Stadtverwaltung erteilt Abrissgenehmigung für denkmalgeschütztes Haesler-Gebäude

„Musste das sein?“ fragt die deutsche bauzeitung Anfang Mai auf ihrer Webseite. In Celle war ein historisches Baudenkmal dem Abriss zum Opfer gefallen: ein Fabrikbau, den Otto Haesler 1924 am Ende der Speicherstraße für die Wachswarenfabrik Schmidt entwickelt hatte.

„Wie kann es sein“, fragt Robert Marlow, Präsident der Architektenkammer Niedersachsen, „dass ein Baudenkmal ohne Vorankündigung und öffentliche Diskussion dem Boden gleich gemacht wird?“ Der Haesler-Industriebau dokumentierte den Übergang in das Neue Bauen der zwanziger Jahre. Er zeige, wie sich die Architektursprache versachlichte und sich weg vom dekorativen hin zum funktionellen Bauen entwickelt habe.

Eher durch Zufall war die otto haesler initiative (ohi) im März auf den Beginn des Abrisses aufmerksam geworden und hatte die Medien informiert. Sie schaltete auch gleich die Fachaussicht beim niedersächsischen Wissenschaftsministerium ein. Das erstaunliche Ergebnis: Die Stadt Celle selbst hatte in Abstimmung mit der oberen Denkmalschutzbehörde am 9. März die Abrissgenehmigung erteilt, bereits am 10. März wurde daraufhin der vordere Teil des Hauses demoliert.

Die Abrissarbeiten ruhten nur kurz. Am 7. April teilte die Stadt mit:

Die städtische Abrissgenehmigung des Gebäudes in der Speicherstraße 25 ist rechtmäßig. Nachdem das Land Niedersachsen als Oberste Denkmalbehörde die Verfahrensunterlagen zur Einsicht angefordert hatte, liegt nun das Ergebnis der Überprüfung vor. Mit Schreiben vom 6. April teilt das Ministerium für Wissenschaft und Kultur mit: „Ihre Abrissgenehmigung vom 09.03.2021 sowie der dazugehörige Abwägungsvermerk sind fachaufsichtlich nicht zu beanstanden“. Zudem zeigten die Schadenskartierungen und Untersuchungen den sehr fragilen Zustand des Gebäudes und wiesen auf die Grenzen der Erhaltungsfähigkeit hin.

Zuvor hatte die Stadt dem von Otto Haesler umgebauten Lagergebäude „dauerhafte und grundlegende Probleme hinsichtlich Standfestigkeit und -sicherheit attestiert“. Nachdem das Land nunmehr der Auffassung gefolgt ist, kann der Eigentümer mit dem Abriss zeitnah fortfahren.

Die ohi machte sofort darauf aufmerksam, dass die Pressemitteilung der Stadt wichtige Teile des Schreibens der obersten Denkmalbehörde einfach weglasse. Die Fachaufsicht habe nämlich gleichzeitig ausdrücklich darauf hingewiesen, „dass es aus Sicht des kulturellen Erbes wünschenswert wäre, wenn das Objekt dennoch erhalten und in Stand gesetzt wird, da ihm im Werk Otto Haeslers eine hohe Bedeutung zukommt, dokumentiert es doch seinen Übergang zum neuen Bauen.“

Danach wurde der Abriss vollendet. Für die ohi ergaben sich daraus folgende Konsequenzen und Fragen:

1) Die Stadtverwaltung sieht die Abrissgenehmigung eines Baudenkmals als einen ganz normalen Akt der laufenden Verwaltung, so die Pressemitteilung, bei dem sie niemanden fragen muss. Dieses Arbeiten ohne Beteiligung der Öffentlichkeit und der Politik (und das unter Beteiligung der Bezirksdenkmalpflege) ist ein Teil des Problems, das man jetzt auch für die Zukunft lösen muss. Eine Konsequenz muss sein: Der Abriss eines Baudenkmals darf kein Akt der laufenden Verwaltung sein, hier muss die Öffentlichkeit eingeschaltet werden.

2) Dieses Gebiet am Ende Speicherstraße ist Teil der "Fortschreibung Rahmenplanung Allerinsel 2018" im Rahmen des Bundes-Förderprogramms Stadtumbau West. „Wesentlicher Bestandteil des Quartiers ist die Integration bestehender, erhaltenswerter Gebäude,“ heißt es in dieser von Rat beschlossenen Fortschreibung. Und dieser Haesler-Bau ist danach einer von drei historischen Bauten, die erhalten bleiben sollen. Der Abriss bedeutet, dass ein Drittel der historischen Bauten dieser Planung weggefallen ist. Und nicht nur das: Es bleiben von dem einstigen Arbeitsplatz Hafen nur Fabrikantenvillen übrig – ein Geschichtsverständnis wie in Kaisers Zeiten.

3) Warum hat die Stadtverwaltung den Abbruch nicht aufgehalten, wenn selbst aus dem Stadtrat heraus betont wird, dass es Klärungsbedarf bei vielen Fragen gibt. Bis jetzt hat man auch nicht den Eindruck, dass die Verwaltung gemerkt hat, dass sie hier völlig unangemessen gehandelt hat: Bisher gab es kein Wort, dass man Fehler eingesteht und diese für die Zukunft abstellt, und auch keine Entschuldigung.

Diese Fragen liegen jetzt auf dem Tisch. Die Antworten stehen aus.

Es gibt eine klare Tendenz der „Regentschaft“ von Dr. Jörg Nigge, so viel wie möglich zu „laufenden Geschäften der Verwaltung“ zu erklären, d.h. Rat und Stadtgesellschaft in eine Zuschauer*innenrolle zu drängen oder anders gesagt: zu entmachten. Trotz einiger halbherziger Initiativen aus dem Rat lässt sich vorerst festhalten: In dieser Frage scheint es geklappt zu haben. Und die fundierte öffentliche Kritik wurde einfach ausgesessen.

Der vom Rat beschlossene „Rahmenplan Allerinsel“ wurde von der Verwaltung schlicht und einfach ignoriert. Und dieser lässt es sich offensichtlich gefallen.

Zur Frage der Verantwortung ist bezeichnend, dass weder Oberbürgermeister Nigge noch Stadtbaurat Kinder sich gegenüber der Öffentlichkeit zu Abrissfrage überhaupt einlassen. Vorgeschickt wird die Pressesprecherin, wobei die Pressemitteilung – wie von der ohi angemerkt – wesentliche Informationen verschwieg.

Zur politischen Verantwortung sei noch folgendes hinzugefügt: Neben der ohi gibt es in dieser Stadt eine otto haesler stiftung – Vorstandsvorsitzender: Ulrich Kinder. Daneben sitzen im Vorstand etliche Ratsmitglieder und Vertreter der Zivilgesellschaft. Einige haben sich inzwischen kritisch zu dem Skandal geäußert. Joachim Schulze (SPD) hat eine Sondersitzung beantragt. Aber das Naheliegende, nämlich eine Forderung nach Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden, hat es bisher nicht gegeben. Dabei ist unstrittig, dass der Stadtbaurat Verantwortung nicht nur für den Abriss, sondern auch für die Art und Weise trägt.

Die Ratsfraktion von B’90/Die Grünen machte auf den Widerspruch aufmerksam, dass die Stadt im Bauhausjahr das „Neue Bauen“ von Haesler gefeiert und als touristischen Highlight genutzt habe, aber zwei Jahre später „wird die 2011 unter Denkmalschutz gestellte Wachswarenfabrik plattgemacht.“

Kommen wir zu der Frage, in wessen Interesse eigentlich der Abriss erfolgte. Dazu schwieg sich Celles Leitmedium genauso aus wie die Politik. Die HAZ war weniger scheu. Beim Eigentümer handelt es sich um Peter Preuhs, Seniorchef der Celler Firma Möbel Wallach.

Und worum geht es? Selbstverständlich um die profitable Vermarktung oder Nutzung des Grundstücks. Und wie das im Falle eines denkmalgeschützten Gebäudes trotzdem geht, zeigt sich hier exemplarisch: Man muss es nur dem Verfall preisgeben. „Wer sein Baudenkmal hegt und pflegt, wird oft mit zu vielen Auflagen der Denkmalpflege belastet, wer jedoch Jahre und Jahrzehnte sein Gebäude nicht oder nur unzureichend unterhält, bekommt dann offensichtlich dafür als ‚Dank‘ schneller eine Genehmigung für den Abriss“, merkt hierzu Dipl.-Ing. Rudolf Becker an, der sich als Geschäftsführer der otto haesler stiftung deutlich von seinem schweigenden Vorstandsvorsitzenden absetzt.

Die Frage an den Eigentümer wäre doch, was er eigentlich seit der Unterschutzstellung zum Erhalt des Gebäudes unternommen hat?

Wenn Eigentümer*innen denkmalgeschützter Gebäude nichts zur Unterhaltung unternehmen können oder wollen, müsste ihnen – das ist doch die Konsequenz – dieses Eigentum genommen werden können.

Beim Inhaber von Wallach ist es, soviel dürfen wir unterstellen, nicht fehlendes Können, sondern fehlendes Wollen.

Und in diesem speziellen Fall dürften wir es auch mit der unheiligen Verquickung von Geld und Macht zu tun haben. Wallach dürfte ein gewichtiger Gewerbesteuerzahler sein. Und seinen Ansprüchen wird im Rathaus offensichtlich gefolgt. – Und da Wallach auch ein gewichtiger Anzeigenkunde ist, findet der Name Preuhs in der CZ-Berichterstattung keine Erwähnung.
Lassen wir noch einmal Robert Marlow, den Präsidenten der Architektenkammer Niedersachsen, zu Wort kommen. Nicht Abriss, sondern vielmehr das Weiterbauen im Bestand, sei heute auch im Rahmen der Diskussionen um Klimaschutz und Nachhaltigkeit das Gebot der Stunde. „Wir dürfen uns auch bei der Entwicklung von neuen Baugrundstücken nicht gegen eingetragene Baudenkmäler stellen, sondern müssen diese im Verbund mit der Denkmalpflege einbeziehen. Architekten entwickeln passende Lösungen, die Altes und Neues miteinander verbinden und attraktive Standorte schaffen.“

Im Rathaus hat man Alternativen zum Abriss nicht einmal in Erwägung gezogen.

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Wir haben uns dafür entschieden, ein etwa drei Jahre altes Foto des Baus zu nehmen, das den Zustand nicht schönt. Hier aber nochmal zur Besonderheit des Baus ein Zitat aus Simone Oelker Haesler-Biografie (Simone Oelker: Otto Haesler – Eine Architektenkarriere in der Weimarer Republik, München 2002, S. 286):
„Der Fabrikbau entstand zu einem Zeitpunkt, als Haesler den zweiten Entwurf für seine Siedlung Italienischer Garten entwickelte. Die Kombination verschieden hoher Kuben erprobte Haesler mit diesem Fabrikbau, der damit zu einem Schlüsselwerk für seinen Weg zur Moderne wurde.“