Auszüge aus einem Gutachten von Prof. Dr. Ulrike Lembke, Humboldt-Universität zu Berlin

Die im Dezember 2021 veröffentlichte Expertise geht der Frage nach, welche Auswirkungen die Verwendung geschlechtergerechter Sprache, insbesondere des Gendersterns, auf die Rechtswirksamkeit und den Verbindlichkeitsanspruch von Handlungsformen der Verwaltung entfaltet. Das Ergebnis ist, in Kürze, dass die Verwendung geschlechtergerechter Sprache inklusive des Gendersterns keinen (negativen) Einfluss auf Wirksamkeit oder Verbindlichkeit von Verwaltungshandeln entfalten kann, sondern umgekehrt dessen Verfassungskonformität erhöht. […] Hier Auszüge aus der Zusammenfassung:
Hoheitliches Sprachhandeln bildet nicht nur Wirklichkeit ab oder transportiert Regelungsanliegen, sondern formt hoheitliches Handeln und gestaltet gesellschaftliche Wirklichkeiten mit. Die Verwendung rein männlicher Formen spiegelt das hierarchische Geschlechterverhältnis und erhält es zugleich aufrecht, indem Frauen und Personen mit Geschlechtsidentitäten jenseits der Binarität unsichtbar gemacht, nicht anerkannt und nicht adressiert werden.
Eine Vielzahl linguistischer Studien belegt die Benachteiligung von Frauen durch die Verwendung des pseudo-generischen Maskulinums. Inzwischen liegen auch Erkenntnisse zu erheblichen psychischen Belastungen von Inter*, Trans* und non-binären Personen durch rein männliche oder rein-binäre Personenbezeichnungen vor. Umgekehrt wird durch die Verwendung geschlechtergerechter Formen die Lesbarkeit, Verständlichkeit oder Memorierbarkeit eines Textes nicht beeinträchtigt.

[…] Geschlechtergerechte Amts- und Rechtssprache dient der Verfassungskonformität hoheitlichen Sprachhandelns. Ihre Verwendung respektiert den personalen Achtungsanspruch aller bislang fehlerhaft oder gar nicht adressierten Rechtsunterworfenen – Frauen, Trans*, Inter* und non-binären Personen – in ihrer jeweiligen Geschlechtsidentität, welche zum Kern des Persönlichkeitsrechts aus Artikel 2 Absatz 1 i.V.m. Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz gehört.
Die Benennung, Sichtbarmachung und korrekte Adressierung von Frauen ist durch das Grundrecht auf Gleichberechtigung aus Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz geboten, welches die unverzügliche Beseitigung tatsächlicher Nachteile und die Verwirklichung der Gleichberechtigung mit Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit auch für die Zukunft fordert. Die Verwendung geschlechterinklusiver Amts- und Rechtssprache, welche auch Trans*, Inter* und non-binäre Personen anerkennt, adressiert und sichtbar macht, entspricht den Anforderungen des Verbots der Geschlechtsdiskriminierung aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz.[…]

Geschlechtergerechte Amts- und Rechtssprache trägt zur Verständlichkeit und Barrierefreiheit und damit zum notwendigen Wandel der Verwaltungssprache bei. Geschlechterinklusive Kurzformen machen nur einen kleinen Teil dieses Sprachgebrauchs aus; dabei ist der Genderstern wegen seiner Verbreitung, der wünschenswerten Einheitlichkeit und der absehbaren Möglichkeit der (Vor-)Lesbarkeit zu bevorzugen. […]

Geschlechtergerechte Sprache bedeutet nicht die wahllose Einfügung von Gendersternen in das Vorhandene, sondern einen grundlegenden Wandel staatlichen Sprachhandelns hin zu Verständlichkeit, Zugänglichkeit, Barrierefreiheit und Inklusion.

Geschlechterinklusive Kurzformen (wie Genderstern, Gender_Gap oder Doppelpunkt) sind eines von vielen Mitteln geschlechtergerechter Verwaltungs- und Rechtssprache. Wo geschlechterinklusive Kurzformen benötigt werden, damit das staatliche Sprachhandeln den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, empfehlen der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband sowie die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik inzwischen die Verwendung des Gendersterns. […]

Die Verfassungskonformität staatlichen Sprachhandelns zu garantieren, ist staatliche Aufgabe und Pflicht [...] Die Kompetenz und Verpflichtung zur Regelung geschlechtergerechter Amts- und Rechtssprache liegt bei den grundrechtsgebundenen Parlamenten auf Bundes- und Landesebene, zuständigen Verwaltungsleitungen sowie Kommunen, Hochschulen und sonstigen Selbstverwaltungskörperschaften. […]

Die in der Öffentlichkeit besonders im Fokus stehenden geschlechterinklusiven Kurzformen wie der Genderstern bilden nur einen kleinen Teil geschlechtergerechter Amts- und Rechtssprache. Die Verwendung verschiedener Formulierungsmöglichkeiten zur Ablösung des pseudo-generischen Maskulinums trägt auch zur Klarheit, Verständlichkeit und insgesamt inklusiven Wirkung von Verwaltungssprache bei. […]

Aus rechtlicher Sicht ist die Verwendung geschlechtergerechter Amtssprache inklusive des Gendersterns keine Irregularität, sondern für hoheitliches Sprachhandeln und damit die Verwaltung insgesamt im demokratischen Rechtsstaat unverzichtbar.

Quelle:
Geschlechtergerechte Amtssprache. Rechtliche Expertise zur Einschätzung der Rechtswirksamkeit von Handlungsformen der Verwaltung bei Verwendung des Gendersterns oder von geschlechtsumfassenden Formulierungen - Die vollständige Expertise ist abrufbar unter
www.hannover.de oder www.rewi.hu-berlin.de/de/lf/ls/lbk