Bestseller kann die Frage nach dem „Wie“ letztlich nicht beantworten

Im Mai war die Wirtschaftsjournalistin und Sachbuchautorin Ulrike Herrmann zu Gast bei der Albrecht-Thaer-Gesellschaft in der Celler Union. Vor einem Publikum aus überwiegend ehemaligen Landwirten stellte sie ihre Thesen zum „Ende des Kapitalismus“ vor. (Das dazu im September erschienene Buch sprang kurzzeitig an die Spitze der Spiegel-Bestsellerliste.)

Etwas überraschend für Außenstehende war, dass sie zwar einige kritische Nachfragen erntete, aber keine Ablehnung. Dies mag drei Gründe gehabt haben. (1) Wer als Landwirt:in die letzten Jahrzehnte erlebt hat, kann mit den „Grenzen des Wachstums“ vielleicht mehr anfangen als die junge Startup-Unternehmerin oder der Supermarktkassierer. (2) Herrmann versicherte ihrem Publikum, dass die Landwirtschaft, obwohl und weil sie sich gravierend ändern muss, zu jenen Sektoren gehört, die bleiben und mehr gesellschaftliche Anerkennung erfahren dürften. (3) Sie denkt die Zukunft nicht als Sozialismus, sondern als rationierende Planwirtschaft, ohne in die Eigentumsverhältnisse einzugreifen.

Wachstum und Klimaschutz sind nicht vereinbar. Das ist die Ausgangsvoraussetzung ihrer Überlegungen. Also muss die Wirtschaft schrumpfen. D.h.: Der Ausstoß der Waren (und Dienstleistungen) muss sich in Ländern wie Deutschland schnell mindestens halbieren, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Damit wären wir beim Bruttosozialprodukt von 1978. Das wenig Überraschende: Bei der Runde älterer weißer Männer der Thaer-Gesellschaft löst das nicht gerade Erschrecken aus. Denn selbst im kalten Krieg war „bei uns“ die Welt ja noch halbwegs in Ordnung; wieviel Romantisierung in derartigen Erinnerungen steckt, wäre kritisch zu hinterfragen. Grünen Träumereien von der Möglichkeit einer Abkopplung von Wachstum und Ressourcen erteilt sie eine Absage.

Die Frage ist also, wie ein solcher Umbau zu bewerkstelligen ist, ohne politisches (= Faschismus) oder ökonomisches (= Massenverarmung) Chaos zu befördern. Ihr geschichtliches Vorbild für ein Schrumpfen unter demokratischen Voraussetzungen ist die britische Kriegswirtschaft ab 1939. Die Briten befanden sich „in einer unfreiwilligen Notsituation, die zudem verspätet erkannt wurde. […] Ähnlich erleben wir heute den Klimawandel.“

Was machten die Briten in Reaktion auf den Krieg Nazi-Deutschlands? Sie fuhren binnen kürzester Zeit ihre „normale“ Wirtschaft herunter, um mit den freiwerdenden Kapazitäten Rüstungsgüter herzustellen. Herrmanns Credo: „Nur Verzicht sichert überleben – wie im Krieg.“

Beim Umbau zu einer Art „privater Planwirtschaft“ gab der Staat vor, „was produziert wurde – aber die Unternehmen blieben im Eigentum ihrer Besitzer. Firmen, Handwerksbetriebe, Restaurants oder Läden wurden nicht verstaatlicht, sondern konnten weiterhin entscheiden, wie sie ihre Betriebe führten.“

Der zweite wichtige Aspekt: Rationierung des privaten Konsums. In großen Teilen der Bevölkerung – so Herrmann – war dies durchaus beliebt, weil in der extrem gespaltenen Klassengesellschaft die unteren Schichten durch die Rationierung „besser versorgt waren als je zuvor.“

Eine radikale Auseinandersetzung mit der Klimakatastrophe dürfte immer darauf hinauslaufen, dass die Wirtschaft schrumpfen muss – und dies besser planvoll als krisengesteuert chaotisch zu machen. Herrmann will deshalb festhalten am Privateigentum an Produktionsmitteln, und sie will den Übergang mit demokratischen anstelle öko-diktatorischer Formen gestaltet wissen.

Dazu einige Fragen:

(1) Die Akzeptanz der britischen Bevölkerung beruhte auf der unleugbaren Tatsache mit Deutschland im Kriegszustand zu sein. An diesem Punkt sind die Gesellschaften des reichen Nordens heute nicht. Sie vertrauen auf die der „Appeasement-Politik“ gleichzusetzenden Versprechen des „Green New Deal“, so sie sich überhaupt hinreichend mit der drohenden Katastrophe auseinandersetzen.

(2) Nur unter Akzeptanz des Kriegszustands waren die Kapitaleigentümer:innen bereit sich auf planwirtschaftliche Maßnahmen einzulassen. Zudem wurde mit der Fokussierung auf die Rüstungsindustrie weiterhin Wachstum und Profit versprochen und eingelöst. Und genau das kann Herrmanns schrumpfenden Ökonomie nicht, weshalb ein massiver Widerstand der besitzenden Klassen zu erwarten wäre.

(3) Planwirtschaft und Rationierung lassen sich zwar durch demokratisch legitimierte Institutionen in Kraft setzen. Ein derartig gravierender Veränderungsprozess bedarf aber heute wahrscheinlich mehr als einer Zustimmung an der Wahlurne. Insoweit ist schade, dass Herrmann Konzepten von Wirtschaftsdemokratie oder demokratischem Ökosozialismus nur in Fußnoten abhakt.

(4) Das mag damit zusammenhängen, dass Herrmanns Verständnis von Kapitalismus unterkomplex ist. Im ersten Kapitel („Der Aufstieg des Kapitals“) arbeitet sie in einer Art Ausschlussverfahren an Bedingungen für seine Entstehung, deren Verständnis sie hinsichtlich der Möglichkeiten der Transformation für wichtig hält. Konstitutive Fragen wie der Privatbesitz an Produktionsmittel oder die Warenproduktion tauchen bei ihr aber nicht auf, und ihr Verständnis von Ausbeutung sollte sie besser nicht mit Urenkel:innen von Sklaven diskutieren wollen. Hier ist hoffentlich noch fundierte Kritik zu erwarten.

(5) Bleibt ein grundsätzliches, aber von Herrmann eingeräumtes Problem: Die angestrebte Transformation muss international gedacht werden. Selbstverständlich ist es legitim und vielleicht sogar sinnvoll, die Erörterung in einem nationalen Rahmen zu führen. Die globalen Implikationen aber müssen zumindest angerissen werden.

Als kleines Fazit vielleicht soviel: „Das Ende des Kapitalismus“ lässt sich mit Ulrike Herrmanns Ansatz zwar denken, aber kaum machen. Die Notwendigkeit, ihn zu beenden, aber ist unhintergehbar. Wer sich nicht andernorts schon in die Wachstumsproblematik eingelesen hat, findet im zweiten Kapitel einen pointierten Problemaufriss („‘Grünes Wachstum‘ gibt es nicht“). Und auch der Blick auf die britische Kriegswirtschaft lohnt – zum einen hinsichtlich der möglichen Beschleunigung von Umbau, zum andern hinsichtlich der Verbesserung gesellschaftlicher Wohlfahrt durch Rationierung.

Herrmann, Ulrike: Das Ende des Kapitalismus – Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden. Köln, Kiepenheuer & Witsch 2022, ISBN 9783462002553, 352 Seiten, 24,00 EU