Eine menschenleere Celler Innenstadt am frühesten Morgen. Fünf link(s-radikal)e Laternen stehen in der Dämmerung beieinander und beginnen ein Gespräch.
Die Dicke: Kritiker:innen der medialen Mobilmachung wird ja jetzt moralische Verwahrlosung vorgeworfen. So jedenfalls unter viel Beifall der ukrainische Botschafter Melnyk gegenüber Harald Welzer.
Der lange Lulatsch: Melnyk, dieser „Bandera-Fan“. Fast ein Musterbeispiel für Putins Entnazifizierungsgerede.
Klein Jonas: Wieso das?
Der lange Lulatsch: Bandera war ein übler ukrainischer Faschist. Er war seit Ende der 1920er Jahre Mitglied der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), die von Andrij Melnyk geleitet wurde. Ups, aber – wie es heißt – weder verwandt noch verschwägert. Im Jahre 1934 wurde Bandera in Polen zum Tode verurteilt, weil man ihm eine Beteiligung an der Ermordung des polnischen Innenministers vorwarf. Diese Strafe wurde jedoch in lebenslange Haft umgewandelt. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges kam er frei und kollaborierte erst mit den Nazis. Bandera-Milizen waren dann an Pogromen gegen die jüdische Zivilbevölkerung beteiligt. Die Unabhängigkeitsbestrebungen der Bandera-Gruppe missfielen den Nazis aber bald, und er wurde verhaftet und als sogenannter Ehrenhäftling ins KZ Sachsenhausen gebracht. 1944 wurde er entlassen, um an der Seite der Nazis gegen die Rote Armee zu kämpfen. Nach 1945 ging er nach München ins Exil, wo er 1959 von einem KGB-Agenten erschossen wurde.
Oma Lilo: Und am Grab dieses Faschisten hat der jüngere Melnyk 2015 Blumen niedergelegt.
Der lange Lulatsch: Was ihm die deutschen Leitmedien aber nicht übelnehmen.
Die Dicke: Zurück zu Welzer und Co. Ich finde es ja gut, dass sie sich ins mediale Handgemenge begeben. Die Linken – also die Partei – ist ja ein Total-Ausfall. Zwei banale Erklärungen gab’s bisher vom Parteivorstand: eine zu Kriegsbeginn und eine zum 8. Mai.
Der Besserwisser [mit ironischem Unterton]: Für die guten Erklärungen gibt’s ja jetzt die AfD.
Der lange Lulatsch: Die haben eben kein Vertrauen ins doitsche Volk. Mit all dem Gendergaga, denken sie wohl, würde Deutschland auch den Dritten Weltkrieg verlieren. Nein, sie haben ein Gespür für Missmut in Teilen der Gesellschaft. Europa, Flucht, Corona … Jetzt halt die berechtigte Furcht, dass irgendwer die Kosten der Unterstützung der Ukraine zu zahlen hat. Und dass das nicht die Rheinmetall-Aktionäre sind.
Die Dicke: Ich wäre nicht überrascht, wenn die AfD demnächst Anti-Kriegs-Demonstrationen initiiert.
Der lange Lulatsch: Dann hat die Linke – als Partei und Bewegung – ein Problem. „Wir zahlen nicht für eure Kriege!“ ist zwar eine gute Losung, auch die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand und gegen weitere Waffenlieferungen ist ja richtig … aber wen würde das gerade auf die Straße locken?
Klein Jonas: Bei den Fridays wäre das schwierig. Es gibt keine Position zu Waffenlieferungen und es gibt auch keine Ablehnung der deutschen Aufrüstungspolitik.
Der Besserwisser: Wer als politische Kraft nicht dagegen ist, ist unterm Strich dafür.
Klein Jonas: Ja. Das sehe ich auch so. Es gibt halt bei vielen eine Nähe zu den Grünen. Luise Neubauer ist ja auch Mitglied.
Oma Lilo: Bei den Demos vor der NRW-Wahl gab’s ja immerhin eine ganz gute Positionierung. Eine klare Ablehnung von Investition in andere fossile Infrastruktur, stattdessen konsequente Energiewende, um fossile Abhängigkeiten und Kriege zu beenden.
Der lange Lulatsch: Ein bisschen Kritik an Habecks Kurs, okay.
Oma Lilo: Ich denke, sie können sich nicht wehren gegen die Eindeutigkeits-Erzählungen von Gut und Böse. Das Gute soll halt siegen. Das Böse soll verlieren.
Die Dicke: Und daraus machen dann die Hofreiters dieser Welt, dass, wer keine Waffen liefert, die Niederlage will, die Kapitulation der Ukraine. Oder Baerbock: „Wir dürfen keinen Diktat-Frieden zulassen. Russland muss verlieren.“
Der Besserwisser: Ganz auf der Linie der USA.
Oma Lilo: Jeder Tag, den der Krieg länger dauert, sterben die Leute – auf beiden Seiten. Mit jeder kriegsverlängernden Waffenlieferung gibt es mehr Zerstörung und mehr Opfer. Ein Waffenstillstand bringt sofort einen Bruch mit der Eskalation der Gewalt. Da hat der Welzer doch Recht. Und ich finde deshalb, wer mit Waffenlieferungen eine Verlängerung des Krieges will, ist mitverantwortlich für die Opfer.
Klein Jonas: Und dann sagen sie dir aber, dass es doch Putin ist, der keinen Waffenstillstand will.
Oma Lilo: Dann sage ich, es gibt genauso auf Nato-Seite Kräfte, die aktuell kein Ende des Krieges wollen. Nach Boris Johnson soll es keine Einigung mit Russland geben, solange die Ukraine nicht die Oberhand hat. Laut Washington Post gibt es Nato-Mitglieder, die wollen, dass die Ukrainer – Zitat: „weiter kämpfen und sterben als einen Frieden zu erreichen, der zu früh kommt.“ Unsere Position muss doch sein, genau damit zu brechen.
Der Besserwisser: Russland ringt halt um seine Behauptung als strategische Macht – die Nato um deren Erledigung.
Die Dicke: Und ja, die Ukraine ist dabei – wie Brzezi?ski schon gesagt hat – „durch ihre bloße Existenz“ von Bedeutung.
Der lange Lulatsch: Obwohl ja eben nicht – wie suggeriert wird – die ganze Welt an der Seite der Ukraine steht, ist die Situation doch trotzdem so, dass keine einem sofortigen Waffenstillstand folgende Verhandlungslösung die Existenz der Ukraine in Frage stellen würde. Unsere Position kann nicht die Russlands sein, aber auch nicht die der Nato. Internationalismus von unten gegen Imperialismus von oben – vielleicht?
Oma Lilo: Blöderweise sind wir davon genauso weit entfernt wie Rosa Luxemburg vor über 100 Jahren: „Wenn die große Mehrheit des werktätigen Volkes zu der Überzeugung gelangt, dass Kriege eine barbarische, tief unsittliche, reaktionäre und volksfeindliche Erscheinung sind, dann sind Kriege unmöglich geworden.“
Klein Jonas: Desertation beginnt im Kopf, oder?