Für die SPD beantwortete Fraktionschef Patrick Brammer

??: Wo sieht die SPD für die nächsten fünf Jahre den größten Veränderungsbedarf in der Stadt?

!!: Hier gibt es viele Punkte. Ganz einfach lassen sich aber alle unsere Ziele besser erreichen, wenn ein Umdenken innerhalb der Stadtverwaltung und der (aktuellen) Ratsmehrheit erreicht wird.
Aktuell gilt das Credo, dass die Stadtverwaltung eine Art Konzern ist, der rein auf betriebswirtschaftlichen Kennzahlen zu führen ist. Aus unserer Sicht muss ein Bewusstsein geschaffen werden, dass die Stadt und deren Verwaltung kein „Betrieb“ ist, ergo somit auch anders zu führen ist. Das Festhalten der „schwarzen Null“ mag in einem Privathaushalt noch plausibel sein. Aber dort, wo Daseinsvorsorge und öffentliche Belange zu organisieren sind, müssen anderen Maßstäbe angesetzt werden.
Die Stadt darf nicht länger als „Konzern“ geführt werden. Der eingeschlagene Weg der Abgabe von Verantwortung an den Kreis muss gestoppt werden. Die Stadt muss weiter die Möglichkeit behalten, in allen Bereichen selbst zu gestalten und Einfluss zu nehmen. Das ständige Festhalten an der schwarzen Null und der zwanghafte Versuch, an einem ausgeglichenen Haushalt festzuhalten, geht zu Lasten der Daseinsvorsorge. Deshalb wird die SPD in der kommenden Ratsperiode u.a. für folgende Themen einstehen: Verlässliche Ganztagsgrundschulen mit ausreichender Unterstützung mit qualifizierten päd. Personal, Förderung von ehrenamtlichem Engagement, barrierefreier Zugang zu allen öffentlichen städtischen Einrichtungen, Fortführung der Stadtteilprojekte, Fortführung von des Programms „Demokratie Leben“, Erhalt der beiden Frauenhäuser in Celle, Förderung der Elektromobilität, bezahlbarer Wohnraum für alle sowie eigenen Förderung des ÖPNVs mit dem Ziel einer verbesserten Angebotsstruktur.

??: In zwei Jahren steht im Kreistag die Fortschreibung des Nahverkehrsplans an. Die Stadt hat sich da unseres Erachtens zuletzt viel zu wenig eingemischt. Was wären Eure Prioritäten für den ÖPNV?

!!: Der ÖPNV muss allein aus klimapolitischer Sicht ausgebaut werden. ÖPNV ist stets defizitär, d.h. er muss ein „Zuschussgeschäft“ sein. Das bedeutet wiederum, dass die öffentliche Hand diese Zuschüsse geben muss. Eine Finanzierung über die Tickets darf dabei nicht in Frage kommen. Sollten Fahrpreise weiter erhöht werden, sinkt der Erlös. Ein ÖPNV muss für alle attraktiv sein; auch für jene, die gewöhnlich mit dem Auto fahren. Positive Auswirkungen wären eine verbesserte CO2-Bilanz, weniger überfüllte Zufahrtswege und Parkplätze sowie die Steigerung der Attraktivität unserer Innenstadt.
Die Ausgestaltung des Nahverkehrsplanes obliegt dem Landkreis. Das kulturelle und verkehrliche Zentrum des Landkreises ist die Stadt Celle. Hier muss die Stadt mehr Einfluss auf den Träger des ÖPNVs ausüben.
Die Stadt muss aber auch eigene finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, um den ÖPNV innerhalb Celles zu verbessern. Dazu gehört eine bessere Taktung, aber auch eine bessere Abstimmung mit dem Schienenverkehr. Zusätzlich wird es eine Forderung der SPD werden, dass der Hauptumsteigepunkt aus der Innenstadt am Schlossplatz verlegt wird zum ZOB am Bahnhof.
Natürlich muss auch die Flotte der Busse unter Umweltaspekten verändert werden. Ein weiterer Punkt, für den die SPD in der nächsten Ratsperiode einstehen wird, ist die Forderung, dass es mehr P&R-Angebote geben muss. Dies auch deshalb, damit der Autoverkehr in der Innenstadt reduziert wird und somit insgesamt die Lebensqualität in unserer Stadt gesteigert werden kann.

??: Habt ihr Vorstellungen, wie es mit dem Millionengrab Congress Union weitergehen soll?

!!: Ja, das haben wir. Zunächst sei angemerkt, dass die Bezeichnung „Millionengrab“ aus unserer Sicht nicht ganz zutreffend ist. Sicherlich, Stadthallen sind allgemein defizitäre Einrichtungen; ein genauer Blick hinter die komplizierten Verschachtelungen der einzelnen Einheiten des Gesamtkonstruktes „Congress Union“ ist derart kompliziert und unübersichtlich, dass sich keinerlei Transparenz für die Bürger*innen und selbst auch für die Kernverwaltung ergibt. Dieser Missstand ist aufzubrechen. Zum anderen hat das komplizierte Geflecht aus seiner Natur selbst heraus auch Vorteile für die Stadt. Die Stichworte hier: Steuerlicher Querverbund und Einlagerungen von Vermögen in Form von Aktien.
Zumindest Teile dieses Depotvermögens sollten aus unserer Sicht verlagert werden. Und zwar in die für die Allgemeinheit „fassbare“ Vorteile. Wir haben derzeit einen wachsenden Leerstand in der Innenstadt. Dieser ist zum Nachteil aller. Darum haben wir den Antrag auf „Ankauf leerstehender Immobilien durch Umschichtung städtischen Vermögens“ (AN/0074/21) gestellt.
Die Stadt soll hierbei die leerstehenden Häuser erwerben und günstig an Einzelhändler oder Privatpersonen verkaufen. Zum einen wäre die Innenstadt wieder lebendiger, zum anderen können kreative Köpfe in die Innenstadt ziehen und dem Trend der Überflutung von Filialisten, die sich eher völlig überhöhte Mieten und Pachtgebühren leisten können, Einhalt geboten werden. Der Ankauf, sprich die Finanzierung soll durch Teile des Depotvermögens der Congress Union organisiert werden.
Hierbei handelt es sich also um eine Umschichtung. Mehrausgaben für die Stadt: Fehlanzeige. Nutzen für die Stadt: belebte und nachhaltigere City. Für uns ist auch die „Rendite“ für die Innenstadt höher einzustufen als die Renditen aus den Aktien, die im „Keller“ der Congress Union still und leise ihr Dasein fristen und keinerlei fassbare Vorteile für die Allgemeinheit bringen.

??: Falls es im nächsten Rat keine Mitte-Links-Mehrheit gibt - wärt Ihr dann bereit, eine Art Koalition mit der CDU einzugehen? Wir haben jetzt zehn Jahre eine Art Kohabitation, also Oberbürgermeister, die sich im Rat Mehrheiten suchen müssen, Mende konnte das, aber Nigge überlässt es ja immer dem Zufall bzw. verschafft sich Mehrheiten mit der AfD.

!!: Zuallererst sei betont, dass es nicht die Aufgabe des Rates ist, Mehrheiten für Verwaltungsvorschläge zu organisieren. Hier hätte ja allenfalls die CDU ein Interesse, ist es doch ihre legitime Aufgabe „ihren“ OB zu unterstützen. Es ist vielmehr Aufgabe des OBs, für seine Vorhaben eine Mehrheit zu finden. Dazu muss der OB natürlich offen auf die Fraktionen zugehen und für seine Vorhaben werben. - Ist das am Anfang seiner Amtszeit noch rein gar nicht passiert, weil er sich zu jener Zeit auf einen festen Block aus CDU, FDP, Unabhängige und AfD verlassen konnte, so hat sich dies zwischenzeitlich geändert. Die Einsicht, dass eine Abhängigkeit von der AfD nicht erstrebenswert ist, hat sich glücklicherweise im Lauf der Zeit bei der CDU durchgesetzt. Gespräche mit uns haben seitdem zugenommen, was wir sehr begrüßen.
Grundsätzlich sollten wir die klassischen Einordnungen in links, Mitte und rechts mit Vorsicht betrachten. Gerade hier im Rat ist zu beobachten, dass sowohl AfD als auch BSG/Linke zusammen mit „Zukunft Celle“ häufig einen „Abstimmungsblock“ bilden, obwohl die BSG/Linke und Zukunft Celle ein gänzlich anderes und freilich erstrebenswerteres Menschenbild als die „Kollegen“ von der AfD vertreten.
Dass der OB mit seiner „Mehrheitsfraktion“ das Prestigeprojekt „Grundschulstrukturreform“ nebst dazugehörigen Haushalt mit den Grünen in fester Eintracht verabschiedet hat, ist ein weiterer Beleg dafür, vom klassischen Rechts-Links-Schema abzusehen. Dass der vom Zeitgeist getragene schwarz-grüne Hype auch hier bei uns in Celle angekommen ist, ist nicht von der Hand zu weisen. Auch wenn nach unserer Einschätzung ein Schwarz-Grün im Bund wahrscheinlicher ist als hier in Celle: Steht und fällt ein Bündnis doch häufig von den Personen, die dieses zu organisieren haben.
Auch mit der SPD-Fraktion hat es die ein oder andere Ratsmehrheit gegeben, so z.B. beim letzten Haushalt. Wir finden es richtig, wenn man im Rahmen der Haushaltsberatungen eine Vielzahl von eigenen Punkten erfolgreich verhandelt und somit durchgesetzt hat, dem entsprechenden Haushalt auch zuzustimmen. Ebenso haben es ja die Grünen bei der Schulstrukturreform gemacht; dieses ist absolut legitim und aus der jeweiligen Sichtweise auch plausibel.
Das Prinzip eines demokratischen Konsenses ist richtig und erstrebenswert. Keine Fraktion wird im Verhältniswahlrecht jemals eine absolute Mehrheit im Celler Rat erlangen. Und das ist auch gut so.
Hinsichtlich der variablen Mehrheitsfindungen im Rat ist es wichtig, die einzelnen Abstimmungen zu kategorisieren. Grundsätzlich lassen sich drei Grundarten von Beschlüssen bzw. Abstimmungen benennen:
1. Beschlüsse, die (nahezu) einstimmig gefasst werden (85%). Hierbei handelt es sich um ca. 85% aller Beschlüsse. Diese haben häufig rein verfahrenstechnischen, verwaltungs- und personalrechtlichen Charakter oder sind anderweitig unstrittig wie z.B. redaktionelle Anpassungen von Satzungen.
2. Beschlüsse, die mit großer Mehrheit gefasst werden (10%): Dabei handelt es sich häufig um Entscheidungen, die nicht im Rechts-Links-Schema einzuordnen sind, wohl aber in einem Schema „konservativ-progressiv“. Als Beispiel können hier Bebauungspläne, Großprojekte und Verkehrsprojekte zählen. Werden diese Veränderungen von der Mehrheit getragen (=progressiv), gibt es auf der Linken die „konservativen“ Gegenstimmen. Die Grünen gesellen sich bisweilen in diesen konservativen Block, in der Regel macht sie hier aber von einem ureigenen Lieblings-Tool Gebrauch: von der Enthaltung.
3. Beschlüsse, die mit knapper Mehrheit gefasst werden (5%): Hier haben wir es mit politischen Entscheidungen zu tun, die noch ins klassische „Rechts-Links-Schema“ passen. Beispiele hierbei sind sozialpolitische, migrationspolitische oder aber auch bildungspolitische Themen. Die Meinungsgrenzen sind klar zwischen CDU, FDP, Unabhängige, AfD auf der einen und SPD, Grüne, WG/Partei, BSG/Linke und Zukunft Celle auf der anderen Seite abgesteckt.
Wenn man die o.g. Kategorisierung von Beschlüssen verinnerlicht, ist die Notwendigkeit einer Koalition nicht zwangsläufig gegeben. Wichtig ist es, immer miteinander im Gespräch zu bleiben. Nur so ist es auch realistisch, unsere ureigenen Themen und Anliegen durchzusetzen. Wir werden sehen, wie sich der neue Rat zusammensetzt. Wir sind uns sicher, dass sich keine automatischen Mehrheiten ergeben. Vielmehr sollten alle demokratischen Fraktionen im stetigen Austausch sein und gemeinsam kluge Entscheidungen für unsere Stadt treffen. Ein starker sozialdemokratischer Einfluss ist hierbei unser Ziel. Dazu stehen wir.