Kapitalismus und Opposition in Zeiten der Klimakrise

Die älteren Leser:innen werden sich erinnern, dass „Konsum“ sich mal mit „Terror“ zu einem Kompositum verband und daraus die Haltung der „Konsumverweigerung“ entstand. War dann alles nicht so ernst gemeint, hatte aber einen theoretischen Hintergrund. Der marxistische Philosoph Herbert Marcuse vertrat – hier mal etwas verkürzt – die Auffassung, dass das ungeheure Warenangebot im Spätkapitalismus eine freiwillige Unterwerfung der Massen hervorbringe. Das leuchtete der „linken“ Jugend ein, obwohl es dann doch eine ganz bestimmte Jeans-Marke sein musste. Unter dem „Konsumverzicht“ litt also im wesentlichen und nur für kurze Zeit die Innung der Herrenfrisöre.

Der in Wien lebende Politikwissenschaftler und Journalist Johannes Greß aktualisiert in seinem Buch „Konsumideologie“ Marcuse mit ideologietheoretischen Überlegungen von Ernesto Laclau und Slavoj Žižek.

Während Marcuse noch davon ausging, die Massen wüssten nicht um die Destruktivität ihrer Produktions- und Lebensweise („falsches Bewusstsein“), wissen „wir“ heute sehr wohl um die Folgen, handeln aber trotzdem anders. Schon vor 10 Jahren wies uns die Band Deichkind mal auf das hin, was die Sozialpsychologie „Attitude Behaviour Gap“ nennt: „Kleine Kinderhände nähen schöne Schuhe / Meine neuen Sneakers sind leider geil.“ Eine „richtige“ Haltung führt nicht zwangsläufig zu entsprechendem Handeln.

Ginge es wirklich nur um Schuhe, wäre in den früh-industrialisierten Ländern ein Sättigungsgrad schnell erreicht. Um die Warenproduktion am Laufen zu halten, wird deshalb die immaterielle Dimension der Konsum-objekte immer wichtiger. Es geht um die Erzeugung „künstlicher“ Bedürfnisse. Greß liefert hierzu eine Reihe anschaulicher Beispiele wie etwa die Koppelung von Autofahren mit „Freiheit“. Darüber beziehen die Konsument:innen eine partielle Befriedigung, was neben der Mehrwert-“Produktion“ eben auch zur Stabilisierung bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse beiträgt.

Bezüglich der ökologischen Krise tritt gerade ein weiterer Aspekt hinzu: Konsum als Beitrag zum Umweltschutz – z.B. der Kauf eines E-Autos. (Dass das mit der erforderlichen Verkehrswende nur wenig zu tun hat, müssen wir unseren Leser:innen nicht erklären.) Es wird suggeriert, die Ausdehnung konsumatorischer Praxen und nachhaltiger Bearbeitung der ökologischen Krise könnten widerspruchsfrei erfolgen. Der „Grüne Kapitalismus“ sorgt also dafür, dass bestehende Konsum- und Produktionsnormen unangetastet bleiben.

Dazu kommt eine entpolitisierende Funktion: Einerseits wird eine irgendwie nachhaltige Lebensweise in die Eigenverantwortung der Konsument:innen gelegt, andererseits der Anschein erweckt, kosmetische Eingriffe im Bereich des Konsums (und nicht der Produktion) würden zur Bearbeitung der Krise ausreichen. Diese Verlagerung der Probleme von einer systemischen auf eine individuelle Ebene verschleiert den politischen Charakter von Gesellschaft.

Was also tun? Merkwürdigerweise diskutiert Johannes Greß nicht Marcuses „Große Weigerung“, also nicht-integrierbare Lebensformen, sondern bezieht sich auf die Risse im System, die mit der ökologischen Krise wieder sichtbarer werden: Jede Infragestellung kapitalistischen Wachstums könne mittelbar zu einer Infragestellung kapitalistischer Herrschaft werden. Die an unterschiedlichen Punkten entstehenden Kämpfe müssten einhergehen mit der Ausformulierung eines neuen Wohlstandsverständnisses, das dem qualitativen den Vorrang vor quantitativem Wachstum gewährt. Die Vorstellung von einem guten Leben sei nicht vereinbar mit einer auf Klassenherrschaft und Kapitalakkumulation basierenden Produktionsweise.

Sicherlich zu Recht meint Greß, dass der Bio-Supermarkt nicht der Ort radikaler In-Frage-Stellung ist, aber: Wer mit der imperialen Lebensweise brechen will, tut trotzdem gut daran, die eigenen Alltagspraxen kritisch zu hinterfragen. Anders gesagt: Wer sich damit hinsichtlich der Wirkmacht nicht selbst belügt, sollte das eigene Konsum-Handeln (also z.B. hinsichtlich Mobilität, Ernährung usw.) mit gewonnenen Erkenntnissen möglichst in Übereinstimmung bringen. Was dann ja nicht daran hindert, sich an Protesten gegen Straßenneubau oder Mastställe zu beteiligen.

„Konsumideologie“ ist angesichts der poststrukturalistischen Grundlage nicht immer einfach zu lesen, aber bei der Spurensuche nach dem Ideologischen oft erhellend.

Greß, Johannes: Konsumideologie. Kapitalismus und Opposition in Zeiten der Klimakrise, 168 Seiten, ISBN 3-89657-037-4, 16,80 EUR