Oberbürgermeister Dr. Jörg Nigge und sein Masterplan
Es hatte Züge von Trumpismus, als Oberbürgermeister Nigge bei der Klimadebatte im Rat im Februar ans Rednerpult ging, um für fünf Minuten seinen Narzißmus zu pflegen, Gegner anzuprangern und seine bodenlose Unkenntnis des Gegenstands zu offenbaren.
Die Verwaltung hatte eine Art „Bestandsaufnahme“ vorgelegt, die in dem Vorschlag mündete, ein Fachbüro mit der Ausarbeitung eines Klimaschutzplans zu beauftragen. Nach der Klimanotstands-Resolution vom November 2019 hatte die Verwaltung dafür also ein ganzes Jahr gebraucht. Die Redner*innen von B’90/Die Grünen und Die Linke/BSG nahmen dies zum Anlass eine Art Stabsstelle Klimaschutz zu fordern – mit mehr Personal.
Oliver Müller (BSG) hatte in seiner Rede konstatiert: „Ich habe leider den Eindruck, dass die Verwaltungsspitze dem für unsere Zukunft entscheidenden Thema der Klimakatastrophe nicht das erforderliche Gewicht einräumt. […] Wer Klimaschutz mit der angemessenen Ernsthaftigkeit angeht, sieht, dass die personelle Aufstellung im Rathaus nicht annähernd ausreicht. Wir haben, um diesem Beschluss hier mehr konkrete Ernsthaftigkeit zu geben, den Antrag gestellt, dass eine Stabsstelle Klima eingerichtet werden solle, um Kompetenzen aus allen möglichen Fachbereichen in unsere Klimaziele einzubringen. Der OB verweigerte hierzu die politische Diskussion: Personalplanung sei sein Hoheitsgebiet, und schließlich reiche ein Mitarbeiter, um dieses Thema zu bearbeiten. Das verdeutlicht doch, wo im Konzern Celle unseres OB die Prioritäten liegen: Wir beschäftigen sechs Mitarbeitende im Kommunalen Ordnungsdienst, die sorgen also dafür, dass unsere Stadt schön sauber & sicher sein möge – und wir leisten uns eine Person, die das Thema saubere Klimapolitik bearbeitet.“
Und Müller hatte in einem Satz auch ein Dauerthema gestreift: die Ausweisung von Neubaugebieten ohne Klimaschutzauflagen: „Können wir nicht durchgängig beim Eigenheimbau auf von uns erworbenen Grundstücken Null-Energiehäuser erwarten?“
Nigges Redebeitrag ist unten dokumentiert. Es ist erschütternd, wie wenig er von der Klimakatastrophe begriffen hat. Im Kern besteht seine Reaktion darin zu sagen, man mache doch schon viel im Umweltschutz. Wieso ist Umweltschutz nicht gleich Klimaschutz?
Zum „Umweltschutz“ gehören – vereinfacht gesagt – alle Maßnahmen zum Schutz der Umwelt, also zum Beispiel auch Maßnahmen gegen Zigarrenkippen im öffentlichen Raum. Zum „Klimaschutz“ werden alle Maßnahmen gerechnet, die der Verringerung von Treibhausgasemissionen dienen. Da das Klimasystem ein Teil der „Umwelt“ ist, ist jede Klimaschutzmaßnahme auch eine zum Umweltschutz. Aber: Die breite Umweltschutzgesetzgebung bei uns bezweckt in der Regel nicht Klimaschutz. Mit der Sanktionierung des Wegwerfens von Zigarettenkippen wird kein Klimaschutz betrieben.
Nigge hat das offensichtlich nicht begriffen, führt er doch auf, dass neben dem Klimaschutzbeauftragten „fast 15“ weitere Mitarbeiter*innen mit Umwelt- und Naturschutzfragen befasst seien. Dazu zählt er anscheinend auch die fünf Mitarbeiter*innen des sogenannten „Kommunalen Ordnungsdienstes“. Aber gerade daran wird es überdeutlich, denn diese haben wirklich nichts mit Klimaschutz zu tun.
Seine zweite „Erzählung“ geht so: Wenn der Rat mit Inhalten (= Vorschlägen) zu Klimaschutzmaßnahmen käme, dann würde er offen sein für Personalerweiterungen. Zwei Fehler auf einmal:
Erstens ist es selbstverständlich seit langem eine Aufgabe der Verwaltung Klimaschutzmaßnahmen zu entwickeln. Vor zehn Jahren schon hat der Stadtrat erstmals einen Klimaschutzaktionsplan beschlossen, dessen Umsetzung selbstverständlich auf Seiten der Verwaltung liegt. Aber diese ist nicht einmal in der Lage, die seitdem ergriffenen Maßnahmen zu evaluieren. Sie hat nach dem „Klimanotstands-Beschluss“ vom November 2019 ein Jahr gebraucht, um eine sehr schmale „Alibi-Vorlage“ zu erstellen mit der Konsequenz, man müsse wohl ein Büro mit einem Konzept beauftragen.
Zweitens haben die Fraktionen im Rat durchaus eine Reihe von Vorschlägen eingebracht, die die Verwaltung allerdings nur wenig effektiv bis gar nicht abarbeitet – bzw. auch wieder an Büros nach außen abgibt, siehe Fahrrad-Konzept.
Und selbstverständlich nervt den OB die Kritik an der von ihm betriebenen Ausweitung von Neubaugebieten, denen in der Regel energetische Auflagen fehlen, die also in hohem Maße klimaproblematisch sind.
Dass er nicht nur in der Frage des Rauchens „persönlich“ wird, sondern seinem Kontrahenten auch das fahren eines 20 Jahre alten Autos vorwirft, sagt einerseits viel über seinen Charakter – andererseits ist ihm nicht einmal klar, dass er in dieser Frage im Glashaus sitzt.
Sein Vorgänger, Dirk-Ulrich Mende, fuhr als Dienstwagen einen VW Passat GTE, ein Elektro-Benzin-Hybrid mit einem offiziell angegebenen CO2-Ausstoß (NEFZ) von 38 g/km. Eine zumindest symbolische Wahl, wenn wir mal von dem verlogenen Konzept der Automobilindustrie bei diesen Hybriden absehen.
Nigge stieg sofort um auf einen Benziner, einen Audi A6 – welches Model genau können wir nicht sagen. Aber nehmen wir einfach an, es handele sich um einen „sport 45 TDI“; der ist hinsichtlich CO2-Ausstoß ausgewiesen mit 151 g/km.
Das Ratsmitglied Oliver Müller fährt einen jetzt 21 Jahre alten Mercedes-Benz-Kombi E 200 Kompressor (in der Luxusvariante mit Zigarettenanzünder – siehe unten), offiziell angegebenen CO2-Ausstoß (NEFZ) von 229 g/km. Den Wagen hat er vor vier Jahren mit einem KM-Stand von etwa 145.000 gekauft, heute stehen 165.000 auf dem Tacho – Fahrleistung pro Jahr also 5.000 km. Das ergibt pro Jahr einen durchschnittlichen CO2-Verbrauch von 1.145 kg.
Aber: Es ist nicht Bürger Müller, der sich für die Wahl seines fahrbaren Untersatzes rechtfertigen muss, sondern selbstverständlich der Oberbürgermeister.
Und sich als OB alle ein, zwei Jahre eine neue Luxuskarre in die Dienstgarage stellen zu lassen, ist unter der so oft angemahnten Wirtschaftlichkeit völlig unangemessen. Aber es passt zum Kennzeichen: CE-X …..
Ach so: Auf welcher rechtlichen Grundlage der Oberbürgermeister in der Altstadt 20 Jahre alte Autos „aufhalten“ lässt, kann er sicher erklären.
Kurz vor Redaktionsschluss entdecken wir, dass die Stadt die Stelle eines Klimaschutzmanagers ausschreibt – aber nicht eine zusätzliche, sondern als Ersatz für den bisherigen, der woanders wohl bessere Chancen sieht, für den Klimaschutz zu wirken.
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Rede von OB Dr. Jörg Nigge
Bringen Sie doch erst mal Maßnahmen, Vorschläge konkreter Art, und dann sage ich Ihnen auch, ob die Stelle des Klimaschutzmanagers überlastet ist. Das scheinen Sie ja alle sehr gut zu wissen. Aber Sie haben ganz vergessen: Klimaschutz ist auch Umweltschutz und Naturschutz – und wir haben ein ganzes Amt für Umwelt- und Naturschutz. Das sind mehr als zehn Mitarbeiter, das heißt: Wir haben nicht nur einen Klimaschutzmanager – im übrigen kann ich ihn gern als Stabsstelle titulieren, wenn Ihnen das hilft; dann wird er bei Frau Kuhls als Fachbereichsleitung angesiedelt sein.
Vielleicht ist dann ja Ruhe und es hat Ihnen wirklich geholfen. Nein, wir haben auch wirkliche Profis im Umwelt- und Naturschutz, die das tatsächlich studiert haben, sollten Sie gar nicht glauben. Das heißt, wir sind mittlerweile mit fast 15 Mitarbeitern dabei Klima-, Umwelt- und Naturschutz zu treiben. Und nicht nur das. Wir gehen nicht nur ganz fokussiert mit einer Person darauf ein, sondern wir haben sechs Fachbereiche in dieser Verwaltung. Und anhand der Klimaschutzfolgen bei Beschlussvorlagen ist jeder Amtsleiter verpflichtet, sich dieses Themas anzunehmen und in seinem Fachbereich umzusetzen. Das nennt man interdisziplinär. Und nicht nur fokussiert mit einer Person. Und das koordiniert die Stabsstelle Klimaschutz.
Und ich kann Ihnen sagen, sobald wir überlastet sind und das nicht mehr schaffen, sage ich Ihnen ganz schnell Bescheid und wir werden neue Personen einstellen.
Noch sind wir das nicht. Aber vielleicht kommen von Ihnen ja irgendwann einmal Inhalte, und dann könnte es passieren, dass es so ist.
Und lieber Herr Müller, der Kommunale Ordnungsdienst – im übrigen fünf Personen und nicht sechs – das zeigt, wie sehr sie sich mit der Verwaltung auseinandersetzen und auskennen, obwohl Sie Teil des Ganzen sind, der betreibt aktiven Umweltschutz. Den haben wir nämlich deswegen eingestellt, weil er in der Altstadt und überall herum das Müllproblem lösen soll. Genau die Zigarettenkippen, die nämlich die Raucher – ich glaube, Sie rauchen auch - irgendwo hinschmeißen – die sammelt er nicht nur auf, sondern er sanktioniert es auch. Und es sind immer weniger Menschen, die ihre Zigarettenkippen, die sehr umweltschädlich sind – Sie müssen sich jetzt nicht echauffieren, ich habe Ihnen nichts unterstellt, vielleicht haben Sie jetzt auch E-Zigarette, ist auch wunderbar – aber diese Kippen, die sammelt er auf – und es ist schon sehr viel weniger geworden in der Stadt.
Und – wenn man mit einem 30 oder 20 Jahre alten Auto durch die Stadt fährt – Sie kennen sowas ja, dann wird er Sie auch aufhalten.
Sehr spannend finde ich die Forderung [auf einen Zwischenruf hin: polemisch kann ich auch] nach Null-Energie-Häusern. Ich weiß nicht [auf einen Zwischenruf: Ach Herr Rodenwaldt, gucken Sie mal nach was Diffamierung ist, dann können wir mal darüber reden, was das war … ich rede aber gerade mit Ihnen allen, und mit Ihnen unter vier Augen – hätten wir letzte Woche machen können, da haben wir ja unter vier Augen zusammengesessen.
Null-Energie-Häuser – ich weiß nicht, ob Sie sich damit den Grünen anschließen wollen, die gar keine Einfamilienhäuser mehr wollen, aber vielleicht denken Sie mal an die vielen, vielen Menschen, die sich ihr Eigenheim erfüllen wollen: Null-Energie-Häuser sind Reichen-Häuser. Und es ist ja sogar so, dass wir eine Klima-Siedlung ausgeschrieben haben. Da werden Sie als Vorbild dienen können und ein Null-Energie-Haus für viel Geld bauen können.