Interview mit Enno Stünkel zur neuen Ausgabe der "celler hefte" der RWLE Möller Stiftung
Die RWLE Möller Stiftung bringt im November ein neues Doppelheft der Reihe „celler hefte“ heraus. Veröffentlicht werden Texte aus dem Nachlass des in Celle geborenen und verstorbenen Autors Jörn Ebeling. Er ist vor allem als Lyriker hervorgetreten, in den 1970er Jahren auch als Verfasser experimenteller Texte für das Radio, und er war ein geschätzter Übersetzer. Der Band versammelt Arbeiten eines Schriftstellers, der – wie es im Vorwort heißt - „Zeit seines Lebens nicht die seinem Werk angemessene Aufmerksamkeit gefunden hat“. Wir haben mit Enno Stünkel gesprochen, der die Redaktion des Heftes übernommen hat.
??: Der Name Jörg Ebeling ist in Celle kaum geläufig. Sag’ uns bitte kurz etwas zur Vita?
!!: Jörn Ebeling ist 1939 Celle geboren, in Celle gestorben, seinen Lebenslauf zu schreiben wäre keine reizvolle Aufgabe. Äußere Stationen und Ereignisse gibt es wenige. Er hat immer wieder in Berlin gelebt, taucht mal in Hamburg, mal in Göttingen auf, verschwindet und ist zum Schluss wieder in Celle. Zu Zeiten muss er ein regelmäßiger Gast in Celler Kneipen gewesen sein. Als er 2006 in einem Altenheim stirbt, droht sein literarisches Werk in Vergessenheit zu geraten.
Dieses Werk aber ist interessant, und ich freue mich, dass wir es mit den celler heften wieder in Erinnerung bringen können. Ebeling hat zu Lebzeiten eine Reihe von Gedichtbänden veröffentlicht, Texte fürs Radio geschrieben, die u.a. vom NDR produziert und gesendet wurden. Er war ein von Kolleg:innen geschätzter Übersetzer, seine Verdeutschung von Alain Robbe-Grillets Die schöne Gefangene ist bis heute lieferbar. Was wir mit der Edition seines Nachlasses in den Celler Heften dokumentieren, ist ein Werk, das von den ersten publizierten Arbeiten des Ernestinum-Schülers an eine ganz eigene Charakteristik und Schönheit entwickelt.
??: Um was handelt es sich bei dem Nachlass, auf den ihr euch stützen konntet?
!!: Wir konnten uns neben dem, was uns Manfred Hausin zugänglich gemacht hat, vor allem auf die Sammlung von Herbert Hossmann stützen. Hausin hat einen Koffer aus den Hinterlassenschaften im Altenheim gerettet. Hossmann ist mit Jörn Ebeling seit Schulzeiten befreundet gewesen, und auf seiner Sammlung von Typoskripten beruht das Gros der Texte, die wir jetzt veröffentlichen. Herbert war so und mit seinen Erinnerungen an einen „eigenwilligen Freund“ die wichtigste Quelle und Hilfe für die Edition.
??: In den Briefen, die ihr veröffentlicht, geht es u.a. um Arno Schmidt. Was meinst du: Ist er in seinen Arbeiten hinsichtlich der experimentellen Anteile von dem Bargfelder Großmeister inspiriert, auch wenn er sich von der AS-Gemeinde eher distanziert?
!!: In den Briefen ist schön nachzulesen, mit welch ironisch gebrochenem Gestus Ebeling Schmidts (rein räumliche) Nähe in eine Perspektive rückt, die vielleicht genau die Distanz erkennen lasst, die zwischen Schmidt und seinen damaligen Bewunderern bestand - diese Bewunderer, zu denen Ebeling gehörte und die in seinem Blick schon historisch werden, mehr wohl, als Arno Schmidts Werk. Die Prägungen und Traditionen, mit denen Ebeling gearbeitet hat, sind aber andere: die französische Literatur, der Surrealismus, das hat ihn früher bestimmt als die Begegnung mit dem Werk Schmidts. Außerdem ist Ebeling zunächst Lyriker, sprachlich gibt es da wenig, das an Schmidts Diktion erinnerte. Das Experiment, das Ebeling vor allem in den von uns als Radiotexte bezeichneten Stücken unternimmt, zielt für mein Verständnis auf etwas Anderes: Hier wird mit der Rolle der Sprache in (misslingender) Kommunikation und in Verbindung mit den technischen Möglichkeiten des Radios (oder allgemeiner: der Tonaufnahme) gearbeitet. Also Ja: Experiment, aber nicht in den Schmidtschen Fährten, sondern wenigstens zum Teil in einem anderen Medium.
??:Vielleicht liegt es an dem Experimentellen, dass – so unser Eindruck – die Lyrik und die Radio-Texte nicht leicht zugänglich sind. Was macht für dich den Reiz der Texte aus?
!!: Bei den Gedichten ist das oft der Witz und die Überraschung, mit der das Wort beim Wort genommen Perspektiven verschiebt. Was mir erst während der Arbeit an den Celler Heften immer deutlicher geworden ist, sind die wiederkehrende Themen und Sensibilitäten, die dem Werk eine Einheit geben und es auch lesbar machen als eine sprachbewusste Reflexion der Zeit, in der Ebeling lebte. So werfen die späten Texte, wie das mit drei Punkten „...“ betitelten Stück und „richtig ist das nicht ist das richtig“ mit ihren irritierten Reflexionen zur deutschen Einheit ein erhellendes Licht auch auf die frühen Texte, die Ebeling in der durch den Nationalsozialismus bestimmten Nachkriegs-Schulzeit verfasst hat. Es ist, als rücke diese Vergangenheit näher, je mehr Zeit vergeht.
??: Was mich irritiert: Ich finde die Texte, die Ebeling als Ernestiner für die Schülerzeitung „parenthese“ geschrieben hat, haben ein erstaunliches Niveau. Hat sich dir über die Recherche erschlossen, warum er in diesen Feuilleton-Kosmos nicht eingetreten ist?
!!: Ja, diese sehr frühen Texte zeigen Ebeling als versierten Kritiker und Literaturvermittler – die Vermittlung findet in seiner Übersetzertätigkeit eine Fortsetzung. Aber worum ging es dem Schüler, der über Nathalie Sarrault in der parenthese schreibt? Um eine fremde Welt, die er aufruft, die er selbstverständlich auch gegen die Welt setzt, in der er lebt. Das ist nicht zufällig Ausland (und die Moderne, die im Ausland wohnt und französisch spricht). Das Feuilleton ist da erst mal sehr weit weg, wäre Zugehörigkeit; mit der Lyrik, die er bald verfasst, bleibt er auf Distanz. Das wäre eine Interpretation, die ernst nimmt, was an der Lyrik gelingt: Witz, Verfremdung, beim Wort nehmen und so auf Neues stoßen. Wahr ist aber wohl auch, wie es Ebeling in einem Brief ausdrückte: „Hemmungen dieser und jener Art“ kamen dazwischen.
Jörn Ebeling / 1939 – 2006 / Lyriker & Übersetzer
No:comment - Texte 1960 – 2006
celler hefte 11 – 12 / Schriftenreihe der RWLE Möller Stiftung, Celle 2022, 200 Seiten, 10 Euro