Eine menschenleere Celler Innenstadt am frühesten Morgen. Fünf link(s-radikal)e Laternen stehen in der Dämmerung beieinander und beginnen ein Gespräch.
Die Dicke: Kommt der Heiße Herbst – oder nur ein kalter Winter?
Der lange Lulatsch: Martin Schirdewan, Co-Chef der Linken, meinte im ZDF-Interview angesichts der steigenden Belastungen für die Bürger:innen: „Deswegen rufen wir als Linke zu einem heißen Herbst der sozialen Proteste gegen die soziale Kälte der Bundesregierung auf.“
Der Besserwisser [mit ironischem Unterton]: Wahrscheinlich zusammen mit den Gewerkschaften. Dann gibt’s eine Großdemonstration und … Feierabend.
Die Dicke: Mal nicht so defätistisch. Wenn sie’s hinbekommen, würden die Leute vielleicht nicht zu AfD gesteuerten Protesten laufen.
Der Besserwisser: Und die Forderung ist: Gegen soziale Kälte?
Oma Lilo: Wenn das Norbert Blüm noch erleben könnte?
Klein Jonas: Warum nicht: Wir zahlen nicht für eure Kriege?
Der lange Lulatsch: Nicht schlecht, aber nicht gerade massen-kompatibel. Letzte Umfrage: 49 % sind mit der aktuellen Ukraine-Politik der Bundesregierung zufrieden, je 22 % finden sie entweder als zu weitgehend oder als nicht entschieden genug.
Der Besserwisser: Die Linke liegt in dieser Forsa-Umfrage bei 5 %, die Grünen bei 24 %. da empfehle ich für den Heißen Herbst gleich mal Schal und Mütze.
Die Dicke: Kompliziert wird’s schon. Prekär Beschäftigte kriegen ab Oktober einen höheren Mindestlohn, was sich positiv auch auf viele andere Löhne im unteren Segment auswirken wird. Langzeiterwerblose können auf ein Bürgergeld hoffen, was sie formal entspannter in die Zukunft schauen lässt. Aber gut, eine relevante Anhebung der Regelsätze wird es nicht geben.
Der lange Lulatsch: Ich finde, es braucht eine andere Perspektive. Ihr wisst, ich fand total spannend, als in Frankreich vor zwei Jahren ei n Transparent auftauchte mit dem Spruch: „Ende der Welt, Ende des Monats: Systemwechsel statt Klimawandel“. Klasse und Klima zusammenführen, darum geht’s eigentlich.
Die Dicke: Sinnvoll wäre das. Erinnert ihr euch? Zum Earth-Over-shoot-Day war die Klimaplattform hier. Die haben das ja angedeutet. Weißt du noch das Verhältnis von arm und reich, Jonas?
Klein Jonas: Die reichsten zehn Prozent der Menschheit sind für rund 47 Prozent aller Kohlenstoffdioxid-Emissionen verantwortlich. Demgegenüber verursacht die untere Hälfte aller Menschen weltweit zusammengenommen nur ein Zehntel.
Oma Lilo: Und daneben in Pandemiezeiten Rekordgewinne für Konzerne und Milliardär:innen auf der einen, Einkommensverluste für die meisten Menschen und zunehmende Armut auf der anderen Seite. Die Corona-Pandemie hat Ungleichheiten dramatisch verschärft, innerhalb und zwischen Gesellschaften.
Die Dicke: Und in Deutschland?
Oma Lilo (schaut in ihr Smartphone): Wart mal, hier – Oxfam-Zahlen: Die zehn reichsten Personen in Deutschland haben ihr kumuliertes Vermögen seit Beginn der Pandemie von ca. 144 Milliarden auf etwa 256 Milliarden US-Dollar gesteigert – ein Anstieg um rund 78 Prozent. Allein dieser Gewinn entspricht annähernd dem Gesamtvermögen der ärmsten 40 Prozent, also von 33 Millionen Deutschen. Währenddessen erreicht die Armutsquote in Deutschland mit 16,1 Prozent einen Höchststand. 13,4 Millionen Menschen leben hierzulande in Armut. Frauen und Kinder sind überdurchschnittlich von Armut betroffen.
Der lange Lulatsch: Kein Zufall, wir wir wissen, sondern die Folge struktureller Macht- und Eigentumsverhältnisse. Die Ursachen der sich verschärfenden Ungleichheitskrise im Kapitalismus.
Klein Jonas: Also System Change!
Oma Lilo: „Das Einfache, das so schwer zu machen ist.“
Die Dicke: Lass mich kurz überlegen … Brecht: „Die Mutter“.
Oma Lilo: Genau. Passend zum Heißen Herbst geben sie ja im Schloßtheater „Der gute Mensch von Sezuan“.
Der Besserwisser: Die Arbeiter:innen werden hineinströmen und mit geballter Faust und „Rot-Front-Rufen“ die Stechbahn beetzen – oder was?
Oma Lilo: Nein. Aber es kann helfen, sich weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht dumm machen zu lassen.
Die Dicke: Adorno.
Der lange Lulatsch: Ich denke, die Gelbwesten in Frankreich haben die Klassenfrage wieder auf die Tagesordnung setzen können. Daraus zu lernen, wäre doch was. Und eben die Verbindung herstellen zur Klimagerechtigkeitsfrage.
Der Besserwisser: Das heißt?
Der lange Lulatsch: Im Handgemenge, das heißt: in konfrontativer Praxis, das heißt: Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, meinetwegen auch Übergewinnsteuer. Kurz: Ran an die Reichen, die ja, wie wir vorhin gehört haben, nicht nur aus ihrem Kapitalinteresse, sondern auch durch ihren Luxus die Klimakatastrophe anheizen. Das heißt im Alltag Interessen gegen sie zu setzen: Inlandsflugverbot, Tempolimit z.B., Abschaffung von Dienstwagenprivileg, weg mit dem Familiensplitting usw. usw. Mietendeckel, günstige Energiegrundversorgung.
Die Dicke: Und damit dann Armut bekämpfen, öffentlichen Nahverkehr ausbauen und kostenlos machen. Bildungschancengleichheit herstellen.
Klein Jonas: Und halt investieren in Regenerative, die Wärmewende bezahlbar machen für Hausbesitzer:innen und Mieter:innen. Ökologische Landwirtschaft massiv fördern.
Oma Lilo: Genau. Die Grünen und Sozialdemokraten – und ja: auch Die Linke herausfordern. Schluss mit einer Politik für die Reichen, Schluss mit einer Politik, die den fossilen Energien eine Gnadenfrist nach der anderen gibt.
Der Besserwisser (wieder ironisch): Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach: / Sie selber dächten auf der Stelle nach / Auf welche Weis dem guten Menschen man / Zu einem guten Ende helfen kann. / los, such dir selbst den Schluss! / Es muss ein guter da sein / muss muss muss.