrgenerationenhaus ein Büro angemietet, da ist unsere Beratungsstelle FeroXia, die mit zum Haus gehört.

?? Passiert es, dass Männer oder Familien eure Adresse herauskriegen und dann Probleme machen?

A: Häufig passiert das nicht, aber gelegentlich kommt das vor. Gerade letztes Jahr hatten wir das mehrfach.

D: Im Prinzip rufen wir sofort die Polizei, die dann im Normalfall auch schnell kommt, und bisher ist zum Glück noch nichts passiert. Es ist unschön, es macht Angst, es macht den Frauen Angst, es macht auch uns Angst.

?? Wie arbeitet ihr generell und worauf liegt euer Schwerpunkt?

D: Generell sind wir erst mal eine Schutzeinrichtung für Frauen und Kinder, die in Krisensituationen zu Hause raus müssen und wollen. Dann sind wir dafür da, die Frauen und Kinder darin zu unterstützen. Dabei ist uns wichtig, dass wir auf Augenhöhe mit den Frauen arbeiten, also dass unsere Hierarchien flach sind. Wir haben natürlich auch einen grundsätzlich feministischen Ansatz als autonomes Frauenhaus und wir wollen die Frauen dafür empowern, dass sie ihr eigenes Leben in die Hand nehmen, Selbstbewusstsein gewinnen und eine eigene selbstständige Lebensperspektive entwickeln. Dabei ist Netzwerkarbeit auch wichtig. Unsere Frauen bringen alle Themen der sozialen Arbeit mit, seien das ausländerrechtliche, familienrechtliche, psychische Problematiken, Schulden-Thematiken. Wir sind gut vernetzt mit anderen Frauenhäusern.

A: Wir arbeiten auch politisch, auch das ist ein wichtiger Punkt. Häusliche Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Das war damals in den 80ern ein Thema, denn da hieß es, was in der Familie passiert, bleibt in der Familie. Wir setzen uns ein beim Thema Wohnsitzauflagen für gewaltbetroffene Frauen [je nach Aufenthaltstitel kann es sein, dass Menschen ihren Lebensmittelpunkt nicht in eine andere Stadt verlegen dürfen]. Die Ämter sagen zum Teil: 'Die darf doch gar nicht in Celle sein, also warum ist sie jetzt hier und warum sollen wir das finanzieren?'

Wir setzten uns ein für die Finanzierung von EU-Bürgerinnen in Frauenhäusern. Es gibt noch viele ungeklärte Themen rund um das Leben und Arbeiten im Frauenhaus und wir versuchen schon unsere Wege zu finden, da Sachen zu verbessern.

?? Kommt es vor, dass ihr Frauen aus Familien holt, oder kommen sie direkt zu euch?

A: Das machen wir einfach auch aus persönlichen Sicherheitsgründen nicht. Wir machen immer Treffpunkte mit den Frauen aus, die einigermaßen sicher sind. Oder oft kommen die Frauen über die Polizei zu uns, dann holen wir die Frau direkt bei der Polizei ab.

?? Gibt es Begleitung/Unterstützung auch nach dem Auszug aus dem Frauenhaus?

D: Also sie darf sich immer an uns wenden und die Frauen, die in Celle bleiben, die betreuen wir auch nach. Es gibt eine Nachbetreuungsgruppe, aber wir gehen auch einzeln zu den Frauen nach Hause und beraten sie da zu all den Themen, die sie beschäftigen.

A: Von unserer Seite aus ist dieses Angebot immer da, auch wenn Frauen weiter weg sind, auch die können sich telefonisch natürlich melden und mit uns sprechen und noch Hilfe bekommen.

D: Oder wir suchen Netzwerkpartner vor Ort, die dann mit unterstützen können.

?? Welche Entwicklungen beobachtet ihr in Celle bezüglich patriarchaler häuslicher Gewalt?

A: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Hat sicherlich auch viel mit Corona zu tun, dass häusliche Gewalt mehr in den Vordergrund getreten ist. Aber das ist nicht spezifisch auf Celle ausgerichtet, das ist, glaube ich, eine deutschlandweite Entwicklung gerade. Meine Einschätzung wäre, dass die Bereitschaft, darüber zu reden und das anzuzeigen, größer geworden ist. In den letzten Jahren würde ich sagen und in den letzten Monaten sicherlich nochmal ein bisschen mehr. Das ist so gesehen ja auch eine erfreuliche Entwicklung. Nichts desto trotz gehen wir von einer nach wie vor hohen Dunkelziffer aus. Wir könnten jetzt nicht unbedingt sagen, häusliche Gewalt hat zugenommen oder abgenommen. Was man feststellen kann, ist, dass der ganze Onlinebereich mit reinkommt, dass es da inzwischen subtilere Arten gibt, Gewalt auszuüben.

D: Wenn wir jetzt gucken, körperliche Gewalt, sexuelle Gewalt, psychische Gewalt, da können wir keine Veränderung feststellen.

?? Öffentliche Präsenz erleichtert manchmal auch einiges, erleichtert sie etwas für euch?

D: Vor allem die Kommunikation, und auch die Menschen, Politik, Verwaltung sind offener, über das Thema zu reden, weil sie medial gespiegelt kriegen, dass das ein Problem ist.

?? Merkt ihr weitere Auswirkungen der Pandemie? Wenn ja, welche?

A: Jein. Im Frühjahr gab es eine kurze Phase, wo die Aufnahmeanfragen sprunghaft gestiegen sind, als das Thema Corona stärker aufkam. Dann hat sich das relativ schnell wieder beruhigt. Im November waren die Aufnahmeanfragen wieder mehr, also vor dem nächsten Lockdown. Wir haben schon ein paar Fälle gehabt im Frühjahr, die durch die Corona-Situation eskaliert sind, die sich wahrscheinlich zuhause nicht so zugespitzt hätten, wenn nicht beide zuhause gewesen wären.

D: Was wir natürlich schon merken, ist eine massive Auswirkung auf unsere Frauen und Kinder, weil die keinerlei Möglichkeit haben, dieser Situation zu entfliehen. Normalerweise wohnt eine Mutter auch mit ihren Kindern zusammen in einem Zimmer. Unsere Frauen sind sehr viel zuhause, das wirkt sich negativ auf die psychische Situation aus. Und es fallen alle möglichen Termine aus. Auch auf Perspektivenfindung wirkt sich das negativ aus. Unsere Frauen und Kinder sind eh schon belastet und nun durch die Corona-Situation also doppelt, würde ich sagen.

?? Wie ist das Verhalten von Politik und Verwaltung, bemühen die sich, weitere Plätze zu schaffen?

A: Ja, es gibt schon Förderprogramme zur Aufstockung der Plätze. Die sind aber auch gekoppelt an besondere Innovation. Es ist schwierig. Auch das andere Frauenhaus in Celle ist immer sehr voll. Aber wir werden in absehbarer Zeit mehr Plätze bekommen.

D: Ja, also eigentlich ist die Frage gar nicht gegeben, theoretisch, denn die Istanbul-Konvention [„Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ von 2018] ist unterschrieben, die ist ratifiziert und eigentlich muss es umgesetzt werden. Es gibt in ihr relativ klare Vorgaben, wie viele Frauenhausplätze pro Einwohneranzahl vorhanden sein müssten. Und die sind längst nicht erfüllt. Die meisten Frauenhäuser, v. a. die in Ballungsräumen, in Großstädten, sind eigentlich fast immer voll.

A: Also in Hannover z.B. einen Frauenhausplatz zu finden, ist wirklich schwierig.

??: Wie ist es allgemein mit der Finanzierung?

D: Es ist immer noch so, dass Frauenhaus-Finanzierung ein großes Thema ist, auch ein schwieriges und diskriminierendes Thema für viele Frauen, weil nicht alle Frauen in Deutschland die gleichen Rechte diesbezüglich haben: Wenn eine Frau arbeitet, muss sie den Platz selbst bezahlen. Wenn eine Frau vom Jobcenter oder Sozialamt lebt, kriegt sie ihn bezahlt, was auch richtig ist. Aber wir kriegen eine Frau, die arbeitet, oder eine Studentin oder eine EU-Bürgerin als Frauenhaus eigentlich nicht finanziert. Und die Politik oder die Verwaltung erwartet von uns, dass wir die einfach aus den allgemeinen Töpfen mitfinanzieren, was zur Folge hat, dass wir immer nur einzelne Frauen finanziert kriegen. Und das ist schräg. Das kann nicht sein.

?? Welche Frauen kommen zu euch? Welche Barrieren gibt es?

A: Wir haben Frauen aus allen möglichen Schichten in unserer Beratungsstelle. Im Haus sind es tatsächlich eher die Frauen, die finanziell sehr abhängig sind vom Mann, die keine Ausbildung haben, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können oder die nur Mini-Jobs haben. Und wo vielleicht die Familie auch ein Teil des Problems ist, statt eine Ressource. Oder Frauen, die vorher noch nie alleine gelebt haben. Die es wirklich erst mal lernen müssen, alleine zurecht zu kommen.

D: In Einzelfällen haben wir Frauen, die sehr selbstständig sind, auch Ressourcen haben, aber die halt einfach gefährdet sind. Ich sage mal, wenn der Mann oder die Familie sehr sehr gefährdend sind, kann man auch nicht zu seiner Tante gehen oder zu seiner besten Freundin, weil der weiß, wo das ist, und findet einen da.
Wir haben überwiegend Frauen aus anderen Städten. Normalerweise geht man in ein Frauenhaus in einer anderen Stadt, außer in der Situation, gefährdet der Mann oder die Familie nicht so.

A: Was das Sprachliche angeht: Wir versuchen ganz viel möglich zu machen. Wir decken im Haus ein ganz gutes Spektrum an Sprachen ab und bemühen uns ansonsten, auch Übersetzung hinzuzuziehen. Es kommt manchmal vor – wenn wir bei einer Sprache gar nicht wissen, wie wir das hinkriegen sollen, dass wir dann die Aufnahmeanfrage auch ablehnen müssen und an andere Häuser verweisen. Unterm Strich ist natürlich Kommunikation eine ganz wichtige Basis unserer Arbeit. Wir versuchen auch viel mit Händen und Füßen.

D: Barrierefrei sind wir jetzt nicht, aber wir werden es bald sein.

A: Wir sind auch nicht 24-Stunden im Haus, wir haben unsere Bürozeiten und danach haben wir Ruf-Bereitschaft. In der Zeit, wenn wir nicht da sind, muss gewährleistet sein, dass die Frauen sich und ihre Kinder gut versorgen können. Auch bei geistigen Behinderungen kommt es immer darauf an, wie selbstständig die Frau ist. Es ist grundsätzlich kein Ausschlusskriterium, überhaupt nicht.

D: Ein Zugangshemmnis ist tatsächlich, wenn es einen älteren Sohn gibt über 14. Es gibt Frauenhäuser, die haben ein anderes Konzept und andere räumliche Möglichkeiten, da kann man dann im Prinzip Frauen hin vermitteln, die einen Sohn haben in dem Alter.

A: Wir gucken uns immer den Einzelfall an, wir lehnen da nicht pauschal ab. Wir gucken immer, was möglich ist und was wir anbieten können, besprechen das im Team und dann schauen wir.

D: Ein großes Thema sind die EU-Bürgerinnen. Nehmen wir jetzt mal ein plakatives Beispiel, das aber vorkommt: Eine rumänische gewaltbelastete Frau, die einen Platz braucht. Da ist es für uns sehr schwierig, weil wir gar kein Geld für sie kriegen. Es gibt Häuser, bei denen ist das anders, die sind anders finanziert als wir. Aber es ist eine sehr schlimme Situation, auch für uns als Mitarbeiterinnen, dass wir das eigentlich nicht machen können.

?? Seid ihr auch für Trans* und nicht-binäre Menschen ansprechbar? Wenden sie sich an euch?

A: Wir sind ansprechbar. Ob sie sich an uns wenden, weiß ich nicht so genau. Man weiß es ja auch manchmal gar nicht. Wir haben das Thema mal mit den Bewohnerinnen im Haus angesprochen, wie die sich dazu positionieren würden, wenn z.B. jemand im Haus wäre, wer nicht typisch weiblich ist oder nicht die typisch weiblichen Klischees erfüllt. Und unsere Frauen waren da sehr offen und haben gesagt, jeder soll so leben, wie er das möchte, und wer Hilfe braucht, soll Hilfe bekommen.

?? Weltweit wächst feministischer und Frauenprotest. (Inwiefern) Seht ihr euch als Teil davon und was müsste sich aus eurer Perspektive in der Gesellschaft verändern?

D: Wir sehen uns definitiv als Teil davon. Erstmal als Frauenhaus Celle, aber auch in unserer Vereinigung der autonomen Frauenhäuser. Auch unsere Vertreterinnen engagieren sich politisch weltweit in den unterschiedlichen Verbänden, arbeiten mit an der Umsetzung der Istanbul-Konvention und darüber hinaus. Was müsste sich aus eurer Perspektive in der Gesellschaft verändern? Einiges noch!

A: Das Denken. Auch in einem eigentlich fortschrittlichen Land wie Deutschland sind wir ja von Gleichberechtigung noch ganz weit entfernt. Gleichberechtigung muss natürlich auf allen Ebenen umgesetzt werden, aber Gleichberechtigung ist auch noch lange nicht in den Köpfen aller Menschen angekommen. Auch nicht in den Köpfen der Frauen.

D: Wir lassen uns auch immer noch reinpressen und reproduzieren die Rollen und Muster.

A: Und auch Sprache schafft Realität, beeinflusst das Denken. Jede und jeder einzelne muss vielleicht da anfangen, nicht mehr nur maskulin zu sprechen, sondern eben auch die ganze Vielfalt der Geschlechter miteinzubeziehen. Und natürlich sind auch politische Entscheidungen gefragt. Auch politische Quoten finde ich total wichtig, denn Frauen brauchen ja auch Vorbilder.

D: Was ich noch gerade in mir bewege, sind intersektionale Diskriminierungen, die unsere Frauen aus anderen Ländern erleben. Gerade haben wir eine Frau, die ist schwarz und hat ein Kopftuch. Und für so eine Frau, in einer Stadt wie Celle, klein und konservativ sag ich jetzt mal, ist es schwierig, eine neue Perspektive für sich zu entwickeln. Eine Wohnung zu finden ist super schwierig, das beschäftigt uns oft sehr. Das ist auch Realität 2021 bei uns in Deutschland: Dass Menschen, die in irgendeiner Weise anders aussehen, wo man einen anderen religiösen Background erkennen kann – einen muslimischen besonders – es wirklich immer noch sehr schwer haben! Frauen, die nicht gut deutsch sprechen, sind weiterhin sehr diskriminiert in unserer Gesellschaft.

?? Was wollt ihr Frauen, Trans* und nicht-binären Menschen sagen?

D: Also ich würde ihnen gerne sagen wollen: Bleibt nicht in Situationen, die keine guten Situationen für euch sind! Ihr seid nicht alleine, ihr könnt Hilfe bekommen. Es gibt Strukturen wie unser Frauenhaus, aber auch andere, die helfen, aus unhaltbaren Situationen heraus zu kommen. Lasst euch nicht unterdrücken, wenn ihr nicht frei leben könnt! Habt Mut, sucht euch Hilfe und gemeinsam mit anderen schafft ihr das, da raus zu kommen.

A: Dem ist nichts hinzuzufügen. Frauen sind stark, wir wissen das!

D: Gerade die Frauen, die zu uns kommen, sind oft sehr stark!

A: Ja, wir haben großen Respekt vor dem, was die schaffen. Mit welchem Optimismus, die in ihr weiteres Leben starten, da kann sich manch einer eine Scheibe von abschneiden.

D: Und man muss sehr stark sein, um zu gehen – gerade, wenn man aus sehr engen Rollenbildern heraus kommt, kulturellen, religiösen Zwängen, familiären Zwängen – aber Frauen schaffen das und können das. Wir sehen das immer wieder, ich sage mal, täglich und es lohnt sich.

?? Was möchtet ihr Männern sagen?

A: Wir möchten Männern gerne sagen, dass es große Stärke erfordert und große Stärke bedeutet, Gleichberechtigung aktiv zu leben.

D: Auch Männer haben nur Vorteile von Gleichberechtigung, und ich wünsche es ihnen, dass sie das erkennen. Natürlich wollen wir Männern auch sagen, dass Gewalt gar keine Lösung ist! Nicht in geringster Weise eine Lösung ist für Konflikte.