„Wohin fahren Sie in den Urlaub? Vielleicht irgendwohin, wo Sie direkt vor der Haustür in einer schönen Umgebung sind, in der Sie sich gerne aufhalten und verweilen?“ Dies ist eine der Fragen des Buches „Autokorrektur“, die uns Lesende zum Nachdenken anregen soll. Die Leser:innen fragen sich nahezu automatisch, warum eigentlich diese schöne Umgebung nicht direkt vor der eigenen Haustür beginnen kann.
Die 1973 geborene Autorin Katja Diehl kennt sich aus, wenn es um Fragen zur Mobilität geht. Sie berät unter anderem den Verkehrsminister von Baden-Württemberg und engagiert sich im Vorstand des Verkehrsclub Deutschland (VCD). Mit ihrem Buch verfolgt sie einen systemischen Ansatz, der nicht auf Seite 241 endet. In unzähligen Quellenangaben gibt sie Hinweise zu weiterführenden Informationen, und das von ihr gepflegte Autokorrekturwiki macht deutlich, dass das Thema nicht in einem einzigen Buch abschließend zu verhandeln ist. (siehe: https://katja-diehl.de/autokorrekturwiki/)
Immer wieder betont Diehl, dass die erste Regel der Verkehrswende lautet: Wege vermeiden! Immer wieder weist sie darauf hin, dass es viele Menschen gibt, die gar nicht freiwillig das Auto benutzen, sondern weil sie einfach keine andere Möglichkeit haben, sich sicher und flexibel von A nach B zu bewegen. In über 40 Interviews hat sie dies besonders auch für Frauen, Transpersonen und BIPoC belegt. Ihre Frage „Willst du oder musst du Auto fahren?“ sorgte regelmäßig für anfängliches Erstaunen.
Das auf der ersten Buchseite genannte Ziel „Jede:r sollte das Recht haben, ein Leben ohne eigenes Auto führen zu können“ ist noch längst nicht für alle Menschen erreicht. Die Autorin belegt anhand der Geschichte der letzten 200 Jahre, dass die Stadtplanung seit der Mitte des letzten Jahrhunderts zu einer Verkehrsplanung mutierte, geführt von weißen cis-Männern, die das Auto in den Mittelpunkt ihrer Planungen stellten. Das Wertesystem der Gesellschaft, das sonst recht gut funktioniere, setze beim Auto aus, ist die Folgerung aus ihrer Analyse.
Erst die menschengerechte Gestaltung des öffentlichen Raums ermöglicht die Mobilität für eine lebenswerte Welt. Und da der Raum in der Vergangenheit viel zu oft autogerecht gestaltet wurde, muss dieser umgedacht und neu konzipiert werden.
Doch Diehl sieht auch immer wieder Chancen, es besser zu machen, die früher getroffenen Entscheidungen zu revidieren, Visionen zu entwickeln, zu realisieren und so dem Zustand näher zu kommen, dass die schöne Umgebung vor der eigenen Haustür beginnt.
Man könnte der Autorin vorwerfen, dass die genannten Lösungsansätze (Kopenhagen, Paris, Barcelona, Eimsbüttel, Siemensstadt) schon bekannt sind … doch zuerst sollte man der Gesellschaft vorwerfen, dass diese funktionierenden Ansätze immer noch nicht flächendeckend realisiert sind.
Auszüge des Buches werden im Rahmen der Veranstaltung „LIST liest“ am 26.06.2022 um 15:00 Uhr auf der Parkpalette am Celler Badeland vorgelesen.
Katja Diehl: Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2022, ISBN 978-3-10-397142-2, 18 €, im Bestand der Stadtbibliothek Celle enthalten