Realität blamiert Wunschdenken

Für die Sammlung und den Umschlag sogenannter kommunaler Abfälle ist in Stadt und Landkreis der Zweckverband Abfallwirtschaft Celle (ZAC) zuständig. In der Verbandsversammlung, einem Gremium aus Vertreter:innen von Kreistag, Stadt- und Gemeinderäten, wurde Ende September eine „Potenzialstudie zur klima-freundlichen Abfallentsorgung“ vorgestellt. Erstellt wurde das Gutachten vom INFA-Institut für Abfall, Abwasser und Infrastrukturmanagement GmbH.

Abfallwirtschaft deutschlandweit auf gutem Weg?

Zunächst die anscheinend gute Botschaft: Die deutsche Abfallwirtschaft hat ihre Treibhausgas-Emissionen (THG) in den letzten 30 Jahren um 78 % senken können, von 38 auf 9,7 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente. Sie trägt damit „nur“ zu etwa 1 Prozent zu den Gesamtemissionen in Deut­schland bei. Was die Emission von Methan betrifft mag die Reduzierung stimmen, denn das Verbot der Deponierung organisch abbaubarer Siedlungsabfälle ab 2005 verminderte tatsächlich das Methan. Doch die schlechte Botschaft, die die INFA lieber verschweigt: Allein von 2006 bis 2020 ist die Müllmenge in Deutschland um 22 % gestiegen und die aus der Müllverbrennung stammende CO2-Emission um 160 %.

Nur auf den ersten Blick eine gute Energiebilanz für den Celler Abfall …

Zu Celle meint die INFA, die ZAC stehe gut da, es gebe nur in Teilbereichen noch Optimierungs­möglichkeiten. Zu diesem Ergebnis kommt die INFA jedoch nur, weil sie eine energetische Input-Output-Berechnung der besonderen Art macht.

So lag der Strom-Input (Stromverbrauch) der ZAC in 2018 bei 1.018 MWh, wobei 40 % auf die von Celle genutzten Müllverbrennungsanlagen (MVA) Hannover und Helmstedt entfielen. (Diese EEW Betriebe preisen sich übrigens als „Baustein der Energiewende“ an, siehe weiter unten). Weitere 29 % des Stromverbrauchs entfallen auf die Biogutkompostierung. Der Verbrauch an fossiler Energie bzw. Brennstoffen lag bei 5.482 MWh. Davon entfallen 52 % auf Sammlung und Trans­port durch die Fahrzeuge und 24 % auf die Grüngutkompostierung (Belüftung und Entlüftung von Kompost und Hallen, die Zerkleinerung der Bioabfälle, das Umsetzen der Mieten sowie der inner­betriebliche Materialtransport).

Doch da große Teile des Mülls verbrannt werden, gibt es auch Energieoutput: 31.450 MWh/a beim Strom und 10.415 MWh/a Wärme, vor allem durch die Verbrennung von Altholz (80 %). Das ent­spricht der Versorgung von ca. 7.570 Haushalten mit Strom und etwa 520 Haushalte mit Wärme. Also fast ca. 7-mal mehr Energiegewinn als Energieverbrauch bei der Abfallwirtschaft Celle.

… denn die Rechnung wurde ohne CO2 gemacht

Ja, wenn man jetzt noch wie die INFA sehr fiktiv umrechnet, dass man für die Erzeugung von ca. 42.000 MWh statt Müll, 99.000 MWh Primärenergieträger wie Erdöl, Kohle oder Erdgas hätte verbrennen müssen. Und wenn man dann noch die fiktive Primärenergieeinsparung von rund 67.000 MWh/a durch Recycling (Metall, Papier) und die Sekundärrohstoffgewinnung (wie Kompost) dazurechnet. Ja, dann hat die Verbrennung und Verwertung von Celler Müll fast 123.500 MWh/a fossile Energieträger eingespart. Was geradezu suggeriert, umso mehr Müll wir erzeugen und verbrennen, umso besser ist es für das Klima, da wir ja fossile Brennstoffe ein­sparen. Doch bei dieser Berechnung der INFA fehlt, dass mit der Erzeugung von 42.000 MWh/a Strom und Wärme aus dem Celler Müll ca. 14.000 t CO2 pro Jahr freigesetzt werden. Jedes Kilogramm mehr Müll, also auch mehr CO2 freisetzt. Dass die INFA diese CO2-Emissionen der Celler Abfallwirtschaft in ihrer Studie einfach unter den Tisch fallen lässt, ist kein Zufall. Die in chinesischem Besitz befindliche ehemalige EON-Tochter EEW Energy from Waste, die in Helmstedt auch den Celler Restmüll verbrennt, erklärt: „Durch die energetische Verwertung (Verbrennung im Heizkraftwerk mit Strom und Fernwärmegewinnung) der in den EEW-Anlagen eingesetzten Abfälle werden natürliche Ressourcen geschont ... und die CO2-Bilanz entlastet.“ Aber diese Entlastung ist eine dreiste Lüge, ob nun eine Tonne CO2 aus der Verbrennung von Erdgas oder Kohle entsteht oder aus der Verbrennung von Müll macht für den Klimawandel keinen Unterschied. Doch dieses Greenwashing hat höchsten Segen: Schon der Europäische CO2-Emissionszertifikatshandel (EU ET) erklärte bereits 2004 Müll zum „CO2-freien“ Brennstoff und auch die aktuelle CO2-Bepreisung in Deutschland behandelt die Müllverbrennung nach wie vor als klimaneutral.

Bisheriges Müll-Recycling nur bedingt nachhaltig und klimafreundlich

Getrennt gesammeltes Papier, Pappe, Glas und auch das Metall aus dem „Gelben Sack /bzw. der Gelben Tonne“ werden soweit sie von den Bürger:innen ordentlich abgeliefert bzw. sortiert werden, zu einem hohen Prozentsatz recycelt. Bei Papier und Pappe, die durch optimale Kombination der verschieden alten Faserfraktionen – bis zu 7-mal recycelt werden könnten, erfolgt das im Schnitt allerdings nur zwei- bis dreimal, einfach weil die als frischer Rohstoff importierte Cellulose immer noch zu billig ist. Glas wird, wenn es entsprechend gesammelt wurde, zu nahezu 100%* recycelt (* abzüglich Glas im Restmüll ca. 84 %), da es der Glasindustrie hilft enorme Energiemengen einzusparen. Geradezu kriminell wird es beim Verpackungsabfall aus Kunststoff.

Nur beim Recycling sortenrein gesammelter, sauberer PET-Flaschen kann man von einer Energie- und Ressourcenersparung im Vergleich zu frischem PET ausgehen. Doch die Masse des Kunststoffabfalls ist verschmutzt und besteht aus Sortengemischen, Kunststoff-Co-Polymerisaten, Kunststoff-Pappe- und Kunststoff-Metall-Verbundmaterialien. Hier wäre also der technische Aufwand, der Energiewand und der Ressourcenverbrauch (z.B. Wasser) für ein Recycling sehr hoch, so dass – abgesehen von der Wirtschaftlichkeit – ein Verbrennen (samt CO2-Freisetzung) oft einen geringeren Umwelt- und Klimaschaden anrichtet als die „stoffliche Verwertung“. Doch dummerweise sind die deutschen Müllverbrennungsanlagen gar nicht für das Verbrennen von größeren Mengen hochenergetischer Kunststoffabfälle geeignet. Stattdessen sind sie auf den möglichst schnellen Durchsatz mittelenergetischer Müllmengen optimiert, denn damit machen sie das beste Geschäft. Folge: Trotz inzwischen verschärfter gesetzlicher Bestimmungen, die den Export von Kunststoffmüll verhindern sollen, landen immer noch große Mengen (statt 1,5 Mio. t nun „nur“ noch ca. 1 Mio. t) an Kunststoffmüll als Wertstoff „getarnt“ in Drittländern wie Malaysia. Und auch eine EU-Steuer (80 Cent/t) auf nicht recycelte Kunststoffabfälle wird offensichtlich aus der Porto­kasse bezahlt.

Wirklich nachhaltig und „klimafreundlich“ ist nur Müllvermeidung

Unverpackt einkaufen ist prinzipiell gut, aber u.a. aus Handling-, Sicherheits-, und Hygiene­problemen in großem Maßstab nur bedingt umsetzbar. Was Verkaufs-Verpackungen betrifft, könnte jedoch ein gesetzlich vorgeschriebenes Mehrwegsystem in großem Maßstab Energie, Rohstoffe und THG einsparen. Herkömmliches Behälterglas z.B. würde bis zu 40 und etwas verbessertes Glas bis 80 Umläufe erlauben. Durch gesetzliche Vorschriften könnten bei Verkaufsverpackungen min. 70 % des Kunststoffs und im Bereich Transportverpack­ung sogar über 90 % Kunststoff eingespart werden. Was bei 350 Mrd. Euro Jahresumsatz der Verpackungsindustrie und über Mrd. Umsatz bei den Unternehmen des Grünen Punkts politisch schwer durchzusetzen ist. Aber ungebremstes Wachstum bedeutet nun mal mehr Müll und mehr Treibhausgas. Und auch eine Kreislaufwirtschaft, die auf Wachstum statt Suffizienz basiert, wird immer weiter Ressourcen verbrauchen und THG produzieren.

Die ZAC sollte sich für kein Greenwashing hergeben

Natürlich ist es sinnvoll aus nicht vermeidbaren Abfällen oder Stoffen, die am Ende einer Verwert­ungskaskade stehen, Strom- und Wärme bzw. Kompost zu gewinnen. So gesehen tut die ZAC im Rahmen der ihr vorgegeben gesetzlichen Rahmenbedingungen ihr Bestes. Und auch was die von INFA vorgeschlagenen Verbesserungen bzgl. THG-Einsparung bei Fuhrpark und Kompostierung betrifft, wird die ZAC sicher aktiv werden. Taucht die Frage auf: Hat die ZAC eine solch schön­färberische Studie eigentlich nötig? Sollte sie stattdessen nicht die Bürger:innen verstärkt auf die Notwendigkeit der Müllvermeidung hinweisen?