Betriebsratsgründung bei Residenz Beinsen am Französischen Garten GmbH
Die Gründung von Betriebsräten in Alten- und Pflegeheimen ist vielerorts ein Kraftakt, der gegen den Widerstand der Geschäftsleitungen durchgezogen werden muss. In der seit 2007 in Celle bestehenden Residenz Beinsen am Französischen Garten GmbH hat es Ende vergangenen Jahres weitgehend problemlos geklappt. Wir konnten Daniel Wagner, den Vorsitzenden des neu gewählten Betriebsrates, zu einem Interview überreden.
??: Sagst du uns kurz was zur Struktur des Altenpflegeheims?
!!: Die Residenz Beinsen ist ein Altenpflegeheim mit rund 100 Beschäftigten und um die 120 Betten. Ich bin als Altenpfleger seit 2016 dort beschäftigt. Mit einigen Kolleg:innen hatten wir in der Vergangenheit schon mal überlegt, einen Betriebsrat zu gründen. Aber das blieb eher halbherzig.
??: Wie kam es zu dem neuen Anlauf?
!!: Mal vorab: Wir haben keinen festen Tarif, stehen aber lohntechnisch vergleichsweise gut da. Neuen Auftrieb bekam die Idee aber vor allem durch zunehmenden Personalmangel. Uns ist klar, dass ein Betriebsrat jetzt kein neues Personal wird herbeizaubern können, aber wir hoffen, dass es so wesentlich leichter fallen wird, bestehendes Personal zu halten.
??: Kannst du das ausführen?
!!: Einige Kündigungen der letzten Monate hätten unseres Erachtens durch eine starke Arbeitnehmervertretung und aufmerksame Kommunikation vermieden werden können, und das alleine gab uns ein starkes Motiv. Wir arbeiten gerne in diesem Haus, aber jede Verschärfung der Personalsituation geht weiter an unsere Substanz, und daher wollten wir irgendetwas tun, um vermitteln zu können und dafür zu sorgen, dass das Team erhalten bleibt und der personelle Druck, aber auch der Druck der Verantwortungen in der Pflege nicht nur auf den Schultern der Arbeitnehmer:innen lastet. Man kann auch sagen, wir wollen Druck vom Kessel nehmen und ihn dahin leiten, wo er hingehört. Das ist unser Ziel und wir sind zuversichtlich, dass wir das auf die Reihe kriegen werden. Man wird eben weit ernster genommen, ob man nun immer alleine zum Chef geht oder eben ein ganzer Betriebsrat mit weit größerer Handhabung auf der Schwelle steht.
??: Wie können wir uns das konkret vorstellen, dass Personalmangel an die Substanz geht?
!!: An die Substanz geht es, wenn wir in Unterzahl arbeiten müssen, weil es niemanden gibt, der noch einspringen könnte. Die Maßnahmenpläne, die wir für die einzelnen Bewohner:innen haben, haben ja einen Zweck. Sind wir jedoch in Unterzahl, ist eine angemessene Durchführung manchmal gar nicht möglich, zwangsläufig müssen Abstriche gemacht werden, aber wo? Lagerst du bettlägerige Menschen einmal weniger? Wechselst du seltener das Inkontinenzmaterial? Das Anreichen von Mahlzeiten von Bewohner:innen dauert teilweise sehr lange, gibt es dann eben mal weniger zu essen? Einige Bewohner benötigen viel Aufsicht - sind wir zu wenige, stürzen Bewohner:innen öfter oder haben auch andere Risiken? Was ist wenn was außer der Reihe kommt? Eine Visite vom Arzt - wieder ist eine Pflegekraft für eine viertel Stunde raus aus dem Ablauf. Angehörige wollen mit einem sprechen, wieder raus. Oder wollen mal mit dir ein Gespräch führen … was sollen wir da sagen? Keine Zeit? Oder jetzt zu Coronazeiten: das Testen von uns selbst, von den Bewohner:innen, von Besucher:innen - alles richtig und wichtig, aber auch wieder meistens alles nebenbei. Man ist also dann gezwungen, sich mit allem sehr zu beeilen, man stresst die Bewohner:innen, man stresst sich selbst, die Pflegequalität leidet und die durchaus schönen Seiten an diesem Beruf, der menschliche Umgang miteinander kommen nicht mehr zur Geltung.
??: Dass stresst ja schon beim Zuhören. Zurück zur Betriebsratswahl: Hattet ihr Kontakt zu ver.di?
!!: ver.di hat uns dabei gut unterstützt. Wir sind auch von uns aus direkt auf Ver.di zugegangen, noch lange bevor die Absicht überhaupt offiziell bekannt geworden ist. In mehrern Treffen mit einer Gewerkschaftssekretärin haben wir unser Vorgehen dabei Schritt für Schritt geplant und rechtlich abgesichert. Wir wussten ja nicht wie unser Chef reagieren würde, daher wollten wir nichts dem Zufall überlassen.
?? Und – wie hat er reagiert?
!!: Als wir dann zu der ersten Betriebsversammlung aufgerufen haben, haben wir den Chef dann persönlich darüber informiert. Wir hatten das Gefühl: Gefallen hat es ihm nicht, aber er hat sich auch nicht quer gestellt. Aber im Endeffekt ist das auch eine klare Angelegenheit, in anderen Branchen gehören Betriebsräte schließlich ganz selbstverständlich mit dazu.
??: In der Pflege scheint es manchmal gar nicht so selbstverständlich zu sein.
!!: Ich denke, ein Stück weit ändert sich da gerade aber auch das Selbstverständnis unter Pflegekräften. Beim heutigen Pflegenotstand wissen wir besser um unseren Wert als je zuvor. Sollten wir gekündigt werden, hat man noch am gleichen Tag die Wahl aus drei anderen Stellen. Mit diesem Selbstverständnis sind wir auch aufgetreten und da war die Sache klar. Wir denken auch, dass das Vorhandensein eines Betriebsrats heute nach außen auch ein Argument für Arbeitnehmer:innen, da sie auf Mitbestimmung und auf geordnetere Arbeitsbedingungen hoffen kann. Hinzu kommt, dass erst wenige Altenheime von sich behaupten können, einen eigenen Betriebsrat vorweisen zu können.
??: Wie ist dann die Wahl verlaufen?
!!: Gewählt haben wir in Präsenz in einer "Wahlkabine" im Friseursalon des Betriebs, aber es gab auch die Möglichkeit zur Briefwahl, was auch von ca. 20 % der Belegschaft genutzt wurde. Die Wahlbeteiligung lag bei gut 60 %. Wir waren damit zufrieden, auch wenn es durchaus hätte üppiger ausfallen können. Einige Kolleg:innen waren skeptisch, ob ein Betriebsrat überhaupt etwas bewirken könne - oder sie hatten schlicht überhaupt keine Meinung oder Interesse daran. Vielleicht schaffen wir es in den kommenden gut vier Jahren ja auch, noch weitere Kolleg:innen von dem Nutzen zu überzeugen. Insgesamt waren wir aber durchaus zufrieden, insbesondere darüber, dass 15 Personen für die Wahl angetreten waren und wir nun einen siebenköpfigen Betriebsrat vorweisen können mit reichlich Ersatzmitgliedern.