Schuld sind angeblich Pazifist:innen und Weltverbesserer

Russland überfällt die Ukraine, und die Wirtschaftsmacht Deutschland droht der Militärmacht Russland kein Erdgas mehr abzu­nehmen und dieses durch flüssiges Erdgas (LNG) aus anderen Ländern zu ersetzen. Das ist Rhetorik, in Wirklichkeit hoffen alle auf ein schnelles Kriegs­ende und erstmal weiteren Erd­gasfluss aus Russland. Das Problem mit LNG ist nämlich, dass unter Einsatz von 400 LNG-Tankern zu Beginn des Kriegs das LNG-Angebot die Nachfrage gerade so ab­deckte, da in den letzten Jahren vor allem die Nachfrage aus Asien sehr stark angestiegen war. Mehr als die Hälfte des weltweit produzier­ten LNGs geht nach Japan, China und Indien (wegen der geringeren Transportkosten bevorzugt aus Australien). Katar und Australien sind mit jeweils 22% größte LNG-Produzenten. Algerien mit 3% und Norwegen mit 1% sind nahezu vernachlässig­bar. Und die USA brauchen ihr schmutziges Fracking Gas derzeit vorrangig selbst. Iran wäre zwar in merklichem Maßstab lieferfähig, darf aber wegen Sanktionen nicht liefern. Das heißt, falls das russische Erdgas ausfällt oder ersetzt werden soll, wird die ca. nächsten 2 Jahre – bis weitere Erzeugungs- und Transportkapazitäten ausgebaut sind – nicht genug LNG weltweit zur Verfügung stehen. In Deutschland gibt es zurzeit kein LNG-Terminal, aber in Europa ca. 30, die an Erdgas­fernleitungen angeschlossen sind. Diese waren vor dem Ukraine-Krieg nur zu ca. 65% aus­gelastet. Wenn es Deutschland schafft, das dort importierte Erdgas wegzukaufen, könnte zu­mindest ein Erdgasmangel in Deutschland kurzfristig überbrückt werden. Theoretisch könnte das reiche Deutschland also tatsächlich das knappe LNG seinen Europäischen Nachbarn und den bisherigen Hauptabnehmern in Asien am Weltmarkt wegkaufen. Doch praktisch wäre es wohl mit der vielgepriesenen Europäischen Solidarität vorbei, die lieben westlichen Nachbarn würden ihre Gasleitungen nach Deutschland dicht machen und das Erdgas lieber selbst verwenden. Deshalb plant die Bundesregierung ja auch in realistischer Einschätzung brüderlicher EU-Nach­barschafts­hilfe den schnellen Zubau eigener LNG-Terminals. Selbst wenn es nicht sofort aber längerfristig mit LNG statt russischem Erdgas klappen sollte, dann nur zu extremen Preisen. LNG war vor dem Ukraine-Krieg mindestens 25% teurer als russisches Erdgas und würde, wenn das russische Gas vom Weltmarkt ist, ein Vielfaches kosten. Geld was dann anderswo fehlen wird, z.B. für eine schnelle Energiewende aber auch für Soziales. Die Wirtschaftspresse titelt jedenfalls ganz kriegs­begeistert „Jetzt auf die Gewinner beim Flüssiggas setzen“, „Flüssiggas pumpt ihr Aktiendepot auf“.

Waffengeschäfte statt echtem Boykott

Sehr wahrscheinlich hätten bei einem sofortigen wirtschaftlichen Totalboykott gegen Russland, seine Wirtschaftsfreunde Putin gestoppt. Zumal beim russischen Militär in der Erkenntnis wie leicht ihre Panzer abgeschossen werden, die Kriegsbegeisterung schnell abgeflaut war. Doch was machen die Verfechter von Freiheit und Demokratie, sie sperren formal den Zahlungsverkehr über SWIFT, aber der direkte Zugang zur Moskauer Staatsbank bleibt offen, so dass weiter das Geld für Erdöl und Erdgas, täglich 660 Mio. Euro, nach Russland fließt. Statt echtem Boykott liefert man lieber Waffen und beschließt innerhalb von zwei Tagen einen 100 Mrd. Sonderfond zur Aufrüstung der Bundeswehr. Nur 24 Stunden später hatte die Bundesregierung das Angebot von Rheinmetall und Partnern über hunderte neue Panzerfahrzeuge auf dem Tisch. Ein Supergeschäft, da Rhein­metall nicht nur die Pumas liefert, sondern auch die Sprengköpfe und Treibladungen für die Raketen, mit denen die Panzer wieder abgeschossen werden. Die Aktien für Rheinmetall, Air Bus Defense und Co. gehen durch die Decke und Wirtschaftsdienste und Broker empfehlen „Rüstungsaktien: Kaufen, bevor die Kanonen donnern“, „Keine Angst vor Rüstungsaktien“ oder „In Rüstungsfirmen investieren“. Warum fällt da einem John Heartfield ein, der 1932 in Vorhersehung des 2. Weltkriegs titelte „Krieg und Leichen, die Hoffnung der Reichen“?

Geschäftskompatible Moral

Der Krieg in der Ukraine wird emotional-moralisch diskutiert, obwohl seine Ursachen nicht der Kampf des Bösen gegen das Gute, sondern Wirtschaftsinteressen und Machtpolitik sind. Dass es sich bei der Ukraine um keine „lupenreine Demokratie“ handelt, konnte man schon vor Monaten im Wirtschaftsteil jeder serösen Zeitungen nachlesen. Die ukrainische Wirtschaft (wird ähnlich wie in Russland) von wenigen Oligarchen beherrscht „ Wildwestmethoden … korrupte Staatsanwälte und Richter konnte man z. B. noch am 27. Dezember 2021 in der SZ lesen. Als der Präsident der Ukraine Selenskyj eines der größten PV-Felder Europas (ca. 250 MW) stilllegen ließ, weil der Oligarch Kolomoiskij, der Selenskyjs Wahlkampf gesponsert hatte, lieber seinen Kohlestrom verkaufen wollte. Doch dank des Schurken Putin wurde aus der Oligarchen-Marionette Selenskyj inzwischen eine Lichtgestalt der Demokratie. Vielleicht werden also Deutschland und die EU in Zukunft, statt Pipeline-Erdgas aus dem Schurkenstaat Russland, LNG aus den Schurkenstaaten Katar und Iran beziehen. Und damit die Unterstützung islamischer Radikalisten durch Katar finanzieren. So wie wir durch unseren Erdöl-Bezug früher den „Schurken“ Gaddafi finanzierten und heute die Kriege der dortigen Warlords. Ob Osama Bin Laden, der von den USA aufgebaut und finanziert wurde, als er gegen die Sowjetunion kämpfte, ob Saddam Hussein der von den USA unterstützt wurde, als er gegen den Iran Krieg führte, Schurken werden erst zu Schurken, wenn sie den Machtansprüchen und/oder Geschäftsinteressen der „freien Welt“ in die Quere kommen. Dass Putin ein Irrer sein muss, kann jeder „normale“ Mensch schon daran erkennen, dass es ihm nur (!) um Macht geht und nicht ums Geschäft. Dass dies Anlass sein muss zu moralischer Empörung ist selbstverständlich, gibt es doch die Toten dieses Mal nicht mehr in sicherer Entfernung zu uns im „friedlichen“ Europa. Und statt die Ukraine-Flüchtlinge an den Außen­grenzen der EU verhungern, erfrieren oder ertrinken zu lassen, lassen wir sie jetzt gerne rein, schließlich sind sie weiß und blauäugig.

Schuld sind angeblich Pazifisten und Weltverbesserer

Schuld am Ukraine Krieg sind die Pazifisten und Weltverbesserer der 68er Generation, verkündet ganz frech der Black-Rock-Hampelmann Friedrich Merz im Bundestag. Wieder einmal stehen alle Friedensfreunde vor einer Situation, die Ergebnis der von ihnen nicht zu verantwortenden Ver­säumnisse der Vergangenheit ist. Statt seit 2001 (damals wurde der Ausstieg aus der Atom­energie beschlossen) zügig die erneuerbaren Energien aus­zubauen, wurde durch den Bezug von Erdgas, Erdöl und Kohle die Aufrüstung Russlands finanziert. Es ist deshalb falsch, irgendeiner der derzeit angestrebten Notmaßnahmen zu zu­stimmen oder gar welche vorzuschlagen, sei es der Ver­längerung von Kohlekraftwerk- oder AKW-Laufzeiten oder der militärischen Aufrüstung. Das macht die Politik auch ohne die Zustimm­ung der Friedensfreunde und Klimaschützer. Sondern wir müssen stattdessen verstärkt fordern, ganz kurzfristig und beschleunigt die Energie­wende voran­zutreiben. Wie wäre es zum Beispiel mit einem eine Billion Euro Sonderfond Erneuerbare Energien. Und ganz polemisch gesagt, wenn nach 3 Grad plus weltweit 2,4 Mrd. Menschen ihre Wohnorte wegen Unbewohnbarkeit bzw. Zusammenbruch der örtlichen Wasser­versorgung und des Lebensmittelanbaus verlieren, dann werden sich unsere Kinder und Enkel mit diesen Klima-Migranten im Streit um die letzten Ressourcen totschlagen. Und dann wird es letzt­lich egal sein, ob das in aller demokratischer Freiheit oder unter Feder­führung von totalitären Regimes geschieht.