Weiter Zufallsmehrheiten statt Politik?

Am 12. September 2021 sind in Niedersachsen Kommunalwahlen. Es geht um Kreistag, Stadt- und Gemeinderäte – und in einigen Fällen auch um die Hauptverwaltungsbeamten. Während sich OB Nigge nicht der Wahl stellen muss, wird nach dem Abtritt von Klaus Wiswe die Wahl eines Landrats erforderlich.

Wir wollen in den drei Heften bis zur Wahl auf die Bilanzen der Parteien in Stadt- und Kreistag schauen und dann auch ihre Programme analysieren. Hier beginnen wir mal mit einem Blick auf den aktuellen Stadtrat.

Im GG Art 28 ist zu lesen: „Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“
Das klingt gut, erfährt aber in den letzten Jahren für viele Kommunen eine gravierende Einschränkung dadurch, dass ihnen das Geld fehlt zu gestalten, statt nur den Staus Quo zu verwalten.

Dazu kommt, dass sich im Zuge neoliberaler Ideologie ein Verständnis durchzusetzen scheint, dass die Stadt als Konzern sieht. Gewollt und gemeint ist eine Orientierung der Kommune an der Privatwirtschaft. Die Hauptverwaltungsbeamten sind in diesem Bild dann quasi der Konzern-Vorstand, und für die gewählten Gremien bleibt die Rolle als Aufsichtsrat. Das Bild von der „Stadt als Konzern“ schwächt insgesamt „Politik“ als Auseinandersetzung um politische Alternativen und befördert ein technokratisch-marktgerechtes Verständnis von Lösungen.

Immerhin: Selbst im Celler Stadtrat bemühen sich alle Fraktionen zusätzlich darum, Impulse zu geben, wo Richtungsentscheidungen schon kaum möglich sind.

Im Stadtrat hat zudem das letzte Wahlergebnis nicht den Rat gestärkt, sondern die Verwaltung. Wie ist aktuell das Kräfteverhältnis im Rat?

Die CDU-Fraktion zählt 15 Mitglieder, davon drei Frauen (Quote = 20 %) - dazu kommt der auch im Rat stimmberechtigte Oberbürgermeister; die SPD-Fraktion hat aktuell noch neun Mitglieder (davon drei Frauen = 30 %). Die AfD stellt mit vier Mitgliedern schon die drittstärkste Fraktion (Frauenquote = 0 %). Bündnis '90/Die Grünen hat drei Mitglieder (davon eine Frau = 33 %). Die FDP besteht aus zwei männlichen Mitgliedern; Die Unabhängigen aus einer Frau und einem Mann. Zusammengetan haben sich die Vertreter der Wählergemeinschaft und von Die Partei. Eine Fraktion bilden auch der Vertreter vom BSG und die Vertreterin von Die Linke. Als Abspaltung der SPD gibt es neuerdings eine Fraktion Zukunft Celle mit drei Mitgliedern (Frauenquote = 66 %).
Dass derart viele kleine Parteien und Wählergruppen vertreten sind, hat damit zu tun, dass es bei den Kommunalwahlen keine 5 %-Hürde gibt.

Im Unterschied zu den allermeisten anderen Städten gibt es in Celle seit Jahren keine "Koalition", die mehrheitsfähig einen (kleiner Scherz:) Fünf-Jahresplan verfolgt. Politisch eng beieinander sind CDU, FDP und Unabhängige - aber sie kommen zusammen eben nur auf 20 Stimmen; für eine Mehrheit im 43-köpfigen Stadtrat wären 22 Stimmen erforderlich. Die andere Seite im Rat kommt zusammen auf 19 Stimmen. Und dazu kommen die vier Sitze der AfD.

Deshalb zum Beispiel gibt es fast jedes Jahr ein Geeiere um die Verabschiedung des Haushalts, der in der Regel nur eine Mehrheit gefunden hat, weil der SPD an einem Punkt ein Zugeständnis gemacht wurde (z.B. Sanierungsgebiet Neuenhäusen früher als geplant).

Weitaus problematischer aber – und wir sind merkwürdigerweise die Einzigen dir immer wieder darauf hinweisen: Bei einigen Entscheidungen von Gewicht (z.B. Abgabe der Jugendhilfe an den Kreis) hat Nigge nur mit Hilfe der AfD eine Mehrheit bekommen.

Die Kommunalwahlen in Niedersachsen finden zwei Wochen vor der Bundestagswahl statt. Das dürfte den im Bundestag vertretenen Parteien zu Gute kommen, weil im auf sie konzentrierten Interesse die kleinen Wäh-ler*innen-Gruppen medial eher untergehen werden.

Zu erwarten ist dann für die Kommunalwahl in Celle vielleicht folgendes Bild: Die CDU wird noch einmal Sitze verlieren, ist also gezwungen, sich einen „Koalitions“-Partner zu suchen. Die SPD hat außerordentliches Glück, dass sie mit dem ehemaligen OB Dirk-Ulrich Mende als Bundestagswahlkreiskandidaten ein Zugpferd am Start hat. Wenn ihr damit in Celle doch noch einmal gelingen sollte, zweitstärkste Kraft zu werden, wird es wohl zu einer stillen oder offenen „Hochzeit“ zwischen CDU und SPD kommen.

Aber vielleicht erleben wir ja auch ein grünes Wunder und eine „linke“ Mehrheit macht Nigge das Leben richtig schwer.