Interview mit der Celle Punkrock-Band
Von Alarmsignal gibt’s seit Mitte Januar ein neues Album: „Ästehtik des Widerstands“. Eine Besprechung findet sich auf Seite 27 – hier erst mal ein Interview.
??: So als Alter Weißer Mann fiel mir beim Album-Titel als erstes der Roman von Peter Weiss ein. Jetzt müsst ihr selbstverständlich fragen: Wer ist das? Aber im Ernst - welche Überlegung steckt hinter dem Titel?
Steff: Peter Weiss kennen wir natürlich, wir haben sogar mal in seinem Haus gespielt. Also nicht in seinem richtigen Haus, sondern im “Haus der Freundschaft“ in Rostock, welches seit einigen Jahren als “Peter-Weiss-Haus“ bekannt ist. Wir wissen, dass er ein Werk mit selbigem Titel geschrieben hat. Das war jedoch nicht ausschlaggebend und hatte auch keinen Einfluss, zumal der Albumtitel erst entstand, nachdem alle Songs geschrieben waren. Wir saßen am letzten Abend der Aufnahmen zusammen und sind eine lange Liste mit Ideen durchgegangen; und “Ästhetik des Widerstands“ hat sich nach langen Diskussionen durchgesetzt. Für mich persönlich ist er interessant, weil er zum einen ein breites Spielfeld an Interpretation lässt und zum anderen im Widerstand, der ja oft mit unschönen Bildern dargestellt wird, auch etwas Schönes sieht. Vorausgesetzt, es ist Widerstand für eine gute Sache natürlich. Außerdem lässt er sich auch gut auf den Album-Inhalt beziehen, da dieser nicht nur politische Thematiken anschneidet, sondern auch persönliche Kämpfe, innere Kämpfe, die es oft mit sich selbst auszutragen gibt. Und die sich schön anfühlen können, wenn sie erfolgreich ausgetragen wurden bzw. unterm Strich eine positive Bilanz gezogen werden kann.
??: Es ist ja auch ein Geburtstagsalbum - also 20 Jahre Alarmsignal. Was könnt ihr heute besser als vor 10 oder 20 Jahren? Und auf der anderen Seite: Ist irgendwas "verloren" gegangen?
Steff: Verloren gegangen ist auf alle Fälle ein großes Stück “musikalische Unbekümmertheit“. Die wurde über die Jahre von einem “höheren Anspruch“ verdrängt, was aber vielleicht normal ist, da wir uns als Band auch ein wenig entwickelt haben, und ständig auf der Stelle zu treten ja auch langweilig ist. Da, wo wir früher einfach froh waren, überhaupt einen Song zusammengeschustert zu haben, und mit dem zufrieden waren, was wir da so komponiert hatten, werkeln wir heute etwas intensiver und probieren mehr aus. Das ist dann auch das, was wir heute besser können. Uns mehr Zeit zu nehmen, offener zu sein und ein wenig mehr experimentierfreud. Wir können uns heute auch anspruchsvoller streiten als damals, also auch in diesem Bereich haben wir dazu gelernt.
??: Auf keinem Album vorher hattet ihr so viele Kollaborationen - wie es im Musikmagazin-Sprech heißt - also: Zusammenarbeit mit anderen Musiker:innen. Wie ist es dazu gekommen? Eine Art Studio-Geburtstags-Party?
Steff: Die hätten wir liebend gerne gefeiert, aber während wir in den Studiokellerräumen in Düsseldorf aufgenommen haben, befand sich die Welt oben im “Lockdown Light“, weshalb wir größtenteils unter uns blieben. Einzig Dariush Beigui, Seenotretter der Iuventa-Crew, ist für seinen Part ins Studio gekommen, die anderen haben aufgrund der Umstände zu Hause aufgenommen. Zu den jeweiligen Gastsänger:innen ist es aus verschiedenen Gründen gekommen. Wir kennen sie, mögen sie und ihre Bands und hatten das Gefühl, dass der Song, für den wir sie gefragt haben, musikalisch oder inhaltlich gut für sie passt. Und das war schließlich auch so. Alle haben sofort zugesagt und den jeweiligen Song teilweise sogar nochmal mit eigenen Ideen bereichert.
Ein anderer Grund ist sicherlich auch, dass unser alter Gitarrist Borsti (Küsschen Borsti, falls du das liest) vor Beginn der Arbeiten zu diesem Album ausgestiegen ist. Musikalische Verluste sind im Studio immer ausgleichbar, da semmelste einfach nochmal ein paar Gitarrenspuren drüber, aber gesanglich fehlte da natürlich ein Stück vom Kuchen, weshalb wir die Anzahl der Gastsänger:innen etwas üppiger als zuvor gestalteten.
??: Was ihr ja - "meine Meinung" - richtig gut drauf habt: Hooks & Hymnen. Die werden ja nach zwei-, dreimal Hören zu "Ohrwürmern" bzw. nötigen zum Mitgröhlen. Feine Kunst, aber bekommt ihr nicht manchmal selbst schon Angst dahingehend, dass - weil's so "eingängig" ist - sich wer meldet und sagt: Das habt ihr von mir geklaut?
Kühn: Ja, das war mit Trash Society aus Celle so. Die haben einfach behauptet, unser hooks- und hymnenreicher Mitgröhlsong “Wir Leben“ wäre von denen, haha. Marvin, der alte Spinner (an dieser Stelle hugs'n'kisses). Aber klar, wenn da ein eingängiger Reim/Refrain ist, dann gab's diesen bestimmt schon mal irgendwo anders. Wie dieser Sportfreunde Stiller - Song, wo's so geht “1914, 33 auf ins nächste Jahrhundert, ja so stimmen wir alle ein, mit der Waffe in der Hand und dem Vaterland im Herz, werden wir Weltkriegssieger sein'', ich meine das war doch klar, dass irgendwer mal so was schreibt, das war ja mal wieder ein deutscher Text, der früher oder später von irgendwem geschrieben werden musste. Auch wenn wir den natürlich nicht geil finden, das ist unterste Heino-Schulblade, aber das Beispiel beschreibt gut was ich meine.
Steff: Für einen guten und eingängigen Punkrocksong, reichen lediglich 3-4 Akkorde. Es gibt da auch so ein paar Wunderakkordreihenfolgen, die funktionieren (fast) immer, egal in welcher Reihenfolge sie gespielt werden. Die sind immer eine sichere Bank, weshalb sie oft genutzt werden, bilden aber in der Regel nur ein Grundgerüst, auf das man viele verschiedene und tolle Gesangsmelodien drauf singen kann. Im Gegensatz zum Songwriting vieler anderer beginne ich meistens zuerst mit einem Text, genauer gesagt mit dem Refrain, für den ich meistens schon eine Melodie im Kopf habe und um diesen baue ich dann den Rest, der ganz oft auf die erwähnten Wunderakkordreihenfolgen passt. Somit, also dass bei mir nicht die komplette Melodie am Anfang steht, sondern erst die Buchstaben, meine ich zumindest für mich die Gefahr geringer zu halten, dass da im Unterbewusstsein eine Melodie oder ein anderer Song mitläuft, der mich irgendwie beeinflussen könnte, damit ICH es bin, der im Ernstfall das Diebstahl-Fass aufmachen kann, hihi. Nee, aber bei der Menge an Bands und den im Vergleich dazu oft identischen Mitteln, denen sich beim Komponieren bedient wird, bleibt es natürlich nicht aus, dass es hier und da mal Ähnlichkeiten geben kann. Und wie sagte ein bekannter Punkrocksänger mal sehr passend: „Bei einem guten Punkrocksong musst du immer das Gefühl haben, ihn irgendwo schon mal gehört zu haben, erst dann ist es wirklich ein guter Punkrocksong!“
??: Bei den Texten macht ihr ja wieder eine breite Spanne auf zwischen reflexiven Zeitdiagnosen, kämpferischen Parolensongs und punk-rockiger Nabelschau. Nur eine Nachfrage: In "Revolutionary Action" endet der Refrain mit "Get out of factory, it's non-workers century". Mir ist nicht ganz klar, in welche Richtung dieses "non-workers century" deuten soll - Fragezeichen.
Kühn: Mit der Zeile wollte ich Mut dazu machen, weniger zu arbeiten und die Veränderung zu sein, die Mensch sich so wünscht. Es scheint das höchste Gut auf Erden, irgendwas zu werden, ich empfehle an dieser Stelle „Massenphänomen Arbeitssucht'' von Holger Heide (Hrsg.), im Atlantik Verlag erschienen, ganz schön viele Seiten, steht kein Preis drauf. Obwohl uns “die Arbeit“ eigentlich das Leben erleichtern sollte und von immer weniger Menschen immer mehr effizient für den Bedarf aller produziert werden könnte, schwören wir im Schweinekapitalismus auf Wachstum und so wird uns unser Konzept von Arbeit zur Geißel. Es entstehen “Arbeitsplätze“, die überhaupt keinen Sinn ergeben, einfach damit Menschen arbeiten. So erkläre ich mir das Entstehen von 3/4 der Behörden. Oder dann gibt's Ärzt:innen, die können dir (ungelogen!!) Haare vom Arsch auf die Kopfhaut transplantieren. Und das ist deren Job, die verdienen damit Geld!!! Das ist doch krank, die machen aus Scheiße Gold. Was wir Arbeit nennen, ist doch oft nur ein dummes, total nicht zu Ende gedachtes soziopolitisches Konstrukt (jaja, ewiges Wachstum) und gleichzeitig ist es so unsicher, wie in der aktuellen Pandemie bewiesen, dass auf einen Schlag ganz viele “Arbeitsplätze“ nicht mehr existieren (müssen). In unsere Wohlstandsgesellschaft ist es aber möglich, das aufzufangen, darum können Leute ruhig mal weniger arbeiten und mehr revoltieren, besonders Menschen in Behörden, oder diese kranken Ärzt:innen.
??: Gibt's eigentlich beim Tempo inzwischen irgendwo ein Limit? "Kein Mensch ist illegal" und "Zu weich für Punk" liegen so bei 200 bpm, bei "161" geht die Tachonadel (ganz "oldschool") schon auf 240 zu. Sagt irgendwer mal: "Bitte ein bisschen weniger schnell" oder "Das bringe ich nur noch über höchsten zwei Minuten"?
Kühn: Da bin ich wahrscheinlich die Tachonadel, die irgendwann nicht weiter steigt, ich wüsste aber gerade nicht die bpm-Zahl, bei der das ist, sorry. Ist auch tagesformabhängig. Obwohl, wenn Gitarre & Bass nur Abschläge machen würden (was ja so das Äquivalent zum Drummen wäre), würden die wahrscheinlich irgendwann die Notbremse ziehen.
Bulli: Das ist auch so eine Sache, die sich über die Jahre geändert hat. Erstmal überhaupt zu wissen, was dieses bpm ist, das dann sogar zu benutzen und dann sogar zu merken, dass manche Songs nur 2bpm langsamer müssen, um mehr zu „flowen“. Punk ist tot, haha.
??: Auf der Single, die es als Teil des ganzen Pakets gibt, habt ihr auch einen Song zu den sogenannten Querdenker-Demos. Den Song kenne ich aber noch gar nicht. Deshalb eine andere Frage zu Corona-Zeiten. Jetzt sind ja gerade eure Konzerte in Hamburg und Hannover geplatzt und aufs nächste Jahr verschoben. Ich frage jetzt mal nicht, wie das auf die Stimmung drückt, wenn zudem noch ein neues Album am Start ist. Aber: Wie kommt ihr "ökonomisch" durch die Phasen ohne Auftritte? Sind die "Hilfen" der Bundesregierung bei euch angekommen?
Bulli: Was von der Kulturförderung bei uns angekommen ist, ist eine Förderung für das Album von der “Initiative Musik / Neustart Kultur“. Ohne diese Förderung hätte es das Album so auch nicht geben können. Und auch für viele der Konzerte, die stattfanden, war das schon recht hilfreich, wie ich es wahrgenommen habe. Ich als selbstständiger Kulturschaffender habe sonst von der Bundesregierung keine direkten Hilfen bekommen und bin immer durch alle Raster durchgefallen. Anderen Bekannten wiederum hat es geholfen. Für Menschen, die sich keinen Einblick in die ganzen Hilfen schaffen mussten, klang das alles wahrscheinlich viel barrierefreier.
Steff: Unter Bands werden diese Hilfen gerne mal “das Hartz IV der Musiker:innen“ betitelt und dieses haben wir aufgrund der Umstände beantragt und im zweiten Anlauf bewilligt bekommen. Nicht nur die neue Platte, sondern auch rund um die neue Platte konnten viele Dinge damit ermöglicht werden, was sicherlich als positiv zu werten ist. Ein negativer Beigeschmack hingegen ist, dass die Bedingung daran geknüpft ist, dass bei den Produkten oder Projekten (Album, Videos etc.), die mit diesen Hilfen ermöglicht wurden, auch diejenigen aufgeführt werden müssen, die geholfen haben. Diesen Kompromiss sind wir natürlich nicht ganz ohne Zähneknirschen eingegangen.
??: Zum Geburtstag gibt es diesmal auch jeweils mit CD oder Vinyl eine Fan-Box im Angebot, auch noch mit Fahne und Booklet zu 22 Jahr Alarmsignal. Erstmal die Frage: Welcher Bestellweg ist für die Bandkasse am Besten? Und: Wie ist bei euch eigentlich das Verhältnis von Vinyl, CD und Streaming - also welchen Weg wählen die Leute am meisten, um an die Musik zu kommen?
Bulli: Unseren Kram auf unseren Konzerten zu kaufen ist immer am besten. Aber das ist bei der Box Editionen z.B. gar nicht möglich. Von daher gerne am besten unseren Bandshop nutzen. Das Hörverhalten der Menschen hat sich in den letzten Jahren ja bekanntlich stark verändert. Physisch liegt der Fokus mittlerweile definitiv auf Vinyl. Das ist durch die Pandemie nicht einfacher geworden, globale Lieferketten standen still, Rohstoffe, Papier ... - das wirkt sich alles extrem auf die Preise aus. Auch die Lieferzeiten sind echt übel geworden. Streaming führt das ganze (leider) mittlerweile an. Bei allen Streaminganbietern gibt es manche, die etwas fairer sind, aber das ist immer noch extrem weit von wirklich fair entfernt. Fast alle Zahlen pro Stream kommen nicht annähernd an 1 Cent. Bei den meisten stehen so viele Nullen hinterm Komma, dass man schon überlegen muss, wie man die Zahl ausspricht. Sowas wie “ein Zehntel Cent“ oder noch weniger. Das ist schon wirklich übel. Aber wenn ihr auf Streamingdiensten unterwegs seid, freuen wir uns natürlich trotzdem sehr, wenn ihr unsere Musik dort hört und den Stuff in euren Playlisten safed.
Ästhetik des Widerstands
Vorweg müssen wir Provinzheinis von der revista ja mal zur Kenntnis geben: Popkulturell ist unser einziges überregional zur Kenntnis genommenes "Exportprodukt" die Band Alarmsignal. Und mit all unserer "Heimat halt's Maul"-Zurückhaltung wollen wir angesichts des aktuellen Albums trotzdem festhalten: zu Recht.
Punkrock „at it’s best“ vereint schon immer Gesellschaftskritik, Revolte und den Vorschein von Utopie. Genau das schafft das neue Album von Alarmsignal.
Schon der Opener „Husolevel“ steht beispielhaft dafür. Die Band nimmt eine Beschimpfung aus dem Internet: „Ihr bringt das Hurensohn-Level auf ein ganz neues Niveau“ & dreht sie selbstironisch um: Ja, dann nehmen wird das mal als Auszeichnung, dass ihr uns als „asoziale linke Ratten“ seht. Das alles eingepackt in ein alarmsignal-typisches Gewand, das mit starker Hookline sofort einen hohen Wiedererkennungswert schafft.
Alarmsignal greift Themen auf, die uns umtreiben sollten: Das Streben an Europas Außengrenzen zum Beispiel in dem Song „Bring sich in Sicherheit“, worauf als kurzer Agit-Prop „Kein Mensch ist illegal“ folgt.
„Eigentlich Elena“ ist Anklage der Prostitution und räumt so nebenbei auf mit idiotischer Männerphantasie: „Sie macht das hier nur, weil sie’s muss, nicht weil sie’s kann.“ Eine empathische Abrechnung in dreieinhalb Minuten.
No Future – das war bei den Sex Pistols ja eigentlich die Prognose für die britischen Eliten. Heute geht’s leider um die Überlebenschancen von Millionen, wenn nicht Milliarden von Menschen auf diesem Planeten. Alarmsignal antworten mit einer ironischen Überaffirmation „Lass uns tanzen, wir tanzen in den Untergang“. Da wird es bei den Konzerten spannend: Bei der Studioaufnahme trägt der Song die Ambivalenz. Aber wird sich beim fast zwangsläufigen Mitsingen wenigstens eine Irritation einstellen?
Zwei Agit-Prop-Nummern werden in der nächsten Zeit mit Sicherheit auf der Setliste stehen: „Revolutionary Action“ und „161“. Englischsprachige Songs, die deutlich werden lassen, was Alarmsignal mit „Ästhetik des Widerstands“ meinen: Das selbstermächtigende Gefühl kollektiven Handelns gegen Kapitalismus, Rassismus und Faschismus. Das Schöne: Der Text von „Revolutionary Action“ transportiert bei allem Fäuste-reckenden-Gestus auch den Wunsch nach Ernsthaftigkeit.
Es gibt auch zwei Beziehungssongs, eine für Alarmsignal eher ungewohnte Ballade („Hoffnung“) und eine griffige Off-Beat-Nummer („Ich hoffe du findest was du suchst“).
Um als Fazit mal Emma Goldmann zu variieren: „Wenn nicht Alarmsignal dazu aufspielt, ist das nicht meine Revolution.“ Dafür zeigen wir dann auch mal Nachsicht mit der Gospel-Punk-Nummer, haben wir ja bei Ray Charles auch immer so gehalten.