Protestkundgebung von 70 Celler*innen vergeblich

Als Anfang Juni die Abschiebung eines jungen Mannes aus Celle drohte, hatte die Initiative „Land in Sicht – Transition“ (LIST) kurzfristig zu einer Protestkundgebung vor dem Neuen Rathaus aufgerufen.

Für den Niedersächsischen Flüchtlingsrat war Sebastian Rose vor Ort, der gegenüber der Presse deutlich machte, dass dieser sich dafür einsetzt, alle Abschiebungen in das bürgerkriegsgebeutelte Land zu stoppen. Auf Kritik stoße beim Flüchtlingsrat auch die Rechtfertigung der jetzt geplanten Abschiebungen. Laut Erlasslage kämen für eine Abschiebung gegenwärtig nur Straftäter in Frage, die schwere Straftaten wie z.B. Mord, Totschlag, räuberische Erpressung, nicht unerhebliche Betäubungsmitteldelikte oder Sexualstraftaten begangen hätten. Soweit ihm bekannt sei, wurde der junge Mann aus Celle nicht einmal verurteilt. Gegen ihn wurde lediglich als sogenanntes Zuchtmittel nach dem Jugendstrafrecht ein zweiwöchiger Dauerarrest angeordnet. Andere Verfahren wurden mit einer „Verwarnung“ abgegolten oder eingestellt. Es stelle sich die Frage, was nach Auffassung des Innenministers die Kriterien für eine „schwere Straftat“ sind.

Ute Labudde, die als ehrenamtliche Flüchtlingshelferin bis heute Kontakt zu Mojtaba H. hat, berichtete, dass seine Familie schon in den Iran geflüchtet sei, als er noch ein Kind war. Seine Mutter und seine Schwester würden inzwischen in der Türkei leben, in Afghanistan habe er keinerlei Kontakte.
Nicht erst seitdem sich die Lage in Afghanistan in den vergangenen Wochen weiter verschärft habe, würden Verwaltungsgerichte, so Sebastian Rose, davon ausgehen, dass es selbst für junge, gesunde Männer in ihrem Herkunftsland kaum Überlebenschancen gebe, weil man ihnen wegen ihres Aufenthalts in Europa z.B. Verrat vorwerfe.

Für die Initiative LIST stellte Reinhard Rohde in seinem Redebeitrag die Frage, welchem Kalkül die Stadt Celle und der Innenminister folgen würden: „Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund für die bevorstehenden Abschiebungen. Geht es vielleicht darum zu zeigen, dass es die AfD nicht braucht zur Umsetzung einer unmenschlichen Abschiebepraxis? Das wäre einfach nur beschämend.“ Er forderte die Teilnehmenden auf, ihnen bekannten SPD-Mitgliedern auf die Entscheidung von Innenminister Pistorius aufmerksam zu machen und persönlich zu intervenieren.
Im Rahmen der Kundgebung berichtete Helga Habekost, die sich seit Jahrzehnten in Celle ehrenamtlich als Betreuerin von Geflüchteten engagiert, dass in der vergangenen Woche eine 38-jährige Romni in einer Nacht- und Nebelaktion mit ihrem 6-jährigen, behinderten Kind nach Serbien abgeschoben worden sei. Dazu mehr auf der nächsten Seite.

Nachdem die Abschiebung am Folgetag vollzogen wurde Cornelia Döllermann-Nölting für LIST: „Leider konnten wir mit unserem Protest die Abschiebung von Mojtaba H. nicht verhindern. Er wurde in ein ihm unbekanntes Land abgeschoben, in dem er keinerlei Kontakte hat. Das erfüllt uns mit Bitterkeit, für ihn ist es eine Katastrophe.“

Abschiebungen in ein vom Krieg völlig zerrüttetes Land müssten sofort beendet werden. Döllermann-Nölting: „Wir erwarten, dass der niedersächsische Landtag aber auch der Celler Stadtrat sich zu diesem Akt der Inhumanität erklären.“
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Die taz berichtete am 20.07.2021 unter dem Titel „Sechsjährige mit Behinderung abgeschoben“ (online unter: https://taz.de/Sechsjaehrige-Romni-mit-Behinderung/!5781738/)