Eine menschenleere Celler Innenstadt am frühesten Morgen. Fünf link(s-radikal)e Laternen stehen in der Dämmerung beieinander und beginnen ein Gespräch.

Die Dicke: Endlich sind sich alle einig beim 2 Grad-Ziel, oder besser doch 1,5 Grad-Ziel.

Oma Lilo: Wie meinst du das?

Die Dicke: Na, ums dem Russen zu zeigen, sind doch alle bereit, die Raumtemperatur zu senken.

Klein Jonas: Wie witzig. [gedehnt:] Ha, ha.

Der Besserwisser: Die Volksgemeinschaft einig im Kampf für den Frieden.

Der lange Lulatsch: Abgesehen von allem, was hier ironisch mitschwingen soll ... ich finde Sanktionen richtig. In einer globalisierten Welt kann das Wirkung erzielen gegen völkerrechtsverletzende Staatenlenker.

Oma Lilo: Dann aber bitte auch gegen USA, China, Türkei, Saudi-Arabien … wieviel Staaten gibt’s eigentlich?

Klein Jonas: 193 Mitgliedsstaaten haben die Vereinten Nationen.

Oma Lilo: Naja, vereint wäre nett. Aber gut, vielleicht lassen sich 50 davon mit gutem Willen von Sanktionen ausnehmen.

Der lange Lulatsch: Jetzt geht es aber nicht um Moral, sondern darum einen Krieg zu beenden. Und ja, wenn in jedem einzelnen Fall Staaten sofort, ökonomisch, politisch, kulturell isoliert würden … Aber ich weiß: Meine Antwort darauf, wer „the good, the bad and the ugly“ sind, ist nicht gerade konsensfähig.

Die Dicke: Wäre ja schon schön gewesen, wenigstens die Rüstungsexporte zu beenden.

Der Besserwisser [mit ironischem Unterton]: Aber die gehen doch gerade an die Guten.

Oma Lilo: Ich weiß, das klingt jetzt hässlich und unsolidarisch. Aber die Guten sind die Guten, weil sie sich bereitwillig vor den Karren der NATO haben spannen lassen.

Die Dicke: Du meinst die NATO-Osterweiterung.

Oma Lilo: Ja. Mal abgesehen von seiner irren Kriegspropaganda hat Putin ja oft, ausführlich und unmissverständlich darauf hingewiesen, dass Russland sich bedroht sieht. Es will keine NATO vor der Haustür und hat dafür auch einige Gründe. Es ist also hinsichtlich der Interessen völliger Quatsch, wenn in den Talkshows immer wieder behauptet wird, man könne nicht in Putins Kopf schauen. Braucht niemand, es reicht, die Reden zu lesen.

Der lange Lulatsch: Ich gebe dir Recht. Er hat klar eine „rote Linie“ gezogen, über die die NATO ohne Krieg aber nicht bereit war zu reden.

Oma Lilo: In der letzten Ausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ …

Die Dicke: … Albrecht von Lucke ...

Oma Lilo: … genau: Mitherausgeber, also kein linksradikal beleumdetes Blatt. Neben den Schritten der NATO-Osterweiterung, die Bernd Greiner dort kenntnisreich nachvollzieht, gibt’s einen Aufsatz von August Pradetto, der als Weg zur De-Eskalation eine Neutralität der Ukraine diskutiert, auf die sich im Westen aber niemand einlassen wollte. Putin hat das ja in seinem Kriegsziel „Entmilitarisierung“ genannt, aber das – also Neutralität, in welcher Form auch immer – scheint mir der einzige Weg zur Beendigung des Krieges. Und die ukrainische Führung macht die Tür dafür ja einen Spaltbreit auf. Ich finde: sinnvollerweise.

Der lange Lulatsch: Aber gegenseitige Sicherheit? Von wegen. Die Bundesregierung setzt auf Militarisierung.

Der Besserwisser: Sie nennen es Abschreckung.

Oma Lilo: Was die Kriege nie aus der Welt geschafft, sondern nur an andere Schauplätze verlagert hat – Stichwort: Stellvertreterkriege.

Klein Jonas: Ich kann das gar nicht fassen. Die Leute haben SPD und Grüne doch nicht gewählt, damit Aufrüstung betrieben wird.

Der lange Lulatsch: Das ist das deutsche Polit-Paradox. Leute, die Grüne und SPD wählten und 1998 auf eine sozial-ökologische Politik hofften, bekamen unterm Strich einen Kriegseintritt …

Oma Lilo: … ja, wird gern vergessen bei der „Oh, wir haben 75 Jahre in Frieden gelebt“-Betroffenheit, dass Deutschland beim völkerrechtswidrigen Angriff auf Jugoslawien Kriegspartei war.

Der lange Lulatsch: … Kriegseintritt und Hartz IV. Und dass die Abschaffung der Wehrpflicht und die Laufzeitbegrenzung bei AKW durch CDU/FDP umgesetzt wurde.

Oma Lilo: Ein Kanzler Friedrich Merz hätte die 100 Milliarden und die zwei Prozent vom BSP nicht ohne Widerwillen und Proteste durch SPD, Bündnisgrüne, Gewerkschaften und Kirchen bekommen. Was uns zurückbringt zum Krieg. Im schlechten Fall kriegen wir jetzt durch die Ampel eine Verlängerung der Kohleverstromung.

Klein Jonas: Im besseren Fall eine viel schnellere Energiewende.

Die Dicke: Ich finde ja beeindruckend, dass so viele Menschen flüchten. Es zeigt nicht nur ihre Furcht, es zeigt auch ihre Autonomie. Zu gehen, wenn sie um ihr Leben fürchten müssen.

Klein Jonas: Wisst ihr, dass es für Männer zwischen 18 und 60 Jahre keine Möglichkeit gibt, aus Gewissensgründen den Kriegsdienst zu verweigern?

Der lange Lulatsch: Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt es in all den internationalen Menschenrechtserklärungen nicht. Deshalb hier mal ein Lob des Deserteurs und der Deserteurin. Und das gilt nicht nur für russische, sondern auch für ukrainische Soldaten.

Die Dicke: In der ukrainischen Hafenstadt Cherson gehen viele Leute ja nach der Besatzung der Stadt durch die Russen auf die Straße, stellen sich Panzern entgegen, protestieren. Die Süddeutsche nennt das zivilen Widerstand. Ich denke, es geht in die Richtung soziale Verteidigung. Darüber wurde unter Anarchist:innen, aber auch in Kirchenkreisen, im letzten Jahrhundert mal intensiv diskutiert.

Oma Lilo: Vor kurzem habe ich im Deutschlandfunk ein Interview gehört, wo die Initiative „Sicherheit Neu Denken“ vorgestellt wurde, die sehr spannend ist, obwohl – ich sage das Mal in Richtung der beiden Herren – der Träger:innenkreis sehr bürgerlich ist. Aber schaut mal selbst: www.sicherheitneudenken.de