Wohnkosten bei Hartz IV – jeder sechste Haushalt muss aus Regelleistung „zubuttern“
In Deutschland wird jedem sechsten Haushalt in Hartz-IV-Bezug nur ein Teil der Wohnkosten erstattet. Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Katja Kipping (Drucksache 19/31600), sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, zeigt Handlungsbedarf insbesondere bei Haushalten mit Kindern.
Die regional ausdifferenzierten Daten über die sogenannte Wohnkostenlücke von Hartz-IV-Betroffenen sind brisant, weil sie einen Hinweis auf die regelmäßig systematische Unterschreitung des durch die Verfassung garantierten Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum geben.
Durchschnittlich haben Betroffene eine Wohnkostenlücke von 87 Euro. Besonders hart trifft es Familien mit Kindern sowie Alleinerziehende. Hier fehlen Haushalten mit Kindern jeden Monat 101 Euro bzw. 96 Euro bei Alleinerziehenden.
Katja Kipping: „In Deutschland ist ein Methodenwildwuchs bei der Bestimmung angemessener Wohnkosten durch die Kommunen entstanden. Seit Jahren drücken sich die Bundesregierungen um eine verfassungskonforme Lösung für die Wohnkosten von armen Menschen. Die Folge ist Verdrängung und bitterste Armut. Die Betroffenen müssen sich die Miete im wörtlichen Sinne vom Munde absparen.“
Die Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen bei den Wohnkosten betrifft neben Hartz-IV-Beziehenden auch Grundsicherungs-Rentner:innen sowie erwerbsgeminderte Personen mit geringem Einkommen. Sie müssen bei zu geringen Angemessenheitsgrenzen umziehen oder, wenn dies nicht möglich ist, den Regelbedarf, der für Essen, Mobilität und soziale Teilhabe vorgesehen ist, für Wohnkosten zweckentfremden.
Die in der Antwort übermittelten Daten zeigen, dass diese Unterschreitung keine lokalen Einzelfälle sind, sondern es in fast allen Jobcentern eine hohe Zahl Betroffener gibt und die Wohnkostenlücken erheblich sind.
Zentrale Ergebnisse
Deutschlandweit sind durchschnittlich 17 Prozent der Haushalte im Hartz-IV-Bezug von einer nicht vollständigen Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung betroffen. Diese Wohnkostenlücke beträgt bei den Betroffenen im Durchschnitt 87 Euro. Die Differenz zwischen übernommenen und tatsächlichen Kosten macht durchschnittlich 15 Prozent der gesamten Kosten für Unterkunft und Heizung der Haushalte aus, in denen die Kosten nicht vollständig übernommen werden.
Vergleicht man unterschiedliche Haushalte, fällt auf: Besonders hart trifft es Familien mit Kindern und Alleinerziehende. Hier wird auch das Existenzminimum von Minderjährigen durch Wohnkostenlücken von 101 Euro (Familien mit Kindern) bzw. 94 Euro (Alleinerziehende) regelmäßig unterschritten. Das führt zu einer Beschränkung der Lebenschancen von Kindern und Jugendlichen, die in Armut aufwachsen.
Eklatant unzureichende Angemessenheitsgrenzen für die Kosten von Unterkunft und Heizung gibt es nicht nur in Ballungsräumen, sondern auch in ländlichen Regionen. Die relative Zahl der Betroffenen unterscheidet sich je nach Bundesland erheblich. Die Verteilungsmaße zeigen jedoch deutlich, dass es sich um ein gravierendes und flächendeckendes Problem handelt, das begründete Zweifel an der Verfassungskonformität der geltenden Rechtslage und Rechtswirklichkeit weckt.
94,18 Euro pro Monat in Celle
In Celle sind es im Durchschnitt 94,18 Euro, die Bedarfsgemeinschaften dazulegen müssen, die nicht die vollen Wohnkosten erstattet bekommen. Bei Bedarfsgemeinschaften mit Kindern steigt diese Differenz auf 104,38 Euro. Betroffen ist keine kleine Minderheit, sondern 884 Haushalte. Das sind 14,3 Prozent. Bei den Alleinerziehenden sind es insgesamt 232 Haushalte – oder 19,3 Prozent der Alleinerziehendenhaushalte, die Hartz IV beziehen (genaue Zahlen in der Tabelle auf der nächsten Seite).
Und wo nehmen die Betroffenen das Geld her, um diese Wohnkostenlücke zu stopfen? Aus der Regelleistung. Und dann fehlt es selbstverständlich an allen Ecken und Enden.
Insgesamt beträgt die Lücke, die sich da übers Jahr auftut, fast eine Million Euro. Geld, das letztlich der Landkreis Celle den Betroffenen vorenthält. Denn er ist im Rahmen der Hartz IV-Gesetzgebung zuständig für die sogenannten Kosten der Unterkunft.
Der Streit um die Wohnkostenlücke ist nicht neu. Von Beginn des Hartz IV-Regimes werden Betroffene dazu gedrängt, ihre angeblich zu teuren Wohnungen aufzugeben und umzuziehen – oder eben zuzusehen, wo sie die nicht erstatteten Kosten herbekommen.
Das Alles verläuft selbstverständlich in einem Rahmen, der Rechtskonformität herstellen soll. Da gibt es dann z.B. in Celle den sogenannten Mietwertspiegel, an dem sich alles orientiert. Wir haben darüber berichtet.
Hier vielleicht mal ein neuer Denkanstoß an die Kommunalpolitik:
Es gibt eine Realität, die von den Menschen nicht nur „gefühlt“ wird. Und die ist auch in Celler Landen: Die Mieten gehen nach oben. Aber was spiegelt die sogenannte Mietwerttabelle, die zum Jahresbeginn in Kraft getreten ist? Nehmen wir als Beispiel die Stadt Celle: Für alle Wohnungsgrößenordnungen bis auf Wohnungen zwischen 60 und 75 qm sind alle anderen Mieten wie durch ein Wunder gegenüber 2017 gesunken. Auch so entstehen Wohnkostenlücken.
Und Wohnkostenlücken entstehen auch, wenn Leute in eine teurere Wohnung umziehen (sogar im Rahmen der Mietobergrenzen), aber dafür keine Zusicherung vom Jobcenter bekommen haben.
Was tun?
Eigentlich wäre es ziemlich einfach. Wenn der Kreistag einsehen würde, dass die Mietwerttabelle, die der Landkreis zur Grundlage seiner Erstattung nimmt, ein schlechter Witz ist – bzw. ums beim Namen zu nennen: ein Gefälligkeitsgutachten für eine Kreisverwaltung, die offensichtlich Gefallen daran findet, die Ärmsten und ihre Kinder zu drangsalieren oder anders: sich daran zu bereichern (denn das „eingesparte Geld“ kann der Kreis anders verwenden). Wenn er das anerkennen würde, könnte er schlicht und einfach in Kraft setzen, was Sozialgerichte machen – nämlich die Wohngeldtabelle plus 10 Prozent anwenden. Was würde das beispielsweise für die Stadt Celle bedeuten? Für Ein-Personen-Haushalte eine Mietobergrenze von 468 statt 392 Euro, für Zwei-Personen-Haushalte anstatt 423 dann 567 Euro, für Drei-Personen-Haushalte statt 516 dann 675 Euro – und so weiter. Damit wäre die Wohnkostenlücke wahrscheinlich für 95 Prozent der Betroffenen geschlossen.
Die Kreisverwaltung wird darauf verweisen, dass sie bis zum Jahresbeginn 2023 sowieso verpflichtet sei, einen sogenannten qualifizierten Mietspiegel erstellen zu lassen. Und bis dahin wird den Betroffenen weiter eine Million vorenthalten?
Sollte es zu einer Ampel-“Koalition“ im Kreistag kommen, muss sie das rückwirkend ändern.
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Niedersachsen will seinen Zuschuss für die
Mietkosten von Hartz-IV-Empfänger:innen
an die Kommunen streichen
Weil der Bund seine Beteiligung an den kommunalen Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung ab dem Jahr 2020 dauerhaft um 25 Prozent erhöht habe, sollen in drei Etappen die Landeszuschüsse an die Kommunen ganz entfallen. Von den niedersächsischen Kommunen würden aufgrund der gestiegenen Bundesbeteiligung mittlerweile weniger als die Hälfte der Ausgaben getragen.
Es geht um 142 Millionen Euro Landesgeld pro Jahr, das den Kommunen stufenweise gestrichen wird. „Das schmerzt uns sehr“, sagt Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistages: „Es geht hier ja nicht um eine Einsparung, die temporär nötig wird, etwa durch eine Notlage wie Corona, sondern um eine strukturelle Entscheidung. Und es trifft überproportional Kommunen, die ohnehin schon hohe Soziallasten zu tragen haben.“
Auf die Leistung besteht selbstverständlich ein gesetzlicher Anspruch. Aber etliche Kommunen müssten, um dieses Geld aufzubringen, anderweitig streichen.
Heidi Reichinnek, Vorsitzende der LINKEN Niedersachsen, ist entsetzt: „Dass die GroKo die Landeszuschüsse für die Kosten der Unterkunft (KdU) von Hartz-IV-Beziehenden streicht, ist ein Skandal! Wie stellt die Landesregierung sich das eigentlich vor? Die kaputt gesparten Kommunen übernehmen die Kosten dann mal eben, während sie riesige Schuldenberge vor sich herschieben und wieder dem Diktat der ‚schwarzen Null‘ unterworfen sind? Die Realität wird eine andere sein: die Kommunen geben die Kosten weiter, indem sie Zuschüsse noch restriktiver vergeben, oder sie sparen an anderer Stelle. Weitere Einsparungen werden dann vor allem die – jetzt schon zu geringen – freiwilligen sozialen Leistungen betreffen, denn nur hier haben die Kommunen überhaupt noch Spielräume. Schon jetzt muss jeder fünfte Haushalt im Hartz IV-Bezug bei der Unterkunft draufzahlen – und das von einem Satz, der weit unter dem Existenzminimum liegt. Das ist für die Betroffenen eine Katastrophe. Betrachtet man zusätzlich die bis in den Himmel steigenden Mietkosten muss man fragen, wie die Menschen überhaupt noch über die Runden kommen sollen. Das Vorgehen der niedersächsischen GroKo zeigt einmal mehr deutlich, dass soziale Gerechtigkeit für CDU und SPD nichts ist, als eine hohle Phrase.“