Ein langer Weg zu Biolandwirtschaft im Landkreis Celle

Am 13.04.2022 besuchte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir den Becklinger Landwirt Jan-Hendrik Hohls. Einen Landwirt, der bezüglich der Haltung seiner Schweine vorbildliches leistet: Durch eigene Nachzucht der Ferkel, die Haltung der Schweine auf Stroh und in Klein­gruppen, mit separaten Futter-, Liege- und Bewegungsbereichen und gewissem Auslauf ins Freie und durch den hohen Rauhfutteranteil wird das natürliche Instinkt- und Sozialverhalten der Tiere erhalten. Das wusste auch Minister Özdemir zu loben, versäumte aber nachzufragen, woher eigentlich die Futter­mittel für die Schweine kommen und warum der Betrieb keine Umstellung auf Biolandwirtschaft anstrebt. Dann hätte Özdemir wahrscheinlich aus erster Hand erfahren, welche Hausaufgaben sein Ministerium noch erledigen müsste, um solche Umstellungen zu beschleuni­gen. Stattdessen erklärte Özdemir ganz frech, dass es inzwischen keine großen Unterschiede mehr zwischen ökologischer und konventioneller Land­wirtschaft gebe. Von wegen …

Warum Umstellung 100% auf ökologische Landwirtschaft?

Formal trägt die Landwirtschaft in Deutschland ca. 16% zu den Treibhausgas (THG)-Emissionen bei. Rechnet man die in Form von Futtermitteln importierten Treibhausgase dazu, ist der Anteil eher noch höher. Zum THG-Ausstoß in Form von Lachgas (N2O) verursacht durch Stickstoff(über)­düngung – auch durch die Gülle aus Massen­tier­haltung – kommt noch die Verseuchung des Grund­wassers durch Nitrat. So eignen sich bereits 28% des Grundwassers in Deutschland nicht mehr zur Nutzung als Trinkwasser. Auch der Einsatz von Herbiziden, Pestiziden und Fungiziden in der konvention­ellen Landwirtschaft vergiftet die Umwelt für Mensch und Tier.

2022 werden laut Umweltbundes­amt 980 verschiedene „Pflanzenschutz­mittel“ in Deutschland eingesetzt, was einen Austrag von 8,8 Kilogramm Pflanzenschutzmittel beziehungsweise 2,8 kg Wirkstoff je Hektar Anbaufläche bedeutet. Wenn wir also Klima-, Umwelt? und Artenschutz ernst nehmen, ist eine 100%-ige Umstellung auf Ökologische Landwirtschaft unumgänglich.

Das würde bedeuten: keine Massen­tierhaltung mehr, keine Produktion für den Weltmarkt, stattdessen Reduzier­ung der Tiere auf eine ausschließlich durch lokalen Futtermittelanbau ernährbare Anzahl. Auch darf kein Futtermittel- oder Energiepflanzenanbau in Konkurrenz zum Lebensmittelanbau statt­finden. Der Ackerbau muss mit an Boden und Klima angepassten Pflanzen erfolgen. Die bis­herige Düngung muss zu hohen Anteilen durch Mist und Kompost ersetzt und die Bodenfrucht­barkeit durch Humuserhalt und Humusaufbau verbessert werden. Und auf den Einsatz von „Pflanzenschutz­mitteln“, die menschliche Gesundheit und die Artenvielfalt beeinträchtigen, muss vollständig verzichtet werden.

Der „Niedersächsische Weg“ wurde zum Irrweg!

Der sog. „Niedersächsische Weg“, eine Ende 2020 abgeschlossene Vereinbarung zwischen BUND, NABU, Landvolk, Landwirt­schaftskammer, Landwirtschaftsministerium und Umwelt­ministerium, sieht bis 2030 eine Umstellung auf 15% Ökolandwirtschaft vor. Da 2020 in NDS die Ökologische Landwirtschaft erst bei knapp 5% lag, würde eine 100%-ige Umstellung auf Grund­lage dieses „Umwegs“ bis zum Jahr 2115 dauern. Aber allein aus Klimaschutz?Gründen müsste diese Umstellung bis spätestens 2045 abgeschlossen sein.

Auch auf Pflanzenschutzmittel wird beim NDS-Weg nur in Naturschutzgebieten verzichtet. Ein freiwilliges Reduktionsprogramm für alle Flächen sollte laut Vereinbarung bis Mitte 2021 entwickelt werden, kam aber bislang nicht zustande. Dabei dauert die Umstellung von konventionellem auf ökologischen Betrieb ca. 10 Jahre! Statt ein schnelles Durchstarten zu bewirken, wird so der Niedersächsische Weg unter dem Beifall der Agrarmafia zur Alibi-Veranstaltung.

Grundwasservergeudung und Nitratbelastung statt ökologischem Umbau

Gerade konnte man in der CZ lesen, der Oberverband Feldberegnung Celle beharre auf Aus­weitung der für die Feldberegnung erlaubten Grundwassermengen um 70% von bislang 18,4 auf 31,9 Millionen Kubikmeter. Begründung ist widersprüchlicher Weise die zunehmende Trockenheit, was ja – wenn man nicht endlose Grundwasservorräte voraussetzt – zum Verkürzen statt zur Ausweitung der Entnahmemenge führen müsste.

Weiteres Argument ist die Ausweitung der Anbauflächen um ca. 30% in den letzten 20 Jahren, wobei es sich vor allem um den im Hoch­sommer besonders wasserdurstigen Mais für Biogas­anlagen handelt. Obwohl in der Praxis die beregnenden Bäuerinnen und Bauern fast überall im Landkreis ihre Pumpen immer tiefer hängen müssen, um noch an Grundwasser zu kommen, hat sich der Oberverband Feldberegnung Celle ein theoretisches Gut­achten bestellt.

Wunschgemäß prophezeit dieses hydrogeologische Gutachten, sogar unter angeblicher Berücksichtigung des Klima­wandels, bis zum Jahre 2050 genug Grundwasser zur Feldberegnung im Landkreis Celle. Seltsam, dass man zeitgleich in der ARD TV-Dokumentation „Bis zum letzten Tropfen“ erfahren konnte, dass die in diesen hydrogeologischen Gutachten verwendeten Berechnungsmethoden wissenschaftlich über­holt sind. Der Trick: Sie rechnen immer noch Daten aus Vorklimawandelzeiten in die Zukunft hoch. Ja, der Film zeigte sogar, dass die Lüneburger Heide inzwischen zu den Gebieten mit dem welt­weit größten Grund­wasserrückgang zählt. Ursache: Man entnimmt weiterhin gleichviel oder sogar mehr Grund­wasser, obwohl die Grundwasserneubildung seit ca. 2005 signifikant abgenommen hat. Trotz der mit dem Klimawandel eher zunehmenden Niederschlagsmengen in Niedersachsen sinken nämlich durch die ungleichmäßigere Jahresverteilung und die Zunahme von Trocken- und Hitzeperioden die versickernden Wassermengen.

Aber Celle könnte ja – wie das Gutachten suggeriert – ein Ort der glückseligen Landwirte sein, wo nach wie vor alles Grund­wasser der Lüneburger Heide zusammenströmt. Doch ein Blick in die amtlichen Kontrollbrunnen im LK Celle – der billiger gewesen wäre als ein teures Gutachten – widerlegt auch dieses Märchen: Praktisch alle Brunnen melden trotz des relativ nassen Vorjahres und Winters im Mai 2022 „Wasserstand sehr niedrig oder extrem niedrig“, ja viele melden gar nichts mehr (was vermuten lässt, dass sie längst trocken­gefallen sind). Die Landwirtschaft im LK Celle hätte also allen Grund, die wasserzehrenden Maisflächen nach und nach einzuschränken, die Art der Feldfrüchte, die Fruchtfolge sowie die Anbaumethoden auf Wasser sparend umzustellen, statt sich die Realität schönrechnen zu lassen.

Übrigens, man kann auch die Nitratwerte der Kontroll­brunnen ein­sehen: Neben vielen Brunnen mit zu vernachlässigender Belastung zeigen etliche Brunnen mit Nitrat­werten von bis 126 mg/l (50 mg/l ist die Ober­grenze für Trink­wasser), dass auch bezüglich dieser Umweltbelastung die konventionelle Landwirtschaft im LK Celle bleibende Schäden anrichtet. Eigentlich auch das ein Anlass, auf ökologische Landwirtschaft umzustellen.

Und wie steht es nun mit der Ökolandwirtschaft im Landkreis Celle?

Sucht man im Internet findet man nur vier Biolandwirtschaftsbetriebe im gesamten Landkreis Celle. Anscheinend haben viele Landwirte noch Angst, sich als „Öko“ zu outen. Die offizielle Statistik des Landes NDS weist für Celle auch nur 3% Ökobetriebe (19 von 596) aus. Kein Wunder, muss man oft weit mit dem Pkw fahren, um echte Biokost im Hofladen zu erwerben. Beschämend ist auch, dass es im gesamten Landkreis keinen einzigen Biomilchbauern gibt. In Celle verkaufte Biomilch stammt deshalb von Erzeugern aus bis zu 800 km Entfernung. Ein darauf ange­sprochener konventioneller Milchbauer aus dem LK Celle erklärt dazu: Würden alle Subventionen für konventionelle Landwirtschaft gestrichen und voll auf Biohöfe umgelegt, würde er sofort um­stellen. Und vielleicht sollte diese Anregung auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir aktivieren, endlich den gesetzlichen Rahmen dafür zu schaffen. Wir können nur hoffen, dass möglichst viele Landwirte nicht darauf warten, sondern einfach schon jetzt mit der Umstellung anfangen.

„Bis zum letzten Tropfen – Die Doku“ gibt’s übrigens weiterhin in der ARD-Mediathek

Link zu den Brunnen: https://www.umweltkarten-niedersachsen.de/Umweltkarten/?topic=Hydrologie&lang=de&bgLayer=TopographieGrau&layers=Grundwasserstandsmessstellen&layers_opacity=0.15&E=554000.00&N=5842000.00&zoom=5