Neuer Flächennutzungsplan ist in Arbeit – Stadt-Dialog gestartet

Muss die Stadt Celle wachsen? Diese Frage stellte sich den Teilnehmer:innen des „Stadt-Dialogs zur Neufassung des Flächennutzungsplanes“. Für die im Auftrag der Stadt planenden Büros Ackers Partner Städtebau und WVI Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung aus Braunschweig war die Antwort (vor-)gegeben: Ja.

In den nächsten zwei Jahren wird es unter Beteiligung von Bürger:innen und den Trägern öffentlicher Belange darum gehen, für die Stadt einen neuen Flächennutzungsplan (im Folgenden FNP) zu erarbeiten. Im Januar wurden dazu zwei Workshops zu den Themenfeldern „Leben und Wohnen“, „Verkehr und Mobilität“, „Arbeiten und Gewerbe“ sowie „Natur und Landschaft“ durchgeführt.

Worum geht es bei der Erstellung eines FNP?

Der Flächennutzungsplan ist ein strategisches Instrument, mit dem Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt und festgelegt werden. Im Baugesetzbuch heißt es, der FNP soll darstellen „die sich aus der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung ergebende Art der Bodennutzung nach den voraussehbaren Bedürfnissen der Gemeinde in Grundzügen“.

In einer Karte mit ausführlichen Erläuterungen werden dabei zum einen bereits vorhandene Nutzungen dargestellt. Wichtiger aber ist die Festlegung auf künftig beabsichtigte Bodennutzungen. Da geht es dann um Wohnbau-, Mischbau- und Gewerbeflächen, um Grünflächen, Sonderbauflächen und Verkehr.

Warum ein neuer Flächennutzungsplan

In dem Vortrag der planenden Büros war die zentrale Behauptung, dass in der Stadt Entwicklungspotenziale für Wohnen und Gewerbe fehlen würden bzw. nahezu ausgeschöpft seien. Hinsichtlich der Einwohner:innenzahl wird unterstellt, dass einem Oberzentrum wie Celle an Wachstum oder zumindest an der Verhinderung von Schrumpfen gelegen sein muss. Damit wurden Pflöcke eingeschlagen, die am Besten auch nicht hinterfragt werden sollen. Also:
Durch ein in der Vergangenheit fehlendes Angebot an Bauland habe sich eine Situation ergeben, dass – bezogen auf die letzten 20 Jahre – die Stadt größere Bevölkerungsverluste gehabt habe als die Umlandgemeinden. Dass es in den letzten 10 Jahren eine leicht positive Entwicklung gegeben hat, ist ja im wesentlichen auf den Zuzug von Geflüchteten zurückzuführen. Witzigerweise ist auf einer Folie zu lesen, dass dieser aktuelle Trend durch eine Stadtentwicklungspolitik unterstützt werden soll. Nun haben wir aus dem Rathaus nicht gerade den Eindruck, dass es ein vorrangiges Ziel ist, weitere Flüchtlinge aufzunehmen.

Dass im Übrigen demografische Prognosen ungefähr die Qualität von wirtschafts-“wissenschaftlichen“ Wachstumsannahmen haben, wird deutlich bei den ebenfalls vorgestellten Vorausberechnungen aus den Jahren vor 2015, die alle ein zum Teil drastisches Sinken voraussagten.

Stichwort "moderate Außenentwicklung"

Vor diesem Hintergrund machte Ackers Partner Städtebau drei Entwicklungsszenarien auf. Erstens: Wer nur auf Innenentwicklung setzt, also keine Neubaugebiete will, wird ein Schrumpfen der Bevölkerungszahl hinnehmen müssen. Zweitens: Stabile Einwohner:innenzahlen können durch Innenentwicklung und „minimale Außenentwicklung“ erreicht werden. Drittens: In einem Gleichgewicht aus Innenentwicklung und „moderater Außenentwicklung“ würde es zu einem gesteuerten Bevölkerungswachstum kommen.

Vielleicht zum besseren Verständnis: „Innenentwicklung“ meint vor allem „(Nach-)Verdichtung“, also die Nutzung vorhandener Freiflächen oder auch die Aufstockung von Gebäuden. Das war – nebenbei – unter OB Mende in den 2010er Jahren die Ausrichtung der Stadtentwicklung. Unter OB Nigge begann – wie er auch in seinem Wahlprogramm angekündigt hatte – eine Neuausrichtung auf die „Außenentwicklung“, d.h. die Ausweisung von Neubaugebieten.
Was das heißt – „moderate Außenentwicklung“ –, blieb in den Workshops offen. So ist der Eindruck vielleicht nicht ganz falsch, dass damit vor allem Bedenken „moderiert“ werden sollen.

Aber lässt sich eigentlich etwas dagegen sagen, wenn Celle in den nächsten 10 Jahren um – sagen wir mal – 1000 Einwohner:innen wachsen würde?
In der Tat wäre es ja gut, wenn die vielen in Celle leerstehenden Häuser neue Bewohner:innen finden würden. Oder wenn Menschen nach Celle ziehen würden, die jeden Tag zum Arbeiten in die Stadt einpendeln. Aber die am Stadtdialog Teilnehmenden hatten wohl zu Recht den Eindruck, dass es nicht darum geht, sondern um eine Angebotspolitik, die im Kern ein Wachstum will, das einer fast zweckfreien Ideologie folgt.
Die zentrale Behauptung der planenden Büros ist also: Innenentwicklung reicht nicht aus, „um das Oberzentrum adäquat zu stärken und weiterzuentwickeln“.

Ostumgehung als Entwicklungs-“Motor“

Als zentral für den neuen FNP wird die Ostumgehung herausgehoben. Deshalb liegen die sogenannten Suchräume für Gewerbeflächen und Wohnbebauung vor allem im Norden und Nordosten der Stadt. Das passt aus Sicht der Planer:innen wohl auch deshalb bestens, weil sich hier die gute alte Drei-Felder-Wirtschaft realisieren lässt, also Acker - Brachland – Bauland.

Diese Ausrichtung verträgt sich kaum mit einigen übergeordneten Zielen, die so weiter nur Bestandteil von Sonntagsreden bleiben:
Aktuell liegt der Flächenverbrauch in Niedersachsen bei 6,6 ha pro Tag und damit weiterhin deutlich höher als das in der Nachhaltigkeitsstrategie angestrebte Ziel von weniger als 4 ha pro Tag bis zum Jahr 2030. „Die Umwidmung dieser Freiflächen hat erhebliche und zumeist irreversible ökologische Auswirkungen. So spielen intakte Böden z.B. eine wichtige Rolle als natürliche Lebensgrundlage für die Ernährungssicherung, als Filter für die Gewährleistung sauberen Trinkwassers, aber auch als Versickerungsfläche bei Starkniederschlägen“, meint die Landesregierung.

Wer bei der Stadtentwicklung die Ostumgehung ins Zentrum stellt, stärkt fast zwangsläufig den motorisierten Individual- und Wirtschaftsverkehr. Das ist unverkennbar kontraproduktiv für die klimapolitischen Ziele der Verkehrsvermeidung und -verlagerung.

Mobilitätswende kaum im Blick

Interessanterweise taucht dieser Widerspruch – wenn auch unbearbeitet – im Leitbild einer "Stadt der kurzen Wege" oder "15 min.-Stadt" auf, wo das planende Büro dieses Ziel in einen Zusammenhang setzt, der da lautet: "Innenentwicklung vor Außenentwicklung".

Eine Grafik zur PKW-Dichte in Celle bestätigt dies. Am 31.12.2020 gab es in der Stadt 496 private PKW pro 1.000 Einwohner:innen. Wie nicht anders zu erwarten, zeigt die ortsteilbezogene Statistik: Der PKW-Anteil wächst mit der Entfernung zum Zentrum.

Wenig Zukunftsbezug hat die Einschätzung des Büros WVI Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung hinsichtlich ÖPNV und Fahrradinfrastruktur. Die Bewertung des Stadtbussystem lief darauf hinaus, es als ausreichend zu erachten. Und unter dem Stichwort „Fahrrad-stadt Celle“ wurde auf das Städteranking des ADFC-Fahrradklimatests hingewiesen, wo Celle 2020 auf Rang 33 von 110 der Städte mit Einwohner:innenzahlen zwischen 50.000 und 100.000 abgeschnitten hatte. Mit der Note 3,81 – weshalb durchaus Optimierungspotenzial attestiert wurde. Nur: Wer in Celle den ÖPNV nutzt oder Fahrrad fährt, weiß, dass weder für das eine noch das andere große Anreize zum Beispiel hinsichtlich der Berufsverkehre gesetzt werden.

„Gutes Leben“ oder „Mehr (werden)?

Bei den beiden „Workshops“ des Stadtdialogs beteiligte sich im wesentlichen die kleine Gruppe der „üblichen Verdächtigen“, also jener Menschen, die sich seit Längerem mit der Entwicklung der Stadt auseinandersetzen, und die z.B. Reaktionen auf die Klimakatastrophe erwarten. Das wird sich auch im „Conceptboard“ niedergeschlagen haben, einer Art digitaler Sammlung von Wünschen und Kritik. Wie die planenden Büros damit umgehen, wird sich zeigen. Zum Knackpunkt dürfte die Frage der Wachstumsstrategie werden, die mit der Frage konfrontiert werden muss: Wollen wir ein gutes Leben (Buen Vivir) für die 70.000 Menschen, die heute in der Stadt leben, oder verstehen wir Entwicklung in einem unhinterfragten „Mehr (werden)“?

Die Folien zu den beiden Veranstaltungen finden sich auf www.celle.de unter dem Stichpunkt „Neufassung des Flächennutzungsplans“.

Wie deutlich die Celler Zielsetzungen von moderner FNP abweichen, lässt sich nachlesen auf der Seite der Niedersächsischen initiative für Klimaschutz in der Stadtentwicklung: http://www.nikis-niedersachsen.de/index.php?id=133