Interview mit Lorenz Gösta Beutin, Mitglied im Bundesvorstand Die Linke

Im April war Lorenz Gösta Beutin zu einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Celle. Am Rande haben wir mit ihm ein Interview geführt.

??: Sag uns kurz, wo du politisch herkommst?

!!: Ich habe angefangen in einer Jugendgruppe des BUND, dann war ich in der Grün Alternative Jugend im Kreis Stormarn in Schleswig-Holstein. In Kiel war ich dann aktiv in der Studierendenbewegung. Da habe ich dann 2004 die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WAsG) mitgegründet, war dann 2007 erster Landesprecher der Linken und habe da vor allem Landespolitik gemacht, auch im Bereich Klima- und Umweltpolitik. Und 2017 bin ich über Platz 2 der Landesliste in den Bundestag gekommen. Und im vergangenen Jahr hat der Listenplatz 2 dann nicht gereicht.

??: In der Satiresendung „Die Anstalt“ gab es den „Witz“, dass die Grünen für das Programm der Linken gewählt würden. Nur das kennt leider kaum jemand.

!!: Wir haben in der Fraktion im Januar 2020 den „Aktionsplan Klimagerechtigkeit“ beschlossen. [Link siehe am Ende des Interviews.] Das ist aus meiner Sicht das zentrale Werk der Legislaturperiode. Mit 32 Abgeordneten, Mitarbeiter:innen und Referent:innen haben wir es erarbeitet und bei einer Enthaltung in der Fraktion beschlossen. Jetzt ist die Aufgabe, das in die Breite zu tragen, auch damit es konkretisiert und etwa auf Kommunen heruntergebrochen wird. Nur eine Linke, die sich glaubwürdig dem Thema annimmt, hat eine Zukunft.

??: Eine Kapitelüberschrift im Aktionsplan ist, „Den Wandel gerecht gestalten“. Gerade erleben wir dramatische Energiepreissteigerungen, was als soziales Problem wahrgenommen wird, aber abgekoppelt von dem Zusammenhang Klimagerechtigkeit.

!!: Zu Beginn der Corona-Pandemie haben manche gedacht, jetzt rückt staatliches Handeln wieder in den Vordergrund, jetzt gibt es Bewegung in Richtung solidarische Gesellschaft. Aber letztlich haben sich die Reaktionsmuster der Finanzkrise 2008/2009 wiederholt. Die Superreichen sind die Gewinner der Pandemie, und normale Leute haben nicht nur durch Kurzarbeitergeld, sondern jetzt auch durch Inflation Einkommenseinbußen. Stark steigende Energiepreise gab es schon vor dem Krieg. Und seit Beginn des Krieges ist ja nicht weniger, sondern mehr Gas verfügbar, die Importe wurde gesteigert, die Ölpreise sind zwar gestiegen, aber noch unter dem Höchststand von 2012. Was sich vor allem gesteigert hat, sind die Gewinnmargen der Konzerne. Aus linker Sicht wäre jetzt nötig, die Gewinne abzuschöpfen und umzuverteilen. Aber das ist nicht der Impuls der Regierung. Die hat eine andere Umverteilung im Sinn: Spritpreisrabatt, was vor allem Fahrer:innen von dicken Autos zugute kommt, aber gleichzeitig Gift ist für die Verkehrswende.

??: Aber immerhin für drei Monate das 9-Euro-Ticket.

!!: Sicher, nice to have. Menschen merken vielleicht, wie sinnvoll eine Mobilitätswende sein könnte. Aber das Ticket ändert nichts an der grundsätzlichen Misere, also dass Bus und Bahn schlecht ausgebaut sind, dass ganze Regionen abgehängt sind vom öffentlichen Nahverkehr und wo Menschen dann keine Alternative zum Auto haben. Eigentlich muss in Deutschland eine Grundsatzentscheidung getroffen werden - wie in der Schweiz schon 1987. Wir wollen ja, dass jede Ortschaft über 100 Einwohner:innen angeschlossen wird an den ÖPNV. Das ist in der Schweiz weitgehend erreicht. Und das zuverlässig und häufig, mit dem sogenannten Schweiz-Takt. Aber das konnte nur erreicht werden, indem die Finanzströme umgeleitet wurden, indem mehr in Bus und Bahn investiert wurde, indem Strecken reaktiviert und neue Strecken in Betrieb genommen wurden. In der Schweiz wird das Fünffache pro Kopf für Bahninfrastruktur ausgegeben wie in Deutschland. Momentan geht es bei uns in die falsche Richtung: Es ist weder sozial gerecht, noch schafft man die Verkehrswende. Eine Änderung ist überhaupt nicht in Sicht.

??: Die Schweiz hat keine eigene Automobilindustrie, keine Mineralölkonzerne. In Deutschland gibt es in dieser Hinsicht andere Kapitalinteressen.

!!: Die Klimakrise hat ihre Ursachen in der Entstehung des Kapitalismus in der Industrialisierung und dann eben auch in der Hinwendung zum Auto, und damit einer Ausrichtung unserer ganzen Mobilität auf das Auto mit Auswirkungen für den Städtebau usw.. Und einer Ideologisierung und Emotionalisierung des Ganzen. D.h., wir haben in Deutschland sehr massiv Konzernmacht, und das verbunden mit Emotionen. Aber wenn du dich nicht grundlegend anlegen willst, wird es nicht funktionieren, weil die Lobbyinteressen einfach so groß sind. Man wird die Systemfrage stellen müssen und das heißt auch, ein anderes Verkehrssystem zu etablieren, heißt, zu brechen mit Konzernmacht und dem Dogma des ewigen Profits. Es geht an dieser Stelle um einen sehr grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel. Wenn die Klimakrise ihre Ursache im Kapitalismus hat, dann müssen die Ursachen mit bekämpft werden. Wir müssen hinkommen zu einer solidarischen und klimagerechten Gesellschaft, wo langfristig geplant wird und wo eben gesehen wird, dass Lebensqualität nicht mit grenzenlosem Wachstum einhergehen muss. Es geht um eine ganz andere Art des Produzierens und Konsumierens in anderen Wirtschaftskreisläufen. Es reicht einfach nicht aus, den Kapitalismus grün anzumalen.

??: Da stellt sich die Frage. Was können gute Projekte sein auf dem Weg zu einer klimagerechten Welt? Am Ende geht es ja auch darum, Menschen zu überzeugen, dass es nicht nur wichtig und besser ist, sondern dass es auch "schöner" ist.

!!: Ich denke, es gibt diese Erfahrungen in vielen Bereichen. Beispiel: In Sprakebüll, einem kleinen Dorf in Nordfriesland, hat die Gemeinde schon in den 1990ern die Energiewende selbst in die Hand genommen mit inzwischen Windkraftpark, zwei Solarparks, Car-Sharing-Flotte. Neue Projekte: Batterienutzung als Zwischenspeicher, autonom fahrende Sechs-Sitzer-Bus. Es gibt da viel Kreativität, die als Vorbild dienen können. Die dezentrale Energiewende ist möglich, und es könnte ein demokratisches Projekt sein. Anderes Beispiel: Wo etwas für den Fahrradverkehr getan wird, steigen Menschen vom Auto um aufs Fahrrad. In Kiel gibt es inzwischen einige Velorouten, also Fahrradstraßen, die zwar auch Prestigeobjekte sind, aber intensiv genutzt werden. 50 % der Wege in Deutschland sind unter 5 km, das Auto ist da nicht nur überflüssig, sondern auch Gift, denn bei kurzen Wegen greift der Katalysator bekanntlich kaum.

??: Wichtig scheint uns ein Bruch mit dem Wachstumsparadigma, das durch den viel beschworenen Green Deal nicht in Frage gestellt wird.

!!: Ja, der herrschende Diskurs ist ein anderer. Als ich im Wirtschaftsausschuss des Bundestages mal argumentierte, dass der Ressourcenverbrauch radikal zurückgeführt werden müsste, bekam ich von Wirtschaftsminister Altmeier zu hören, dass sehe er nicht so. Andere Länder würden von unserem Ressourcenverbrauch profitieren, ja seien geradezu darauf angewiesen. Wir müssten also nur das heutiges Energieregime in ein postfossiles Zeitalter überführen, also Gas- und Ölimporte durch Wasserstoff ersetzen. Das dadurch neue koloniale Verhältnisse und Abhängigkeiten entstehen, interessierte ihn nicht. Dazu kommt ein ungebrochenes Marktvertrauen. Dabei regelt der Markt nichts. Bei allen Klimafragen brauchen wir verbindliche Regeln. Wir können das weder einem Markt anvertrauen, noch auf die Individuen abladen.

??: Letzte Frage: Gibt es sowas wie eine nationale Verantwortung?

!!: Von der Aufmerksamkeit steht jetzt der Krieg im Zentrum des medialen und politischen Interesses, und die Warnung des letzten IPCC-Berichts geht unter. Wir haben noch drei Jahre Zeit, um das Schlimmste zu verhindern. Diese Warnung verhallt. Ich habe im Vortrag eine Folie, die zeigt, dass unter den zehn größten CO2-Schleudern Europas sieben Kohlekraftwerke aus Deutschland sind. Das heißt: Die müssen schnellstmöglich stillgelegt werden. Wir hören von Verharmlosern oft, Deutschlands CO2-Anteil liegt doch nur bei zwei Prozent, was gemessen an einem Anteil an der Weltbevölkerung von einem Prozent ja schon viel ist. Aber unsere historische Verantwortung seit Beginn der Industrialisierung ist selbstverständlich viel, viel größer. Das Pariser Klimaabkommen weicht dieser Problemstellung aus, die historische Schuld ist dort nivelliert worden. Im historischen Maßstab haben wir „unser“ CO2-Budget doch schon längst überschritten. Für die aktuelle Situation benutze ich gern das Bild eines fast vollen Wasserglases, das unter einem tropfenden Wasserhahn steht. Bildlich gesprochen kann jetzt ein einziger Tropfen das Glas zum Überlaufen bringen.

Der „Aktionsplan Klimagerechtigkeit“ findet sich zum Download hier
https://www.dielinke-klima.de/aktionsplan/aktionsplan-klimagerechtigkeit/