Neues Buch des argentinischen Feministin Rita Segato zu Femizid
„Nie hat es mehr Gesetze gegeben, nie hat es mehr Fortbildungen in Sachen Menschenrechte für Sicherheitskräfte gegeben, nie hat es mehr Literatur über die Rechte der Frau gegeben, nie hat es mehr Preise und Anerkennungen für Aktionen auf diesem Feld gegeben – und trotzdem sterben wir Frauen weiter.“ (S. 122)
Rita Laura Segato, eine argentinisch-brasilianische Anthropologin und Feministin, geht in ihrem Buch der Frage nach, warum das so ist.
Ausgehend von der extrem hohen Anzahl von Femiziden in der nordmexikanischen Stadt Ciudad Juárez beschreibt sie die weltweit zunehmende systematische Gewalt gegen Frauen als „globalen Krieg gegen Frauen“. Sie analysiert mit präzisem Verstand, warum es entscheidend ist, die Hintergründe und Strukturen der „kolonial-Moderne“ zu verstehen, wenn sie z.b. auf die Zusammenhänge der globalen Kapitalakkumulation, Parastaatlichkeit und der Straflosigkeit bezogen auf die Femizide in Ciudad Juárez eingeht.
Es ist ihr elementar zu verstehen, dass jedes Macht- und Unterdrückungsverhältnis ausgeht vom Körper der Frau als erste Kolonie der Geschichte. In dem vorliegenden Buch unternimmt sie den Versuch, das Patriarchat in den unterschiedlichen Feldern der Gesellschaft, die gegenseitig aufeinander Wirken, sichtbar zu machen. Mit der Zuweisung und Etablierung von Rollen im Sinne des „Einen“ und des „Anderen“ wurden weiblich markierte Personen aus politischen Positionen der „Pueblos“ Lateinamerikas ins Häusliche verbannt und minorisiert. Es sei also entscheidend, die Gewalt an Frauen aus dem Häuslichem, dem Intimen herauszuholen, in das sie das Patriarchat gedrängt hat, und im Kontext einer öffentlichen politischen Sphäre zu betrachten - überall auf der Welt. Denn die Reduzierung der Gewalt gegen Frauen auf sexuell begründete Motive, auf Hassverbrechen festzulegen oder als Beziehungstaten zu markieren, verschleiert den strukturellen Charakter der Aggression und macht ihn unsichtbar, so Segato.
Der von der Autorin eingeführte Begriff Femigenozid ist dabei nur konsequent, wenn sie sagt, dass zwar alle Verbrechen gegen Frauen aus der Konstellation der Geschlechter herrühren, Frauen aber immer häufiger im öffentlich Raum sterben denn im häuslichen.
Das Buch ist mitunter von grausamer Realität, aber nicht, weil die Sprache der Autorin dies ist oder sie begangene Verbrechen an Frauen in allen Details schildert. Es ist grausam, weil sie die Realität unserer gesellschaftlichen Strukturen benennt und mit präziser Analytik auf den Punkt bringt, in welcher Welt wir leben. Nach dem Lesen ihres Buches scheint es nicht mehr möglich, diese von ihr sogenannte „Pädagogik der Grausamkeit“ nicht in ihren verschiedenen Ausformungen zu erkennen.
Segato benutzt an einer Stelle das Bild von Puzzleteilen, die es wert seien zusammengesetzt zu werden, um das ganze Bild sehen zu können, womit sie selbst den Grund liefert, warum es sich mehr als lohnt, dieses Buch zu lesen, denn: „Wenn wir die Formen der misogynen Grausamkeit der Gegenwart verstehen, dann verstehen wir nicht nur, was mit uns Frauen und allen, die sich in der weiblichen Position verorten, geschieht, sondern dann verstehen wir auch, was der ganzen Gesellschaft widerfährt.“ (S. 122)
Rita Segato: Femizid – Der Frauenkörper als Territorium des Krieges,UNRAST-Verlag, Münster 2022, 285 Seiten, ISBN 978-3-89771-338-3, 19,80 EUR
Häusliche Gewalt & Straftaten gegen das Leben
Im Jahr 2021 wurden von der Polizeiinspektion Celle 529 Taten häuslicher Gewalt erfasst. Aufgrund von Änderungen in der statistischen Erfassung dieses Delikts lässt sich die Zahl nicht direkt mit der des Vorjahres vergleichen. Nach wie vor gibt es ein großes Dunkelfeld in diesem Bereich, da die meisten Taten hinter verschlossenen Türen stattfinden und oft nicht zur Anzeige kommen.
Die Anzahl der registrierten Tötungsdelikte (dazu zählen auch Versuchstaten) ist von 17 (2020) auf 12 gesunken. Herausragend waren die Schüsse vor dem Amtsgericht am 03.06.2021, als ein 78 Jahre alter Mann eine 49-jährige Frau und anschließend sich selbst tötete sowie ein versuchtes Tötungsdelikt in der Neustadt am 15.12.2021. Ein 53 Jahre alter Mann hatte versucht, seine Ehefrau zu erschlagen. Sie überlebte schwerverletzt. Alle zwölf Kapitaldelikte wurden aufgeklärt.
Quelle: Polizeiinspektion Celle - Sicherheitsbericht 2021.