"Unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben"

In der Nacht des 20. Januar 2022 gegen 1:30 Uhr drang die Polizei in Begleitung eines Mitarbeiters des Landkreises Celle in die Wohnung der schlafenden Familie in Wathlingen ein, um sie nach Georgien abzuschieben. Der – nach Angaben seiner Rechtsanwälte – psychisch schwer erkrankten Mann wurde mit seinen vier minderjährigen Kindern abgeschoben – und dadurch von der schwangeren Mutter getrennt.

Das Klimabündnis im Kreistag (aus B’90/Die Grünen, Die Linke, Die Partei) hatte der Kreisverwaltung dazu einen Fragenkatalog vorgelegt. Hingewiesen wurde darauf, dass es im gültigen Rückführungserlass heißt: „Abschiebungen sind grundsätzlich so zu terminieren, dass der Abholungstermin nicht vor 6.00 Uhr morgens festgelegt werden kann.“ Und weiter: „Wenn minderjährige Kinder von einem Elternteil oder den Eltern getrennt würden, ist aufgrund der hohen Bedeutung der Wahrung der Familieneinheit die eingeleitete Maßnahme grundsätzlich auszusetzen und die eingeleitete Abschiebung abzubrechen.“

Hier die Antworten, die wir an dieser Stelle nicht weiter kommentieren (müssen).

1. Wieso wurde der Abholungstermin vor 6 Uhr gelegt?

Die Flüge werden [...] von der Landesaufnah­mebehörde gebucht. Auf Tag und Uhrzeit hat der Landkreis keinen Einfluss. […] Wie bei jeder Flugreise müssen die Passagiere in der Regel drei Stunden vor Abflug am Flughafen sein. Da auch noch Zeit für das Packen der Koffer und für die Anfahrt zum Flughafen eingeplant werden muss, werden die Betroffenen oft schon sehr früh morgens oder noch in der Nacht aufgesucht.

2. Warum wurde die eingeleitete Abschiebung nicht abgebrochen, nachdem klar war, dass die minderjährigen Kinder von einem Elternteil getrennt wurden? Die Frau und Mutter war zum Zeitpunkt der eingeleiteten Abschiebung im siebten Monat schwanger, zwei Wochen später wäre sie im Mutterschutz gewesen.

Unter Ziffer 5.3 Abs. 4-5 des in der Anfrage zitierten Rückführungserlasses vom 07.07.2021 wird erläutert, dass, wenn ein erster Abschiebungsversuch wegen Widerstandshandlungen ab­gebrochen worden ist, bei einem weiteren Versuch eine Trennung der Familie erfolgen kann, wenn dies zuvor schriftlich angekündigt worden ist. An diese Vorschrift hat sich die Ausländer­behörde gehalten.

3. Warum wurde offenbar davon ausgegangen, dass die Ehefrau und Mutter trotz ärztlich attestierter Risikoschwangerschaft abgeschoben werden konnte?

Eine Risikoschwangerschaft führt nicht automatisch zu einer Flug- und Reiseunfähigkeit. Die gern. § 60a Abs. 2c Aufenthaltsgesetz (AufenthG) notwendige qualifizierte ärztliche Bescheinigung zum Gesundheitszustand wurde uns trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Eine ärztliche Betreuung war zudem zu jedem Zeitpunkt der geplanten Rückführung bis zur Ankunft im Heimatland sichergestellt. Auf ärztliches Anraten hätten wir die Abschiebung jederzeit abgebrochen. Dies war jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht notwendig. Diese Einschätzung wird auch dadurch nachträglich bestätigt, dass die Ehefrau und Mutter neun Tage später auf eigenen Wunsch in ihr Heimatland zurückgekehrt ist. Zuvor wurde eine fachärztliche Bestätigung der Flug- und Reisefähigkeit ausgestellt.

4. Ist es richtig, dass eine Abschiebung im Mutterschutz rechtlich nicht möglich gewesen wäre?

Mit Beginn des Mutterschutzes nehmen die Fluggesellschaften die betreffenden Frauen nicht mehr mit. Zumindest eine Flug-Abschiebung ist während des Mutterschutzes somit aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. [...]

6. Die Bundesregierung hat […] bekundet, ein sogenanntes „Chancen- Aufenthaltsrecht“ schaffen zu wollen, das Menschen, die am 1.1. 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe ermöglichen soll. Hätten die jetzt Abgeschobenen zum Personenkreis gehört, der dieses „Chancen-Aufenthaltsrecht“ in Anspruch nehmen kann?

Ein Gesetzestext liegt bisher nicht vor, so dass nicht beurteilt werden kann, ob die Familie unter eine solche Vorschrift fallen könnte.

7. In einem Report des Arbeitskreises Flucht und Asyl der IPPNW Deutschland mit dem Titel "Die gesundheitlichen Folgen von Abschiebungen. Eine Einordnung und Kritik aus ärztlicher und psychotherapeutischer Sicht" aus dem Jahr 2020 ist zu Situation von Kindern zu lesen: […] „Die Praxis der Abschiebung von Kindern und Jugendlichen verstößt oft gegen Artikel 2 (2) und Artikel 6 (1) Grundgesetz (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Schutz der Familie) und Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Verbot erniedrigender oder un­menschlicher Behandlung). Sie verstößt immer gegen Artikel 3 der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die bei uns geltendes Recht ist (Berücksichtigung des Kindeswohls bei allen staatlichen Maßnahmen).“ Bezieht die Kreisverwaltung derartige Erkenntnisse in ihre Entscheidungen ein? Wenn nein, warum nicht?

[...] Wenn es wegen fehlender Ausreisebereitschaft zu einer Abschiebung kommen muss, wird versucht, jede Eska­lation der Situation zu vermeiden und insbesondere mit den Kindern einfühlsam umzugehen. Leider nehmen einige Eltern auf die Gefühle der Kinder kaum Rücksicht und erschweren die Situation für die Kinder zusätzlich.
Grundsätzliche Erwägungen, ob Abschiebungen überhaupt stattfinden sollen, weil sie zu einer zu großen Belastung für die Betroffenen führen können, obliegen aber nicht der Exekutive, sondern allein dem Gesetzgeber. Die Verwaltung hat unter Beachtung der gesetzlichen Vorga­ben eine bestehende Ausreisepflicht umzusetzen.